Weinheim/Hirschberg/Dossenheim/Rhein-Neckar/Karlsruhe, 05. Juli 2018. (red/pro) Aktualisiert. Eine Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe zur Wahlanfechtung der Oberbürgermeisterwahl in Weinheim durch die hoffnungslos unterlegene Kandidatin Fridi Miller steht noch aus. Anzunehmen ist, dass der Widerspruch abgelehnt wird. Anzunehmen ist auch, dass Frau Miller klagen wird. Die Folgen sind weitreichend, denn es gibt Hinweise, dass eine Wahlanfechtung erfolgreich sein könnte. Die bisherige Entscheidung, dass Erster Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner auf Zeit den Oberbürgermeister als Stellvertreter ersetzt, müssen dringend überdacht werden. Die für Weinheim beste Lösung wäre, wenn Herr Bernhard im Amt bliebe, bis der juristische Weg abgeschlossen ist.
Von Hardy Prothmann
Das Dilemma, in dem Weinheim gerade steckt, hat mehrere Ursachen. Zunächst natürlich die Wahlanfechtung und eine voraussichtliche Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. Im Gegensatz zu anderen Kandidaturen und Klagen der Fridi Miller, ist die Causa Weinheim aber sehr besonders.
Unglückliche Konstellation
Der bisherige Oberbürgermeister Heiner Bernhard beendet seine Amtszeit am 12. August und hat angekündigt, nicht als Amtsverweser zur Verfügung zu stehen. Der Wahlgewinner Manuel Just wird ebenfalls nicht zur Verfügung stehen, weil er im Falle einer erfolgreichen Klage und falls er bei einer Neuwahl nicht gewinnen sollte, seine bisherigen Pensionsansprüche aus seinem Amt als Bürgermeister von Hirschberg verlieren würde. Das Risiko erscheint angesichts seines überdeutlichen Wahlsiegs klein, aber es existiert. Der “Worst-case” wäre: Bürgermeisteramt in Hirschberg weg, kein Oberbürgermeister von Weinheim, Pensionsverlust in erheblicher Höhe.
Diese Konstellation ist nicht nur unglücklich für Weinheim, wo der Erste Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner, der nicht als Kandidat für das Oberbürgermeisteramt antreten wollte, nun de facto genau diese Aufgaben zusätzlich zu seinen Aufgaben übernehmen muss. Und nicht nur für eine überschaubare Zeit, sondern vermutlich über einen langen Zeitraum. Denn auch in Sindelfingen klagte Frau Miller und es dauerte rund ein Jahr, bis Dr. Bernd Vöhringer sein Oberbürgermeisteramt tatsächlich antreten konnte. Zuvor war er Amtsverweser. Er musste kein Risiko eingehen, war er doch schon zwei Wahlperioden im Amt und hatte damit volle Pensionsansprüche.
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Frau Miller klagte auch in anderen Gemeinden gegen die Wahlen. Auch in Freiburg konnte der neu gewählte Martin Horn sein Amt am 01. Juli zunächst nur als Amtsverweser antreten.
Amtsverweser allerorten
Würde Manuel Just zunächst Amtsverweser in Weinheim, müsste in Hirschberg neu gewählt werden. Auch deshalb ist seine Entscheidung richtig, zunächst dort im Amt zu bleiben und den juristischen Fortgang abzuwarten. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit würde Fridi Miller auch in Hirschberg antreten – Ausgang bekannt. Dann müsste auch dort zunächst ein Amtsverweser ran.
Amtsverweser erledigen die Amtsgeschäfte vollumfänglich wie die tatsächlichen Bürgermeister und dürfen sich Bürgermeister oder Oberbürgermeister nennen. Sie haben allerdings keine Stimme im Gemeinderat. Das ist überwiegend zu verschmerzen, aber bei engen Entscheidungen könnte das wesentlich sein. Vorstellbar ist, dass Entscheidungen knapp ausgehen und danach die Kritik bleibt, dies sei so gewesen, weil eine Stimme fehlte. Damit könnten Entscheidungen bezweifelt werden. Herr Just erspart Hirschberg mit seiner Entscheidung die Situation, die nun in Weinheim eingetreten ist.
Wahlanfechtung erscheint nicht vollständig aussichtslos
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Herr Just zögern muss. Denn möglicherweise wurde die Neutralitätspflicht verletzt. Nach unseren Informationen wurden die “ernsthaften” Kandidaten ins Feuerwehrhaus der Abteilung Stadt eingeladen. Das war kein “offizieller” Termin mit Außenwirkung. Aber immerhin: Das Feuerwehrhaus ist eine städtische Liegenschaft, die Feuerwehr ist eine städtische Abteilung und wenn schon eingeladen wird, dann müssten alle Kandidaten eingeladen werden.
