Weinheim, 25. Mai 2019. (red/pro) Der Amtsantritt von Oberbürgermeister Manuel Just verläuft mit vollem Programm. In der ersten Ausschusssitzung ließ er in einem Abstimmungsmarathon über 60 Beschlüsse fassen. Und Top-Thema der ersten Gemeinderatssitzung war die Entscheidung für das neue Gewerbegebiet “Hintere Mult”. Die Gegner verlangten Vertagung – doch der OB ließ den Tagesordnungspunkt stehen und abstimmen. Mit 24 Ja- und 14-Nein-Stimmen wurde dieser klar mehrheitlich entschieden – doch zuvor gab es einen völlig unangemessenen Frontalangriff der Grünen durch Stadtrat Hans-Ulrich Sckerl auf den OB.
Von Hardy Prothmann
RNB-Leserinnnen und -Leser wissen, dass ich gerne kritische und offene Worte wähle, wenn es sein muss. Aktuell muss das sein: Herr Hans-Ulrich Sckerl, schämen Sie sich. Sie sind ein aggressiver Populist und eine Entschuldigung beim Oberbürgermeister Manuel Just wäre mehr als angebracht!
Was ist passiert?
Am 22. Mai 2019 leitet der neue Oberbürgermeister Manuel Just seine erste Gemeinderatssitzung im Rolf-Engelbrecht-Haus. Draußen wird gebaggert und gebohrt, auf der Straße demonstrieren Bauern und andere gegen Tagesordnungspunkt 4 – “Bebauungsplan Nr. 1/207-17 für den Bereich Hintere Mult”. Sie wollen keine weitere Bodenversiegelung von Ackerland.
OB Just hört sich die Argumente der Protestler an, und leitet zunächst eine nicht-öffentliche Sitzung zu Personalangelegenheiten. Pünktlich um 18 Uhr eröffnet er die Sitzung mit einer langen Erklärung (Dokumentation siehe Ende des Artikels). Rund 150 Bürger sitzen im Zuschauerbereich. Herr Just weist darauf hin, dass die Sitzung, auch gesetzlich, nicht gestört werden darf, weder durch Beifall noch durch Unmutsbekundungen. Er bittet höflich, aber bestimmt, sich daran zu halten und zeigt dann, was sein “Regierungsstil” ist und sein wird – er fordert die Gegner des Bauprojekts auf, Plakate, sofern vorhanden jetzt, vor der eigentlichen Sitzung hochzuhalten, damit die Gemeinderäte sich ein Bild machen können. Ein großes Transparent wird gezeigt.
Herr Just müsste so etwas nicht machen. Und als es doch zu hörbaren Reaktionen im Publikum und durch die Stadträte kommt, bittet er weiter höflich, die Sitzungsordnung zu achten. Er könnte auch anders – sitzungspolizeilich kann er einzelne des Saales verweisen oder auch ganz räumen lassen. Durch seine verbindliche und höfliche Art erreicht er, dass es weitgehend ruhig bleibt.
Viel heiße Luft und postfaktische “Argumente”
Als er TOP 4 aufruft, stellt Hans- Ulrich Sckerl einen Geschäftsordnungsantrag zur Vertagung dieses Tagesordnungspunktes. namens der GAL-Fraktion. Er begründet:
“Eine der wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre treibt die öffentliche Diskussion. Eine wachsende Zahl der Bürger ist zunehmend verunsichert, aufgewühlt und verärgert über die Entscheidung vor der Gemeinderatswahl. Sie sind nicht bereit, das zu akzeptieren, die Bürger verlangen aus unserer Sicht zu recht, mehr beteiligt zu werden, das waren sie aus unserer Sicht im bisherigen Formelverfahren nicht. Wir sind der Meinung, dass in der heutigen Zeit ein Gemeinderat sich nicht über eine wachsende Zahl von Protesten und Wortmeldungen aus der Bürgerschaft hinwegsetzen kann. Die Bürger möchten eine andere Art von Konsens und Lösungsfindung, als Sie uns heute präsentieren. Wir sind der Überzeugung, dass wir es uns gerade nicht erlauben können, mit einer heutigen Entscheidung, was von den Bürgern als Hauruck-Verfahren verstanden würde, vorhandene Gräben noch weiter zu vertiefen, verbrannte Erde und zahlreiche Bürger zurückzulassen, die sich als Verlierer fühlen würden, das schafft Politikverdrossenheit, von der wir schon zu viel haben.
