Weinheim, 02. Juni 2018. (red/pro) Sieben Kandidaten treten in Weinheim zur Oberbürgermeisterwahl an – einer ist Dr. Carsten Labudda, Stadtrat für Die Linke. Er gilt mit Manuel Just (parteilos) und Stella Kirgiane-Efremidou (SPD) als einer von drei ernst zu nehmenden Kandidaten, die am 10. Juni viele Stimmen in der großen Kreisstadt Weinheim auf sich ziehen werden. Ein Wahlziel hat er schon erreicht – soziale Themen in den Fokus zu rücken.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Labudda, was ist an Ihrem Wahlprogramm links?
Dr. Carsten Labudda: Zunächst mal, dass die soziale Frage für mich im Mittelpunkt des Ganzen steht. Und dass es mir grundsätzlich um eine Stadt geht, wo Platz für alle ist. Also nicht nur für die mit einem großen, sondern auch für die mit einem kleinen Geldbeutel und für die breite Mitte. Ich nenne da mal das Thema Familienpass oder der Versuch, das Modell eines Sozialtickets im Rahmen des Familienpasses unterzubringen. Da müsste man schauen, wie sich das in der Praxis machen lässt, aber wir haben ja mit Mannheim und Heidelberg auch Vorbilder, die schon mögliche Lösungen zeigen, an denen man arbeiten kann. Und ansonsten halt das große Dauerbrennerthema hier, dass bezahlbarer Wohnraum angegangen wird. Das sind Sachen, die würde ich als originär links betrachten.
Kennen Sie das Wahlprogramm von Herrn Just?
Labudda: Das sind relativ kurze Themensetzungen, aber wenig konkret.
Mein Ziel ist, meinen Positionen Gewicht zu verleihen
Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, die Wahl zu gewinnen?
Labudda: Da lasse ich mich überraschen. Je höher mein Ergebnis ist, desto mehr Gewicht werden meine Positionen haben, mit denen ich mich bewerbe. Dieser Wahlkampf ist für mich ein Instrument, meine Themen prominent zu platzieren. Egal, wer es letztlich wird, ist gezwungen, sich zu konkreten Themen zu verhalten. Das ist auch mit Anlass und Grund meiner Kandidatur.
Beispiele?
Labudda: Wie findet Ihr die Idee, Ortsteilmitarbeiter beim Bauhof? Sozialer Wohnungsbau: Was passiert mit den Flüchtlingsunterkünften, wenn die Bindung abläuft? Ich möchte, dass das im Beritt der Stadt bleibt und nicht veräußert wird. Weinheim braucht als Kommune mehr eigene Wohnungen – mit aktuell 337 Wohnungen kommt man nicht weit als Korrektiv.
Ich trete als Person an, nicht als Parteisoldat
Nach unserer Analyse ist Herr Just qua Qualifikation der Favorit. Frau Kirgiane-Efremidou kann mit einem großen Netzwerk und hoher Bekannheit punkten – der Kandidat Labudda steht für eine anerkannte politisch-intellektuelle Auseinandersetzung im Gemeinderat. Tatsächlich hat Die Linke nur zwei Sitze im Gemeinderat und entsprechend wenig Unterstützung. Die bürgerlichen Wähler aber werden für die Wahl entscheidend sein.
Labudda: Ich glaube, dass ich eine gewisse Breite repräsentieren kann, unabhängig davon, dass Herr Just CDU, Grüne und Freie Wähler hinter sich hat. Das ist natürlich ein Pfund, da komme ich vermutlich nicht gegen an. Trotzdem: Ich bin Ansprechpartner für die mit dem kleinen Geldbeutel und ich kann auch mit dem Bürgertum sehr gut, weil ich deren Sprache spreche. Ich sehe Politik immer als Art Übersetzung zwischen verschiedensten Milieus – das kann nicht jeder und ich kann das ganz gut. Mein Parteibuch wird nicht allen gefallen, aber ich trete ja nicht als Parteisoldat an, sondern als Person. Oberbürgermeisterwahlen werden von den Bürgern anders gesehen. Lassen wir uns überraschen.
