Rhein-Neckar, 09. März 2015. (red/ms) Die grün-rote Landesregierung hat im Koalitionsvertrag ein mordernes Informationsfreiheitsgesetz (IFG) für Baden-Württemberg versprochen. Bislang sind allerdings nur Eckpunkte beschlossen worden, die von verschiedenen Experten heftig kritisiert werden. Alexander Salomon, Sprecher für Medien und Netzpolitik der Grünen-Fraktion, verteidigt im Interview die bisherigen Vorgänge und verspricht: Es wird noch in dieser Legislatur ein IFG verabschiedet, „das Maßstäbe setzt“.
Interview: Minh Schredle
Warum hat es so lange gedauert, bis es ein Eckpunkte-Papier gab?
Alexander Salomon: Die Erstellung eines Eckpunktepapier obliegt in erster Linie dem Ministerium im Rahmen seiner Gesetzesinitiative für die Landesregierung. Eine konkrete Aussage über die Gründe der Dauer bis zur Vorlage von Eckpunkten muss daher direkt vom Innenministerium Baden-Württemberg eingefordert werden. An Mutmaßungen jeglicher Art können und wollen wir und ich mich nicht beteiligen, da dies nicht seriös wäre.
Wer hatte bei dem Prozess das Sagen?
Salomon: Bei den Eckpunkten des Ministeriums war alleinig das Ministerium federführend. Analog dazu haben die Fraktionen eigene Eckpunkte erstellt – hier waren die Fraktionen selbstverständlich für ihre Eckpunkte verantwortlich. Ich beziehe mich im Weiteren auf die Eckpunkte der Fraktionen vom 25. November 2014. Diese dienen dem Innenministerium Baden-Württemberg auch als Leitfaden für die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs. Die Eckpunkte des Innenministeriums Baden-Württemberg bleiben daher für meine Ausführungen außer Betracht.
„Wir geben uns noch nicht zufrieden“
Welche Rolle spielen Sie bei der Gesetzgebung als Sprecher für Medien und Netzpolitik der Grünen?
Salomon: Zusammen mit Herrn Hans-Ulrich Sckerl, dem Arbeitskreissprecher Innen der Grünen-Fraktion, bin ich für das Informationsfreiheitsgesetz der zuständige und bearbeitende Abgeordnete meiner Fraktion.
Welchen Einfluss können Sie nehmen?
Salomon: Wie bereits oben ausgeführt, gab es eine, bereits in der Natur der Sache liegende Trennung der Eckpunktepapiere. Einfluss haben wir daher auf die Eckpunkte der Fraktionen nehmen können. Das Papier des Innenministeriums ist in Entscheidung und Tragweite vom Ministerium zu verantworten.
Ist es den Grünen gelungen, ihre Forderungen durchzusetzen?
Salomon: Es ist uns gelungen, in vielen Punkten eine deutliche Verbesserung gegenüber den Eckpunkten des Ministeriums zu erreichen. Dies halten wir für einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz geben wir uns natürlich im Namen der Bürgerinnen und Bürger, als auch der Wirtschaft in Baden-Württemberg, noch nicht mit den jetzt erreichten Punkten zufrieden. Der weitere Prozess bedingt allerdings eine enge Abstimmung mit dem federführenden Innenministerium und dem SPD-Koalitionspartner. Ohne Mitnahme und Einvernehmen mit diesen beiden Beteiligten werden wir kein geeignetes Gesetz vorlegen können.
„Wir wollen hohe Standards“
In welchen Aspekten unterscheidet sich der Gesetzesentwurf der Landesregierung von dem, den die FDP-Fraktion vorgelegt hat?
Salomon: Beim Gesetzesentwurf der FDP/DVP-Fraktion hat es sich lediglich um ein „Verweisgesetz“ gehandelt, das heißt es wurde lediglich die Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetz des Bundes auf das Land normiert. Dies war und ist für uns als Maßstab nicht diskutabel. Mit dem fertigen Gesetz werden wir deutlich weiter gehen und somit einen höheren Standard für Baden-Württemberg erreichen.
Dr. Manfred Redelfs, ein Experte auf dem Gebiet der Informationsfreiheit, sagte, er habe dem Landtag auf einer Pressekonferenz im Jahr 2013 angeboten, für weitere Beratungen zur Verfügung zu stehen. Warum wurde dieses Angebot nicht genutzt? Herr Redelfs spricht in einem Interview außerdem davon, dass sich die Grünen offenbar schlecht beraten lassen haben. Von wem hat man sich denn beraten lassen?