Sie haben die große Chance, die Stadt in dieser Frage wieder zusammenzuführen und gemeinsam eine faire Lösung zu suchen. Sie dürfen jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass Sie sich hinter einer vermeintlich starken Mehrheit des Gemeinderats verstecken würden. Sie müssen selbst das Gespräch suchen und zwar mit allen Beteiligten. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie in der Lage sind, die Stadtgesellschaft in dieser Frage zusammenzuführen. Wir brauchen unbedingt Konsens statt Spaltung. Der Bebauungsplan ist keineswegs so entscheidungsreif, wie es die Verwaltung im Vorfeld der heutigen Sitzung behauptet. Da gibt es eine Vielzahl von Fragen, die wir haben und dazu gehört nicht zuletzt die Tatsache, dass es im Ehrenamt schier unmöglich gewesen ist, einen Papierberg von rund 1.800 Seiten angemessen und sozusagen auf Augenhöhe zu bearbeiten und abwägen zu können. Das muss ein Gemeinderat aber können, er muss ein gutes Gefühl und eine Sicherheit haben, das haben wir nicht. Es gibt viele Zweifel am Umlegungsverfahren, obwohl das sicherlich rechtsstaatlich eingeleitet worden sind, aber es gibt neue Rechtssprechung dazu. Und wir haben Landwirte, die extrem verunsichert sind und das ist eine ungute Entwicklung für diese Stadt. Die Landwirte haben etwas besseres verdient, als als ewige Nörgler dargestellt zu werden.
Wir wollen, dass Unternehmen gute Erweiterungsmöglichkeiten haben, aber bitte nicht mit dem Verfahren, wie wir es hatten. Was haben die davon, wenn ein Normenkontrollverfahren sich über Jahre hinzieht, das wäre ein Bärendienst. Aus unserer Sicht ist der kommende Gemeinderat für eine Entscheidung legitimiert.”
Souveräne Reaktion
Herr Just antwortet souverän und lässt die Angriffe an sich abperlen. Er betont, wie intensiv er sich eingearbeitet hat und stellt fest, dass es keine neuen Argumente gibt und ein Kompromiss nicht erkennbar ist. Daher sei eine Vertagung aus seiner Sicht nicht erforderlich, weil es den Prozess nur verlängern würde. Die anderen Fraktionen positionieren sich. Der Geschäftsordnungsantrag wird abgestimmt, nur 12 von 38 stimmen dafür, damit ist dieser abgelehnt. Bei der Abstimmung über TOP 4 stimmen CDU (eine Abweichung Frau Tröscher), SPD und Freie Wähler, Dr. Carsten Labudda sowie der Oberbürgermeister für den Bebauungsplan. 24 Stimmen sind klar die Mehrheit gegenüber 14, die ablehnen.
Analyse: Viel Blödsinn erzählt
Entscheidend ist, sich den Vortrag von Herrn Sckerl analytisch anzuschauen. Was sagt er? Welche Fakten trägt er vor? Ist er tatsächlich an Konsens interessiert? Die Fragen lassen sich einfach beantworten: Herr Sckerl bringt viele heiße Luft statt Fakten vor. Woher weiß er, wie viele Bürger das sind, von denen er spricht? Bei der Demo vor der Sitzung waren es rund 80 – ist das die “wachsende Zahl”? 80 von 45.000 Weinheimer Bürgerinnen und Bürgern? Er redet irgendwas von anderen Verfahren, um eine Entscheidung herbeizuführen – was soll das sein? Der Gemeinderat ist das Hauptorgan der Stadt und entscheidet. Und selbstverständlich ist der aktuelle Gemeinderat viel legitimierter zu entscheiden, da dieser das Verfahren zwei Jahre lang begleitete – im neuen Gemeinderat werden einige neue Stadträte sitzen, die von diesem Verfahren überhaupt keine Ahnung haben, noch nicht mal von der Gemeinderatsarbeit an sich.
Indem er meint, der OB hätte “die große Chance, die Stadt wieder zusammenzuführen”, gleichzeitig aber weiß, dass der OB entscheiden lassen wird, ist der Schluss klar: Chance nicht genutzt, Unfrieden auf alle Zeit gestiftet, der neue OB ist damit aus Sicht von Herrn Sckerl ein Spalter, zudem ein feiger, der “sich hinter einer Gemeinderatsmehrheit versteckt”.