Fraglich ist, wer eingeladen hat. Nach unseren Informationen kam die Einladung “privat” über einen nicht-hauptamtlichen Feuerwehrangehörigen. Doch hier stellt sich die Frage, was “privat” ist und wie die Stellung des Einladers zu bewerten ist.
Es ist nicht auszuschließen, dass diese Konstellation eine Wahlanfechtung erfolgreich machen könnte. Üblicherweise haben Wahlanfechtungen keinen Erfolg – außer, es liegen klare Verstöße wie beispielsweise gegen die Neutralitätspflicht vor. Im Jahr 2006 wurde beispielsweise die Wahl in Kappel-Grafenhausen (Ortenaukreis) erfolgreich angegriffen (Entscheidung können Sie hier nachlesen), obwohl das Landratsamt zunächst ebenso wie das Verwaltungsgericht die Wahlanfechtung zurückgewiesen hatten. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hob dies auf und entschied die Wahl für ungültig wegen Verstoßes gegen die Neutralitätspflicht und das Gebot der Chancengleichheit.
Jeder Fall ist anders. Für Weinheim könnte man argumentieren, dass nur die begrenzt anwesende Zahl von Feuerwehrleuten möglicherweise beeinflusst, beziehungsweise durch fehlende Kandidaten nicht beeinflusst worden sein könnten. Aber Feuerwehrleute sind sehr geachtete Mitglieder der Gemeinde und haben sicher eine hohe Multiplikatorenwirkung.
Selbst keine bösen Absichten unterstellt und selbst man nachvollziehen kann, dass man gewissen Kandidaten nicht ernst nimmt, bleibt der Grundsatz bestehen, dass Wahlen ordentlich und nach festen Regeln abzuhalten sind – ein Verstoß kann, wird er als wesentlich erachtet, zur Ungültigkeit der Wahl führen.
Längerer Klageweg möglich – hielte Dr. Fetzner das durch?
Denkt man dies weiter, wäre ein längerer juristischer Weg vorstellbar, denn dann ginge es auch hier vor den Verwaltungsgerichtshof und bis zu einer Entscheidung vergingen weitere Monate.
Dann stellen sich weitere Fragen: Sollte Dr. Fetzner also deutlich ein Jahr oder sogar noch länger die Funktion des Oberbürgermeisters und des Ersten Bürgermeisters erfolgreich ausüben – wozu braucht es dann einen Ersten Bürgermeister? Der kann, muss aber nicht bestellt werden. Hier ließen sich also erhebliche Kosten einsparen. Tatsächlich ist das unrealistisch. Die Arbeitsteilung zwischen Oberbürgermeister und dem beigeordneten Erstem Bürgermeister ist in allen größeren Gemeinden Standard und sinnvoll, weil die Aufgaben enorm sind.
Daraus ergibt sich eine politische Entscheidungsfrage, der sich der Gemeinderat dringend stellen muss: Der Gemeinderat kann laut Gemeindeordnung jede Person, die zum Bürgermeister wählbar ist, als Amtsverweser bestellen, das muss nicht der mutmaßlich gewählte Kandidat sein. Der Amtsverweser wird auf zwei Jahre bestellt und kann erneut bestellt werden.
Angesichts der erwartbaren Blockierung des Amts für mindestens ein Jahr, möglicherweise sogar länger und einer möglicherweise sogar erfolgreichen Wahlanfechtung, die eine Neuwahl erzwingen würde und einer dann wieder möglichen neuerlichen Klage besteht die Möglichkeit, dass das Wahlamt des Oberbürgermeisters auch deutlich über zwei Jahre hinaus vakant bleibt.
Dr. Fetzner kann gesetzlich geregelt die Stellvertretung übernehmen – die Entscheidungsfrage ist, ob das sinnvoll ist. Hält er das durch oder beschädigt er sich allein durch die Anstrengungen nicht in erheblicher Weise. Was, wenn er einbricht, weil die Aufgaben ihn an persönliche Grenzen bringen? Das ist eine absolut realistische Frage: Jeder Bürgermeister hat 60-80 Stunden-Wochen. Und einer allein hält beide Herausforderungen nur begrenzt durch. Auch hier ist der Gemeinderat in der Verantwortung gegenüber dem Ersten Bürgermeister, der durch den Gemeinderat gewählt worden ist.
