Stuttgart, 30. Juli 2015. (red/ms) Baden-Württemberg gehört deutschlandweit zu den Schlusslichtern, was Informationsfreiheit und Transparenz bei öffentlichen Behörden angeht – daran wird sich vorerst auch nichts ändern. Zumindest ist Dr. Manfred Redelfs, Experte für Informationsfreiheit beim Journalistenverband Netzwerk Recherche, davon überzeugt. Aktuell hat das grün-rote Kabinett einen Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt und verkauft das als „großen Fortschritt“. Laut Dr. Redelfs sei der Entwurf dagegen „in vielerlei Hinsicht enttäuschend und alles andere als modern“.

Der Landtagsabgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, sagt von sich selbst, er sei bei den Verhandlungen zum Informationsfreiheitsgesetz federführend gewesen.
Von Minh Schredle
Die grün-rote Landesregierung hat den Entwurf zum Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zur Anhörung freigegeben. Mit dem IFG soll ein zentrales Versprechen aus dem Wahlkampf der Grünen und eine Festlegung im Koalitionsvertrag umgesetzt werden: Den Bürgern freien Zugang zu Informationen, die öffentliche Verwaltungen erheben, zu verschaffen.
Nur gut informierte Bürgerinnen und Bürger sind auch in der Lage, engagiert und kompetent mitzugestalten,
sagten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) und Innenminister Reinhold Gall (SPD) in einer gemeinsamen Presseerklärung vom vergangenen Dienstag.
Endlich auf Augenhöhe?
Der Weinheimer Abgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, hat das Gesetz nach eigenen Angaben „federführend“ und „mit langem Atem“ über zwei Jahre hinweg verhandelt. Er sagt:
Wir bringen die Bürger und die öffentliche Verwaltung endlich auf Augenhöhe. Das ist Zeichen einer bürgernahen Verwaltung und offenen Gesellschaft.
Doch nicht alle teilen diese Euphorie – Dr. Manfred Redelfs, der Experte für Informationsfreiheit beim Journalistenverband Netzwerk Recherche, sagt gegenüber dem Rheinneckarblog, der Gesetzesentwurf sei enttäuschend und unterbiete Standards, die es in anderen Bundesländern schon seit Jahren gebe.
Baden-Württemberg hinkt als Nachzügler weiter hinterher