Mein Programm ist bürgerlich – citoyen, nicht bourgeois
Zurück zu Ihrem Wahlprogramm. Die soziale Komponente ist klar lesbar, aber der Rest fühlt sich bürgerlich an.
Labudda: Die deutsche Sprache hat da ein Manko. Es gibt nur den Begriff bürgerlich. Im Französischen gibt es die Unterscheidung zwischen bourgeois und citoyen. Mein Programm ist nicht bourgeois, aber citoyen – das sind wir alle. Bürger im besten Sinne. Ich werde sicher nicht Hartz IV abschaffen und eine Grundsicherung für alle einführen – weil das ein Oberbürgermeister einfach nicht kann, das ist Bundesgesetzgebung. Ich gucke auf das, was man innerhalb der Kommune bewegen kann.
Das klingt bescheiden.
Labudda: Es wird gelegentlich kolportiert, ich würde mich unter Wert verkaufen. Das hat damit zu tun, dass ich nicht als Lautsprecher auftrete oder den Silberrücken rauskehre und andere unterbuttere, sondern dass ich mich gerne auch mal zurücknehme, wenn es der Sache dient. Wenn ich mir meine Erfolge ansehe – dafür, dass ich der kleinsten Gemeinderatsfraktion angehöre – ist das respektabel.
Ich suche immer den “common ground”
Beispiele?
Labudda: Dass es städtisches Bürgerbüro in der Weststadt gibt. Das war 2010 mein erster großer Erfolg. Oder die krass überfüllten Busse zur Bonhoeffer-Schule – die Verstärkerfahrt ab Großsachsen ist auf meine jahrelange Forderung zurückzuführen. Dass wir die Gewerbesteuer auf 380 Punkte angehoben haben, eine Zweitwohnsitzsteuer haben, die Mitarbeiter im Freibad keine Leiharbeiter mehr sind, sondern städtisches Personal, die Fahrradständer am S-Bahn-Halt Sulzbach, die Rettung des Bolzplatzes in der Klausingstraße. Das sind viele kleine Erfolge, was ich sehr schön finde.
Wie sehen Sie Ihre Stellung im Gemeinderat?
Labudda: 2009 wurde ich beäugt: Was ist denn das für einer? Dann hat sich schnell rausgestellt, dass ich einige Dinge anders sehe, aber mich konstruktiv einbringe. Das führt auch dazu, dass ich häufig fraktionsübergreifend Zustimmung erhalte. Ich halte es da mit Bernie Sanders, der sucht den „common ground“, um was voranzubringen. Es bringt mir nichts, auf jemanden einzuprügeln. Beispiel: Ratsinformationssystem. Das habe ich mit dem CDU-Stadtrat Pröhl vorangetrieben. Das kommt jetzt. Im Kommunalen ist das Parteibuch nicht entscheidend. Das ist der Stall, ansonsten kommt es auf pragmatische Lösungen an: Es gibt kein sozialistisches oder kapitalistisches Bahnhofsklo. Wichtig ist, dass es eines gibt, wo die Leute hingehen können.
Ich wäre der erste
Helfen Sie uns – gibt es in Westdeutschland einen Bürgermeister von Die Linke?
Labudda: (lacht) Ne, glaube nicht. Ich wäre der erste.
Digitalisierung kommt im Wahlprogramm nicht vor. Warum?
Labudda: Das ist vermutlich aus Betriebsblindheit hinten runtergefallen, weil das für mich selbstverständlich ist. Ich war mal Softwareentwickler und der Ausbau des schnellen Datennetzes habe ich im Kreistag mit vorangebracht.
Das Thema Verkehr ist auch top – was sind da Ihre Vorstellungen?