Die elegante Lösung ist: Heiner Bernhard bleibt im Amt
Die eleganteste Lösung zum Wohl der Stadt wäre, wenn der noch amtierende Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) seine Ankündigung rückgängig machte und im Amt bliebe – er wäre keiner, der eine gewisse Zeit kommt und wieder geht, sondern einer, der sich historische Achtung verdienen könnte, weil er eine persönliche Entscheidung zum Wohl der großen Kreisstadt Weinheim revidierte.
Seine Entscheidung, nicht mehr antreten zu wollen, ist zu respektieren. Und sie war zunächst auch nicht weiter tragisch, denn den möglichen Amtsantritt von Herrn Just als Amtsverweser hatten wir bereits mit Bekanntgabe der Kandidatur durch Frau Miller thematisiert. Doch dann haben sich die Bedingungen geändert: Das “theoretische” Risiko für Herrn Just, das durch eine möglicherweise erfolgreiche Anfechtung ein ganz konkretes werden könnte.
Herr Bernhard muss sich der Verantwortung einer solchen Entscheidung stellen, denn er hat es in der Hand, dass die Amtsgeschäfte ohne erhebliche Beeinträchtigungen fortgeführt würden. Er kennt die Geschäfte, jeder kennt ihn. Und er hätte als geschäftsführender Oberbürgermeister weiterhin eine Stimme im Gemeinderat. Sämtliche Nachteile wäre im Handstreich beseitigt.
Schaden von der Gemeinde abwenden
Auch gegenüber seinem voraussichtlichen Nachfolger Manuel Just (parteilos) sehen wir ihn in der Pflicht. Er hat ihn klar unterstützt, möglicherweise sogar zur Wahl motiviert. Ein verantwortungsvoller Oberbürgermeister übergibt die Amtsgeschäfte geordnet. Für die aktuelle Unordnung trägt Herr Bernhard keine Verantwortung – wohl aber, wenn er das Amt verlässt und damit die Stadt ungeordneten Verhältnissen überlässt.
Selbst wenn Herr Just dann irgendwann antreten wird, begänne seine Amtszeit mit einer schweren Bürde – der zunächst strahlende Wahlsieg wäre durch eine Zeit der Unordnung vorbelastet. Schon jetzt versucht ihm die Weinheimer Liste charakterliche Mängel anzudichten, was wirklich widerwärtig ist.
Und im kommenden Jahr sind voraussichtlich am 26. Mai Kommunalwahlen. Auch dafür sind stabile kommunale Verhältnisse wichtig. Es werden zwar die Gemeinderäte gewählt, aber die Wähler schauen sicher auch drauf, wer Bürgermeister ist und ob sie diese oder jede Fraktion stützen wollen. Das betrifft dann auch Dossenheim, wo im Frühjahr 2019 ein neuer Bürgermeister gewählt wird. Auch der noch amtierende Bürgermeister Hans Lorenz (CDU) muss sich mit der Sachlage in den Nachbargemeinden auseinandersetzen.
Wenn Herrn Bernhard seine Stadt was gilt – und auch seine bisherige Arbeit – dann sollte er in die Verlängerung gehen. Dafür hätte er jeden Respekt verdient und würde ein klares Zeichen für verantwortliches Handeln setzen und dieser “Störenfridi”, dass sie zwar stören kann, aber tatsächlich nichts lahmlegt. Er hätte für eine dritte Amtszeit kandidieren können, soweit wir wissen, ist er körperlich gesund – es wäre also machbar für ihn und auch zumutbar.
Aktualisiert nach Leserhinweis:
Wir haben eine Variante vergessen zu erwähnen. Natürlich könnte Herr Just auch Amtsverweser werden, wenn er seine “zwölf Jahre voll hat”, was wohl im Juli 2019 der Fall wäre, um seine Pensionsansprüche zu erhalten. Es bliebe aber das Risiko einer Neuwahl, falls die Wahlanfechtung erfolgreich wäre. Und jede Wahl ist offen.
Anm. d. Red.: Unsere Leserschaft weiß, dass wir mit Herrn Bernhard häufig sehr kritisch umgegangen sind – aus Gründen. Unsere aktuelle Analyse zeigt einen Weg auf, mit dem sich Herr Bernhard aus unserer Sicht über alle Maßen für die Gemeinde verdient machen könnte. Sollte er sich zur Geschäftsführung entscheiden. Zwar hatte er angekündigt, seinen Dienst zu beenden, aber dies kann er revidieren.