Dr. Manfred Redelfs ist Experte für Informationsfreiheit beim renommierten Journalistenverband „netzwerk recherche“. Der Gesetzesentwurf der grün-roten Landesregierung ist in seinen Augen eine „große Enttäuschung“.
Baden-Württemberg ist ein Nachzügler, was Informationsfreiheit angeht: Auf Bundesebene gibt es bereits seit 2006 ein Informationsfreiheitsgesetz. In elf von sechzehn Bundesländern existiert eine entsprechende Regelung, die Bügerinnen und Bürgern den Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung gewährt – Baden-Württemberg gehört bislang nicht dazu. Doch das soll sich noch in dieser Legislaturperiode ändern.
Bis zu den Landtagswahlen im März 2016 verbleiben nur noch wenige Monate. Erst am vergangenen Dienstag wurde der Gesetzesentwurf zur Anhörung freigegeben. Dr. Manfred Redelfs glaubt nicht daran, dass es in dieser knappen Zeitspanne noch zu grundlegenden Verbesserungen im Gesetzesentwurf kommen wird – und die sind aus seiner Sicht dringend notwendig:
Das Gesetz ist eine Mogelpackung. Von größtmöglicher Transparenz, die im Koalitionsvertrag versprochen wurde, kann jedenfalls keine Rede sein – es ist bedauerlich, wie wenig in Baden-Württemberg möglich ist.
Besonders stören Dr. Redelfs die Festlegungen in Paragraph 2, Absatz 3 des Gesetzesentwurfs. Dort heißt es:
„(3) Das Gesetz gilt nicht gegenüber
1. dem Landesamt für Verfassungsschutz und den sonstigen öffentlichen Stellen des Landes, soweit sie nach Feststellung der Landesregierung gemäß § 35 des Landessicherheitsüberprüfungsgesetzes Aufgaben von vergleichbarer Sicherheitsempfindlichkeit wahrnehmen,
2. den Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung, Hochschulen nach § 1 des Landeshochschulgesetzes, Schulen nach § 2 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg sowie Ausbildungs- und Prüfungsbehörden, soweit Forschung, Kunst, Lehre, Leistungsbeurteilungen und Prüfungen betroffen sind, und
3. der Landesbank Baden-Württemberg, der Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank –, den Sparkassen sowie ihrer Verbände und Verbundunternehmen, den Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, der Freien Berufe und der Krankenversicherung.“
Laut Dr. Redelfs sei es völlig unverständlich, weswegen so viele Einrichtungen und Institutionen von der Auskunftspflicht befreit werden. „Ausnahmeregeln sollten immer so präzise wie möglich sein“, sagt er:
Bei den Hochschulen wäre es, wie in einigen anderen Bundesländern praktiziert, leicht möglich, nur den Schutz von Forschung und Lehre zu wahren, aber alle reinen Verwaltungsinformationen – zum Beispiel die Anzahl der Stellen und Studienplätze – unter das Gesetz zu fassen.
So aber würden Informationen unter Verschluss bleiben, bei denen es keinen naheliegenden Grund zur Geheimhaltung gebe.
„Viel zu schwammig“
Dr. Redelfs kritisiert außerdem verschiedene Feinheiten in den Formulierungen, die vermutlich nur Juristen auffallen – die aber in der Rechtssprechung große Auswirkungen haben können: Auf Bundesebene heißt es beispielsweise, dass eine Auskunft verwährt werden kann, wenn etwa die öffentliche Sicherheit „gefährdet“ ist. Im Entwurf für Baden-Württemberg bleiben die Informationen schon dann unter Verschluss, wenn die Herausgabe „nachteilige Auswirkungen“ auf die öffentliche Sicherheit haben könnte. Dr. Redelfs sagt dazu:
Diese Formulierung ist sehr viel schwammiger und lässt viele Möglichkeiten offen, einen Grund zur Verweigerung zu konstruieren.
Was als genau als „nachteilige Auswirkung“ gilt, wird im Gesetzestext nicht weiter definiert. „Wenn Behörden eine Information also partout nicht herausgeben wollen, werden sie einen Grund finden, um die Herausgabe zu verweigern. Und der Gestetzestext lässt diese Möglichkeit offen.“
Warum nicht abwägen?
Empfehlungen aus den Erfahrungen anderer Bundesländer würden in Baden-Württemberg „einfach ignoriert werden“, wirft Dr. Redelfs dem grün-roten Kabinett vor. Beispielsweise sollen Geschäftsgeheimnisse generell unter Verschluss bleiben. „Das ist an sich nichts Schlechtes,“ sagt er: „Aber in anderen Bundesländern gibt es eine Abwägungsklausel im Gesetz: Wenn das öffentliche Interesse an der Herausgabe einer Information größer ist als das Schutzinteresse eines Unternehmens, muss Transparenz hergestellt werden – nicht in Baden-Württemberg.“

Ein Auszug aus dem Koalitionsvertrag: Versprechen und Wirklichkeit.
Ihm sei kein einziger Fall bekannt, in dem eine Abwägungsklausel negative Auswirkungen gehabt habe, sagt Dr. Redelfs. In Baden-Württemberg argumentiere man damit, die Wirtschaft dürfe nicht beeinträchtigt werden. Doch in Berlin, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo es entsprechende Abwägungsklauseln gibt, seien keine Nachteile für die Wirtschaft bekannt geworden.
Abschreckende Gebühren?
Die Liste an Kritikpunkten ist lang. Wenn eine Anfrage eingeht, sollen Behörden in Baden-Württemberg diese grundsätzlich innerhalb von einem Monat beantworten. In „begründeten Ausnahmefällen“ soll diese Frist laut Gesetzesentwurf allerdings auf drei Monate verlängert werden können. „Auch das gibt es sonst in keinem anderen Bundesland,“ kommentiert Dr. Redelfs. Überall sonst sei die Frist auf nur zwei Monate festgelegt worden.