Labudda: Zunächst mal müssen wir 40 Wochen Schienenersatzverkehr überstehen, wenn Mannheimer Straße plus OEG-Haltestelle Bahnhof plus Postkreuzung als wichtigste überhaupt in der Stadt gemacht werden. Das wird für die Bürgerinnen und Bürger eine echte Zumutung, aber das muss gemacht werden. Mir ist wichtig, nicht die Autofahrer zu bestrafen, sondern andere Verkehrsträger attraktiver zu machen. Wir brauchen beispielsweise ein konkretes Radwegekonzept, denn für Radfahrer ist es nicht so schön in Weinheim. Der barrierefreie Zugang am Hauptbahnhof ist überfällig, kommt aber. Die Taktung der Buslinien muss besser werden. Bis heute haben wir Dieselbusse, die sind neu ausgeschrieben – wir haben jetzt zehn Jahre Zeit, später andere Antriebe einzusetzen. Ein kleine Utopie ist die Wiederaktivierung der Wormser Bahnlinie, die es noch gibt, die aber in Viernheim endet. Das würde eine bessere Anbindung ergeben und auch weniger Autos in Richtung Miramar erzeugen – mit über 600.000 Besuchern im Jahr ist das Freizeitbad ein großer und wichtiger Magnet für die Stadt. Dann gibt es noch einen Verkehr, den man einsparen kann. Der Bauhof steht vor Umstrukturierungen. Ein weitere Zentralisierung sorgt für viel Verkehr, den man sich mit Ortsteilmitarbeitern sparen könnte. Kurze Dienstwege bedeuten weniger Verkehr.
Die Teilortswahl gibt eine trügerische Sicherheit
Wie halten Sie es mit der unechten Teilortswahl?
Labudda: Da sollte man drangehen. Bislang stehen wir dazu, weil es den Ortsteilen die Sicherheit gibt, im Gemeinderat vertreten zu sein. Das wurde Anfang der 70-er Jahre eingeführt, um eine Vertretung der eingemeindeten Ortsteile zu haben. Aktuell haben das aber nur noch 40 Prozent der Gemeinden, wo das mal eingeführt worden ist. Das ist also auf dem Rückzug. Es wurde wissenschaftlich untersucht, welche Auswirkung das hat: Und es kam raus, dass im Schnitt die Ortsteile nach der Abschaffung sogar besser dastehen.
Wie das?
Labudda: In den Ortsteilen ist die Wahlbeteiligung signifikant höher. Beispiel: Ritschweier 60 Prozent, Weststadt 35 Prozent Wahlbeteiligung. Die Bürger tendieren dazu, unabhängig vom Parteibuch Leute aus dem Ortsteil zu wählen. Wenn man die unechte Teilortswahl ersetzt, ist zwar die Sicherheit, vertreten zu sein, nicht mehr da, aber die Wahrscheinlichkeit noch besser vertreten zu sein, höher als heute. Weiter erzeugt die unechte Teilortswahl, weil kompliziert, viele ungültige Stimmen, also rund 6 Prozent gegenüber sonst zwei Prozent oder weniger. Über das Für und Wider muss man einfach transparent reden. Man muss die Menschen mitnehmen. Ortschaftsräte müssten nicht abgeschafft werden und für Stadtteile der Kernstadt, die jetzt keine Vertretung haben, könnte man eine stadtteilbezogene schaffen.
Welche konkreten Vorstellungen haben Sie, um die kommunalen Finanzen zu verbessern?
Labudda: Ich bin der einzige Kandidat, der bei der BI Breitwiesen war und dazu stehe ich. Ich habe aber die Entwicklung Hintere Mult mitgetragen, weil die seit 2004 im Flächennutzungsplan als Gewerbegebiet angelegt ist und es ist ein abgeschlossenes Gebiet. Breitwiesen ist offen, es verlockt einfach, sich mittel- bis langfristig alles zuzubauen. Ich bin dafür am Thema Tiefgewann dranzubleiben, das ist kompliziert, aber es bietet sich an durch direkten Anschluss an Gewerbe und Bahn sowie die Erschließung an die Westtangente. Gewerbeentwicklung muss sein, aber nur mit Augenmaß und so, dass sich die Bürger noch wohlfühlen in der Stadt.
Zur Person:
Dr. Carsten Labudda (42) hat 2014 als Germanist promoviert. Er wuchs in Mecklenburg-Vorpommern auf und lebt seit 1991 in Weinheim. Seit 1994 ist er Mitglied von Die Linke und seit 2009 Stadtrat. Er nutzt ÖPNV und Fahrrad, weil er nie den Führerschein gemacht hat. Er arbeitet als Teamleiter für das Betreute Wohnen in einer sozialen Einrichtung der Jugendhilfe in Weinheim.