Salomon: Wir stehen in ständigen Kontakt mit den unterschiedlichsten Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet und greifen dabei auch auf langjährige Erfahrungen anderer Grünen-Fraktionen bundesweit zurück. Dies gehört zu einem Standardverfahren, welches wir bei all unseren Gesetzesentwürfen anwenden und das sich bewährt hat. Eine schlechte Beratung kann ich dabei nicht erkennen.
Wurden für den Gesetzesentwurf auch Meinungen aus der Bevölkerung eingeholt? Wenn ja, wie wurde die Bürgerbeteiligung durchgeführt?
Salomon: Da es sich bisher nur um Eckpunkte und nicht um einen Gesetzesentwurf handelt, wurde hierfür auch keine Beteiligung der Zivilgesellschaft vorgesehen. Über Beteiligungsformate innerhalb der Erstellung des Gesetzesentwurfs müssen die Fraktionen und das Ministerium selbstständig entscheiden. Wir regen eine frühe Beteiligung der Gesellschaft allerdings bei diesem Gesetz mehr als an. Ein fertiger Gesetzesentwurf wird selbstverständlich in das Beteiligungsportal des Landes eingestellt und kann dann nochmals diskutiert und verbessert werden.
„Aus Eckpunkten lässt sich kein fertiges Gesetz herauslesen“
Der Freiburger Jurist Prof. Dr. Friedrich Schoch wirft dem Eckpunkte-Papier vor, den Geist von 1998 zu atmen, weil es kaum fortschrittlicher als das erste Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland – das von Brandenburg – sei. Er nennt das Eckpunkte-Papier „eine Provokation gegenüber Fachleuten“. Auch Herr Dr. Redelfs befürchtet, dass Baden-Württemberg wohl das deutschlandweit rückständigste Gesetz bekommen wird. Wie ist das mit den Versprechungen im Koalitionsvertrag zu vereinen? Dort heißt es: „In einem umfassenden Informationsfreiheitsgesetz werden wir gesetzliche Regelungen treffen, damit Bürgerinnen und Bürger unter Beachtung des Datenschutzes grundsätzlich freien Zugang zu den bei den öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Informationen haben. Wir werden unser Regierungshandeln daran orientieren, die zugrunde liegenden Daten und Dokumente weitestmöglich öffentlich zugänglich zu machen. Hier orientieren wir uns am Grundsatz „Open Data“.“ Nun zeigen andere Bundesländer, allen voran Hamburg, ganz eindeutig, dass in Sachen Transparenz deutlich mehr drin ist, als das BundesIFG hergibt.
Salomon: Es ist schlichtweg nicht möglich aus einem Eckpunktepapier, welches nur einen ungefähren, groben Rahmen vorgeben soll, herauszulesen, wie der fertige Entwurf des Gesetzes aussehen wird. Ich bin ehrlicherweise erstaunt über die getätigten Aussagen. Sie lassen außer Betracht, dass der Wesenskern solcher Eckpunkte nicht darin besteht, dass es nur so und nicht anders kommen kann und muss. Wir haben in vergangenen vier Jahren bewiesen, dass Gesetze sich auch noch im Verlauf ihrer Erstellung und Einbringung in den Landtag wesentlich ändern können. Eine Aussage aufgrund von Eckpunkten halte ich daher für nicht seriös zu tätigen und schon gar nicht in dieser Absolutheit.
Warum hat man sich nicht etwa an Hamburg orientiert? Was spricht gegen eine pro-aktive Veröffentlichung von Daten? Von einer „Orientierung am Grundsatz Open Data“ nach dem Eckpunkte-Papier keine Rede sein. Werden die Wähler also betrogen?
Salomon: Wir haben uns mit den Eckpunkten an dem Transparenzgesetz aus Hamburg orientiert und die pro-aktive Veröffentlichung in die Eckpunkte der Fraktionen aufgenommen. Auch in weiteren Bestandteilen der Eckpunkte wird deutlich, dass wir uns an einer progressiven Gesetzesstruktur angelehnt haben. Eine 1:1-Übernahme der Normen aus Hamburg auf einen Flächenstaat ist dabei, das wird kaum einer bestreiten, ohne vorherige spezifische Verwaltungsmordernisierung nicht umzusetzen. Hier hat ein Stadtstaat wie Hamburg sicherlich einen „Wettbewerbsvorteil“.