Herr Sckerl weiß, dass er Blödsinn vorgetragen hat, aber er ist ein politischer Profi, seit langem Landtagsabgeordneter und geübt in der Vernichtung des politischen Gegners durch Halbwahrheiten, Unterstellungen und Verdrehungen. Beispiel: Der Leiter des Amts für Stadtentwicklung, Sven-Patrick Marx, erläutert nach dem Vortrag nochmals die Verfahrensschritte und geht dabei auch auf einen Fehler ein – bei der ersten Offenlage hatte man einen Feiertag übersehen und deshalb einen Tag zu kurz ausgelegt, also wurde die Offenlage erneut durchgeführt, mithin der Zeitraum zum Vorteil von allen, die Eingaben machen wollten, verlängert.
Ganz offenbar hat eben keine große Zahl von Bürgern, die Herr Sckerl zudem charakterisiert, als seien sie willenlose Schafe, Kritik an dem Verfahren und am Vorhaben vorgebracht, sonst wäre der “Widerstand” deutlich sichtbarer gewesen. Auch ein Bürgerentscheid hätte beantragt werden können, warum haben sich dafür nicht ausreichend Bürger finden lassen?
Herr Sckerl meint, man habe eine Vielzahl von Fragen – die hätte er alle stellen können, hat er aber nicht. Stattdessen lamentiert er, kein ehrenamtlicher Gemeinderat sei in der Lage, 1.800 Seiten zu lesen, um gut vorbereitet zu sein. So ein Quatsch. Zwei Jahre dauerte das Verfahren, es gab über ein halbes Dutzend Sitzungen und jeder einigermaßen aufmerksame Gemeinderat konnte sich vernünftig in die Materie einarbeiten. Und wer hat den Bebauungsplan im wesentlichen ausgearbeitet, beziehungsweise, wer trug die Verantwortung? Der “grüne” Erste Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner. Auch den schießt Herr Sckerl an – im Vorfeld der Wahl, um sich als heroischer Kämpfer für eine übergangene Bürgerschaft zu inszenieren.
Herr Sckerl ist es, der Politikverdrossenheit erzeugt mit seiner postfaktischen Polemik, die genau eins ist, durch und durch populistisch. Zudem galt die Attacke dem neuen Oberbürgermeister, vielleicht auch, weil dieser auf der CDU-Liste für den Kreisrat kandidiert, sehr zum Ärger der Grünen, die Herrn Just im Wahlkampf noch unterstützt hatten.
Erbärmliches Verhalten
Wirklich erbärmlich war das Verhalten von Herrn Sckerl – während er vortrug, verfolgten Herr Just, Herr Dr. Fetzner und Herr Marx sehr konzentriert und damit respektvoll. Als sie antworteten, futterte Herr Sckerl ein Brötchen und daddelte auf seinem Smartphone herum, ohne Blick in Richtung des jeweiligen Sprechers. Das ist nicht nur keine gute Kinderstube, sondern geradezu verächtlich.
Ich bringe meinen jungen Kollegen bei, genau zuzuhören, was jemand sagt und sich zu überlegen, was die Person über sich selbst aussagt. Das ist in diesem Fall ein Volltreffer – Herr Sckerl ist es, der verunsichern will, er ist es, der rechtsstaatliche Verfahren verächtlich machen will, er ist es, der einem absolut herausragenden Sitzungsleiter wie OB Just Kompetenz und Stil absprechen will, er ist es, der Politikverdrossenheit fördern will, weil er weiß, dass viele Bürger, uninformiert, wie sie sind, nur dann erreicht werden, wenn man am lautesten schreit. Darin unterscheidet sich Herr Sckerl in nichts von AfD-Politikern.
Dokumentation des Vortrags von Herrn Oberbürgermeister Just wie durch seine Pressestelle zugesendet:
Mit dem Tagesordnungspunkt 4 meiner heutigen ersten öffentlichen Gemeinderatssitzung als Oberbürgermeister der Stadt Weinheim rufe ich zugleich sicherlich einen der kontroversesten, wenn nicht gar den kontroversesten Tagesordnungspunkt der letzten Monate auf.
Ja, ich gebe es zu, ich hätte mir einen anderen Start in die Gremienarbeit gewünscht – und nein, ich darf dem oftmals kolportierten Vorwurf widersprechen, Torsten Fetzner hätte mich von diesem Thema befreien sollen!
