Rhein-Neckar/Stuttgart, 26. Januar 2015. (red/ms) Im Landtagswahlkampf warben die Grünen 2011 mit einem Informationsfreiheitsgesetz: Amtliche Daten und Informationen sollten bedingungslos für jedermann transparent zugänglich gemacht werden. Nach nunmehr fast vier Jahren Regierungszeit gibt es ein „Eckpunktepapier“, aber keinen Gesetzesentwurf. Davon, größtmögliche Transparenz zu schaffen, ist man weit entfernt.
Von Minh Schredle
Am 01. Januar 2006 ist auf Bundesebene das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in Kraft getreten. Seitdem hat jeder Bürger einen „voraussetzungslosen Rechtsanspruch“ auf Zugang zu Informationen von amtlichen Behörden der Bundesverwaltung.
Das ist eine große Veränderung: Denn zuvor galt, dass behördliche Informationen nur dann öffentlich zugänglich gemacht werden, wenn für den Antragsteller ein gerichtlich normierter Auskunftsanspruch besteht.
Informationsfreiheit hört sich gut an – ist allerdings bezogen auf das Bundesgesetz eher beschönigend. Denn es gibt etliche Einschränkungen: So können Auskünfte verweigert werden, wenn Betriebsgeheimnisse betroffen oder personenbezogene Daten enthalten sind. Die Behörden können für eine Auskunft je nach Aufwand bis zu 500 Euro verlangen, was Anfragen häufig verhindert.
Baden-Württemberg rückständig
Außerdem bezieht sich das Gesetz lediglich auf Bundesbehörden. Das heißt, alle Verwaltungsstellen von Bundesländern und auf kommunaler Ebene sind davon nicht betroffen. Hier gelten eigene Regelungen.
Inzwischen haben elf Bundesländer ein vergleichbares Gesetz verabschiedet – Baden-Württemberg ist nicht dabei. Zu Zeiten der CDU-geführten Landesregierungen war der Widerstand gegen ein IFG groß. Immer wieder drängten insbesondere die Grünen darauf, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden.
Chance zum Wechsel
Nach 58 Jahren, in denen die CDU die Regierungsverantwortung in Baden-Württemberg trug, kam bei den Landtagswahlen im März 2011 eine grün-rote Mehrheit zustande. Im Koalitionsvertrag vom 07. Mai 2011 verspricht die grün-rote Regierung ein Informationsfreiheitsgesetz. Auf Seite 78 heißt es:
In einem umfassenden Informationsfreiheitsgesetz werden wir gesetzliche Regelungen treffen, damit Bürgerinnen und Bürger unter Beachtung des Datenschutzes grundsätzlich freien Zugang zu den bei den öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Informationen haben. Wir werden unser Regierungshandeln daran orientieren, die zugrunde liegenden Daten und Dokumente weitestmöglich öffentlich zugänglich zu machen. Hier orientieren wir uns am Grundsatz „Open Data“.
Im Juni 2011 kündigte Hans-Ulrich Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion, an, man werde das versprochene Gesetz „rasch auf den Weg bringen“. Dann geschah lange Zeit nichts.
Das Gesetz wird kommen – irgendwann
Auf Anfragen von Journalisten wurde ausweichend geantwortet: Das Gesetz befinde sich in Arbeit. Es werde kommen, erklärte Staatsministerin Silke Krebs gebetsmühlenartig. Wann genau es kommen solle, beantwortete sie nicht.
Die FDP-Fraktion und der Journalistenverband Netzwerk Recherche reichten eigene Gesetzesentwürfe ein. Diese wurden ohne differenzierte Stellungnahmen und inhaltliche Auseinandersetzungen abgelehnt.
Nach knapp vier Jahren: „Eckpunkte“
Im Februar 2013 erklärte dann ein Sprecher der Grünen, man werde noch in diesem Frühjahr die Eckpunkte für das Gesetz vorlegen. Offenbar hat man sich auch hier nur schlecht abgesprochen. Denn Justizminister Reinhold Gall sagte deutlich vorsichtiger, der Entwurf dazu käme „im Laufe des Jahres“.
Inzwischen wurden die Eckpunkte tatsächlich beschlossen – allerdings erst am 25. November 2014. Hat sich das lange Warten gelohnt? Bekommt Baden-Württemberg nun ein Gesetz, das den vollmundigen Wahlversprechungen gerecht wird und zwischen Bürger und Staat eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht?
Die Eckpunkte enttäuschen
Experten zeigen sich enttäuscht. In weiten Teilen orientieren sich die Eckpunkte am Bundesgesetz – und das wird insbesondere von Journalisten immer wieder kritisiert.
Das Bundesgesetz sei „nicht gerade für seine bürgerfreundlichen Regelungen oder weitreichende Veröffentlichungspflichten der Verwaltung bekannt“, heißt es etwa von Seiten des Bündnisses für Informationsfreiheit. Zu viele Ausnahmen würden gemacht.
Dem Deutschen Journalistenverband zufolge seien die festgelegten Eckpunkte für das Landesgesetz sogar noch rückständiger als das ohnehin schon rückständige Bundesgesetz.
Kritik von allen Seiten
Auch laut Netwerk Recherche bliebe man hinter den Standards zurück. „Bei allen zentralen Kriterien weisen die Eckpunkte erhebliche Defizite auf“, heißt es in einer Stellungnahme, die sich mit jedem der zehn beschlossenen Punkte auseinandersetzt. Vorstandsmitglied Dr. Manfred Redelfs sagt zu dem Eckpunkte-Papier:
Dieser Entwurf hätte auch von der CDU stammen können. Er ist noch restriktiver als das Bundesgesetz.