Unser Marktplatz ist doch richtig geil
Auch Tourismus bringt Geld und Arbeitsplätze – ist eine Steigerung möglich?
Labudda: Ganz klar. Hier spielt das Thema Hotelneubau eine Rolle, da müssen wir ran, auch gegen Widerstände. Wir können als Satellit von Heidelberg noch mehr rausholen für uns, aber nicht nur in Weinheim, sondern als Bergstraße insgesamt. Und mal ehrlich: Unser Marktplatz ist doch richtig geil, Gerberbachviertel, der Exotenwald, der Schloßpark und der Hermannshof hat es gar auf Arte geschafft als einer sechs tollsten Gärten der Welt. Da haben wir doch richtig was zu bieten.
Wie beurteilen Sie die Schullandschaft?
Labudda: Da muss man dem scheidenden Oberbürgermeister Heiner Bernhard lassen – hier wurde viel investiert in den vergangenen Jahren und wir sind beim Thema Bildung ein richtig guter Schulstandort oder das Übergangsmanagement Schule-Beruf ist vorbildlich. Hier ist ein großes Thema die Digitalisierung. Mir fehlen noch Ganztagsangebote. Traurig fand ich, wie das Projekt Pestalozzi-Schule, an dem die Lehrer drei Jahre mit Herzblut gearbeitet haben, mit einer Stimme gekippt worden ist. Da gehe ich wieder ran. Das Thema Ganztagsschule wird vom Land getragen – da können Eltern und die Kommune Geld sparen.
Wir brauen ein Integrationskonzept
Das Thema Flüchtlinge ist ebenfalls top und bleibt noch viele Jahre erhalten – sind Sie mit den Lösungen zufrieden?
Labudda: Besser geht immer. In Weinheim läuft es vergleichsweise gut. Sehr wichtig war, von Anfang an auf eine möglichst dezentrale Unterbringung zu setzen. Viele Leute auf einem Haufen führt nur zu Konflikten. Uns ist die Verteilung einigermaßen gelungen. Ganz wesentlich ist, dass die Ehrenamtlichen am Ball bleiben. Die erhalten von mir Unterstützung, hier kann man die kommunale Unterstützung noch deutlich verbessern. Und wir brauchen ein Integrationskonzept, das habe ich jetzt auch beantragt. Das soll nach der Sommerpause kommen. Die Flüchtlinge, die Ehrenamtlichen und die Anwohner müssen wissen, was auf sie zukommt, wenn die neuen Unterkünfte zum Jahresende bezogen werden. Ich bin der einzige Stadtrat, der bei allen Standortdebatten vor Ort war.
Wie stehen Sie zu einer stärkeren interkommunalen Zusammenarbeit?
Labudda: Da gibt es viel zu tun. Thema Gewerbesteuer. Hier sind interkommunale Gewerbegebiete spannend, aber das ist sehr komplex. Ebenso der ÖPNV in der Metropolregion, wo oft die Kommunen zu wenig Gehör finden. Es gibt hier ein strukturelles Problem: Gemeinderäte machen ein Ehrenamt und selbst, wenn man sich wie ich sehr engagiert, bleibt das ein Zeit- und Kompetenzproblem. Da wird es immer Reibungsverluste geben, die nur durch sehr gute Verwaltungsarbeit auszugleichen ist, um die Gemeinderäte transparent und umfassend zu informieren.
Man muss ich Gespräch bleiben
Bürgerbeteiligung schätzen Sie, das wissen wir, aber was ist mit den „Berufsbürgern“?
Labudda: Das ist schwer. Ich finde es erst Mal gut, dass sich die Leute einbringen. Aber manchmal ist das sehr anstrengend. Man muss immer sachlich bleiben und darf sich nicht auf emotionale Ebenen einlassen, Beispiel: Windkraft. Ich bin ein großer Unterstützer der Windkraft, trotzdem aber mit der BI Gegenwind im Gespräch. Man muss vernünftige Standorte finden und das ist hier schwierig. Mein Weg ist, dass ich verständlich machen will, zwischen mir als Person und als Repräsentant zu unterscheiden – das sind unterschiedliche Rollen.