Auch wenn eine solche Entscheidung schwerwiegender Natur ist und damit schwer zu treffen ist, entziehe ich mich keineswegs dieser Verantwortung, auch wenn es im Rahmen meiner eigenen Arbeitsbelastung der vergangenen Tage nicht einfach war, in dieses Thema so umfassend einzusteigen wie es sich gehört, um dann auch in der Lage zu sein eine finale Entscheidung treffen zu können.
Doch Sie dürfen sich alle sicher sein, dass mir genau dies gelungen ist.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle Ihnen meine gewonnene Perspektive auf den Sachverhalt widerzugeben. Und erlauben Sie mir an dieser Stelle mit Blick auf die gebotene Sitzungseffizienz eine eher pointierte Aufbereitung.
Im Wesentlichen ergeben sich für mich zwei Fragestellungen:
Einerseits die Frage, ob ich das Thema – wie von einigen vorgeschlagen –von der heutigen Tagesordnung hätte nehmen sollen?
Und andererseits wie ich mich zu dem Thema inhaltlich verhalten soll?
Thema von der Tagesordnung?
Zunächst zur heutigen Behandlung:
Der aktuelle Gemeinderat hat sich über Jahre hinweg, um es genau zu sagen, seit dem Aufstellungsbeschluss vom 05. April 2017 mit dem Thema auseinandergesetzt und verfügt in meiner Wahrnehmung über die gebotene – um nicht zu sagen über die erforderliche und allumfassende Detailkenntnis.
Ein Absetzen des Themas hätte zwangsläufig zur Folge, dass der neugewählte Gemeinderat – vielleicht mit einem nicht unerheblichen Teil neuer Mitglieder – erst nach seinem Konstituieren über ein nicht von ihm platziertes Thema befinden müsste.
Fernab dieser kommunalrechtlichen Ausgangslage würde ich eine Vertagung dann für zielführend erachten, wenn entweder neue Erkenntnisse zu erwarten wären oder ein Kompromiss – sprich ein aufeinander zubewegen – erkennbar wäre.
Werte Zuhörerinnen und Zuhörer,
beides kann ich nicht erkennen.
In meinen Augen sind die Argumente (die im Übrigen auf beiden Seiten durchaus nachvollziehbar sind) ausgetauscht.
Mehr noch fehlt mir der Glaube, dass ein Kompromiss gefunden werden kann, der allen gerecht wird. Die Kompromissbereitschaft – auf beiden Seiten – ist (leider) überschaubar.
Untermauert wird diese Einschätzung wenn man sich vergegenwärtigt, welche Beteiligungsprozesse im Zuge des Planverfahrens angewandt wurden.
Neben der gesetzlich normierten Beteiligung im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung und zwei Offenlagen gab es u. a. das Angebot eines Hearings sowie ein Fraktionsgespräch.
Ergänzend haben Befürworter sowie Kritiker des Gebiets Informationsveranstaltungen abgehalten, Broschüren veröffentlicht und sich mit Hilfe der lokalen Medien über die unterschiedlichen Positionen ausgetauscht.
Ich glaube von einem Informationsdefizit oder einer verfrühten Entscheidung kann mit Blick in die Reihen der verantwortlichen Akteure wahrlich nicht die Rede sein.
Auch das hin und wieder vorgetragene Argument, ich solle die Hintere Mult in der von mir ins Gespräch gebrachten Zukunftswerkstatt „entscheiden lassen“, um glaubwürdig zu bleiben, halte ich – mit Verlaub – final betrachtet für wenig stichhaltig.
Um Missverständnisse zu vermeiden:
Ich halte die Zukunftswerkstatt in der Tat noch immer für wichtig!
Und wir werden diese auch gemeinsam durchlaufen.
Allerdings habe ich auch im Rahmen meines Wahlkampfes immer betont, dass ich die Hintere Mult, was den Mehrheitswillen des Gemeinderats angeht, für “gesetzt” – und damit letztendlich für alternativlos erachte.
Zur Erinnerung: Diese Haltung habe ich bereits bei der Podiumsveranstaltung im Rolf-Engelbrecht-Haus am 13. Mai 2018 eingenommen.
D.h. nach meinem Verständnis aber weiterhin auch – und das möchte ich betonen – dass die Frage nach weiterem Flächenverbrauch selbstverständlich mit Blick auf eine weitere Flächenversiegelung mit der Einwohnerschaft intensiv diskutiert werden muss.
Hierfür gebe ich Ihnen schon heute mein Wort!