Auf unsere Anfrage erklärte Ulrich Goll, ehemaliger Justizminister Baden-Württembergs, stellvertretend für die FDP, die Eckpunkte würden im Wesentlichem dem Gesetzesentwurf gleichen, den die FDP schon vor Monaten vorgelegt hat. In seiner Stellungnahme heißt es weiter:
Hätte Grün-Rot den Entwurf der FDP unterstützt, gäbe es in Baden-Württemberg bereits seit über einem Jahr ein modernes Informationsfreiheitsgesetz.
Sich nun nach mehr als dreieinhalb Jahren Regierungszeit für Eckpunkte zu „feiern“, verdeutliche, wie gering der Leistungsanspruch der Landesregierung sei. Man hoffe darauf, dass nun zügig ein Entwurf vorgelegt werde, damit man „in Sachen Informationsfreiheit nicht weiter hinterherhinkt“.
Zu viele Einschränkungen
Der Kreis der Stellen, die zur Auskunft verpflichtet sind, sei sehr eingeschränkt, wird kritisiert. Außerdem gebe es zu viele Ausnahmen. Wenn zum Beispiel Geschäftsgeheimnisse von Firmen betroffen sind, wird es keine Auskunft geben. Auf einen Abgleich mit den öffentlichen Interessen soll dabei – im Gegensatz zu zahlreichen anderen IFGs – verzichtet werden.
In anderen Bundesländern ist man in Sachen Transparenz deutlich weiter. Ein Paradebeispiel dafür ist der Stadtstaat Hamburg: Am 13. Juni 2012 wurde hier das sogenannte Transparenzgesetz beschlossen, das weitaus liberaler und informationsfreundlicher als das Bundesgesetz ausfällt.
Großes Interesse der Öffentlichkeit
Seit September 2014 ist ein umfangreiches Informationsportal online gegangen, auf dem alle Baugenehmigungen, Subventionen, Zuwendungen, amtliche Statistiken und Studien, Gutachten, Geodaten, behördliche Organisations- und Aktenpläne, Tätigkeitsberichte, die wesentlichen Unternehmensdaten städtischer Beteiligungen und vieles mehr öffentlich zugänglich gemacht sind.
Lediglich personenbezogene Daten und Geschäftsgeheimnisse sind dabei geschwärzt. Alle Informationen sind kostenlos zugänglich – und das Interesse der Öffentlichkeit ist bemerkenswert: Bereits im ersten Monat hat es mehr als eine Millionen Zugriffe gegeben.
Positive Erfahrungen in Hamburg
Wie uns das Hamburger Bürgerschaftsmitglied Finn Ole Ritter (FDP) auf Anfrage mitteilt, seien die ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz „überwiegend positiv“:
Das Projekt ist eines der wenigen größeren IT-Projekte Hamburgs, das innerhalb des gesetzten Zeit- und Kostenrahmens blieb. Letzterer lag immerhin bei rund fünf Millionen Euro; hinzu kommen circa 1,4 Millionen Euro Betriebskosten und 750.000 Euro entgangene Einnahmen für nunmehr öffentliche Geodaten pro Jahr. Nicht gerade wenig und sicher auch ein möglicher Kritikpunkt. Wenn dadurch allerdings „vertragshandwerkliche“ Fehler wie bei der Elbphilharmonie nur ein Mal vermieden werden können, hat es sich schon für die nächsten Jahre rentiert.
Ansonsten habe man noch keine Auswirkungen auf die Wirtschaft verzeichnen können. Für ein funktionierendes Gesetz sei es außerdem wichtig, einen Ausgleich zwischen Transparenz öffentlicher Verwaltung und dem Informationsinteresse der Bürger einerseits sowie dem Schutz persönlicher Daten und von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen andererseits zu schaffen.
Keine Abwägungsklausel?
Dafür brauche es eindeutige Regelungen, „damit nicht willkürlich alles und durch jeden zum „Geheimnis“ erklärt werden kann“, sagt Herr Ritter.
In den Eckpunkten für das IFG Baden-Württembergs heißt es, man wolle auf eine solche Abwägungsklausel verzichten.
Wenn ein Unternehmen also irgendetwas zum Betriebsgeheimnis erklärt, bleiben diese Informationen unter Verschluss – unabhängig davon, wie groß das öffentliche Interesse daran ist.
Versprechen gebrochen
Als Ende 2014 die Eckpunkte vorgelegt worden sind, sprach man davon, dass der Gesetzesentwurf im Frühjahr 2015 vorgelegt werden soll. Inzwischen spricht das Innenministerium vom „ersten Halbjahr 2015“. Im Frühjahr 2016 finden in Baden-Württemberg die nächsten Landtagswahlen statt. Dass es bis dahin auch hier irgendein IFG geben wird, ist also gerade noch im Rahmen des Möglichen.
Es darf allerdings ernsthaft angezweifelt werden, ob die Regierung mit ihrem Gesetz den eigenen Ansprüchen, beziehungsweise Versprechungen auch nur ansatzsweise gerecht wird.
Nach dem aktuellen Stand sieht es jedenfalls nicht danach aus, als würde ein Gesetz kommen, das „Daten und Dokumente weitestmöglich öffentlich zugänglich“ macht.
Anm. d. Red.: Lesen Sie dazu auch zwei ausführliche Interviews mit Experten, deren Urteil ebenfalls bemerkenswert negativ ausfällt: Dr. Manfred Redelfs, Vorstandsmitglied von Netzwerk Recherche, und Prof. Dr. Friedrich Schoch, der Öffentliches Recht an der Universität Freiburg unterrichtet.