Ministerpräsident Kretschmann verspricht eine Politik des Gehörtwerdens – ausgerechnet beim Gesetzesentwurf für Informationsfreiheit wurde die Bevölkerung gar nicht erst gefragt.
Nicht der einzige Sonderfall: In Baden-Württemberg soll Behörden die Möglichkeit gewährt werden, für ihre Auskunft eine vollständige Kostendeckung durch den Antragsteller in Rechnung zu stellen. In anderen Bundesländern ist eine Gebührenobergrenze, meistens bei 500 Euro, festgelegt. Dr. Redels sagt dazu:
Leider befürchte ich, dass unwillige Ämter die Kostenkeule nutzen werden, um unliebsame Anfragen abzuwehren.
Hans-Ulrich Sckerl sagt dazu:
Entstehen Kosten von über 200 Euro, weil die Recherche einer Frage sehr aufwendig ist, muss die Behörde der antragstellenden Person einen entsprechenden Kostenvoranschlag kostenfrei zu übermitteln. Anträge gegenüber Landesbehörden sind in einfachen Fällen nicht mit Gebühr belegt.
Es werde damit gerechnet, dass 80 Prozent aller Anfragen ohne Gebühren beantwortet werden können. Laut Dr. Redelfs klinge dies zwar zunächst wie ein „nettes Zugeständnis“. Allerdings ergebe sich diese Regelung bereits aus dem allgemeinen Verwaltungskostenrecht und stelle deshalb nicht den Fortschritt dar, als der diese Regelung verkauft werde.
Jetzt sollen aktiv Pressemitteilungen veröffentlicht werden
Im Koalitionsvertrag wird behauptet, man werde das Regierungshandeln daran orientieren, „die zugrunde liegenden Daten und Dokumente weitestmöglich öffentlich zugänglich zu machen“ und wolle dabei dem „Grundsatz Open Data“ folgen. Das würde bedeuten, dass Informationen nicht erst auf Anfrage herausgegeben werden, sondern aktiv von Verwaltungen und frei zugänglich für jedermann veröffentlicht werden.

Aus dem Gesetzentwurf: Viele der Informationen, die aktiv veröffentlicht werden sollen, sind laut Dr. Redelfs eigentlich Selbstverständlichkeiten – etwa Pressemitteilungen.
Tatsächlich gibt es im Gesetzesentwurf eine umfangreiche Liste von Informationen, die fortan aktiv veröffentlicht werden. Dabei handle es sich laut Dr. Redelfs allerdings „weitestgehend um Selbstverständlichkeiten“:
Das grenzt teilweise an Realsatire. Beispielsweise wird explizit aufgeführt, dass Pressemitteilungen veröffentlicht werden.
Insgesamt ist der Gesetzesentwurf nach dem Fazit des Experten also eine große Enttäuschung: „Ich hätte mir deutlich mehr erwartet. Vor allem von einer Landesregierung, die ständig betont, wie hoch sie es mit Transparenz und Bürgerbeteiligung hält. Die Bürgerschaft wurde bei diesem Gesetzesentwurf übringes überhaupt nicht miteinbezogen.“
„Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet“
Letzendlich sei das eingetreten, was man schon lange befürchtet hatte:
Die schlechten Eckpunkte vom November 2014 wurden jetzt in einen schlechten Gesetzestext umgewandelt.
Der Gesetzestext sei zwar immer noch eine Verbesserung zum aktuellen Zustand – „auch eine schlechte Regelung ist besser als gar keine Regelung“. Aber die Regierung habe die Chance verpielt, einen Maßstab zu setzen und ein modernes Gesetz auf den Weg zu bringen.
In Baden-Württemberg gibt es schon seit 1994 ein Umweltinformationsgesetz, das eine EU-Richtlinie von 1990 umsetzt. Laut Dr. Redelfs sei sogar dieses Gesetz ist deutlich fortschrittlicher, als das, was jetzt beschlossen werden soll. Denn dort gebe es eine Abwägungsklausel und die Frist für eine Auskunft liege bei maximal zwei Monaten. Beschwerden oder Widerstand aus der Verwaltung habe es vor über 20 Jahren offenbar keine gegeben.