Weitere Diskussionen folgen
Im Eckpunkte-Papier wird behauptet, man habe sich an den Erfahrungen mit anderen Informationsfreiheitsgesetzen befasst. Prof. Dr. Schoch stellt das in Abrede. Wie beurteilen Sie den Vorwurf?
Salomon: Ich halte diesen Vorwurf für zu pauschal und auch nicht für berechtigt. Wir haben uns die diversen Evaluierungsberichte der Länder im Detail angesehen und werden diese gewonnen Erkenntnisse auch im Gesetzgebungsverfahren, dort wo es dann auch um Details gehen wird, einfließen lassen.
Nach dem aktuellen Stand soll auf eine Abwägungsklausel verzichtet werden. Wie verschiedene Experten und auch der Evaluationsbericht der Bundesregierung darlegen, ist eine solche Klausel praktikabel und mit Vorteilen verbunden. Warum also die Ablehnung?
Salomon: Ob und wie eine Abwägungsklausel in den fertigen Gesetzesentwurf Einzug finden wird, werden die Fraktionen noch im weiteren Verfahren verhandeln.
Das Eckpunkte-Papier vergibt Privilegien an verschiedene Verwaltungsbereiche, die von vornherein von der Auskunftspflicht generell befreit sind. Dazu gehören die öffentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Landesbank, die Landeskreditbank, die Sparkassen, der Sparkassenverband und die Selbstorganisationen der Wirtschaft. Wie ist das zu rechtfertigen?
Salomon: Mittlerweile hat es in Sachen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten eine Bewegung hin zu einer Auskunftspflicht gegeben. Die anderen aufgeführten Ausnahmen sind allesamt gut begründet ausgenommen, insbesondere weil sie nicht „IFG-tauglich“ sind und in allen Gesetzen bundesweit auch Bestandteil der Ausnahmen.
„Keine Regelung vollbefriedigend“
Wäre es nicht besser, präzise Ausnahmeregelungen zu schaffen, sodass eine Auskunft nur unter bestimmten Bedingungen verweigert werden kann, anstatt dass von vorneherein alles geheim gehalten werden darf?
Salomon: Jede Ausnahmeregelung wird entweder zu viel oder zu wenig abdecken – je nach Betrachtungsweise. Daher halte ich diese Diskussion für nicht zielführend. Eine andere Herangehensweise wäre es gewesen, wenn pauschal alles erst einmal „offen“ wäre und die Behörden bzw. Institutionen im Detail nachweisen müssen, wieso diese Information nun unter einen bestimmten Schutz fällt. Aber auch hier wird man die gerichtliche Auseinandersetzung nicht vermeiden können. Insofern bietet keine Regelung eine vollbefriedigende Lösung.
Bei Auskünften sollen Verwaltungen für ihre Aufwendungen Gebühren verlangen dürfen. Auf eine Kostendeckelung soll dabei verzichtet werden. Besteht nicht die Gefahr, dass Anfragen aus Angst vor sehr hohen Kosten unterbleiben?
Salomon: Das Eckpunktepapier der Fraktionen enthält hierzu eine gute Lösung im Sinne der anfragenden Person. Hierbei ist eine Höchstgrenze und ein stufenweiser Anstieg der Kosten berücksichtigt worden.
„Gesetz kommt noch in dieser Legislatur“
Die Grünen haben sich in ihrem Wahlkampf für eine Politik des Gehörtwerdens stark gemacht. Wenn Bürger ihre Meinungen und Einschätzungen auf der Basis von Fakten bilden, können sie vernünftigere Fragen stellen und sie können sich besser einbringen. Würde da Transparenz nicht hilfreich sein?
Salomon: Wir haben zusammen mit der von uns geführten Landesregierung dieses Land im Bereich der Bürgerbeteiligung und Transparenz aus dem Niemandsland in die vorderen Bereiche der Länder geführt. Diese Schritte haben wir nicht nur unter Beifall unternommen, was verdeutlicht, dass es ein steiniger und schwieriger Weg bis zum heutigen Tag gewesen ist. Wir ruhen uns jetzt sicherlich nicht auf diesen Erfolgen aus, da es für uns auch in weiten Teilen nicht befriedigend ist und wir mehr für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erreichen wollen. Wir werden daher weiter für mehr Transparenz und Teilhabe einstehen und streiten.
So wie sie es darstellen, ist für das fertige Gesetz noch mit einigen Veränderungen zu rechnen, dabei sollen auch die Bürger beteiligt werden. Die nächsten Landtagswahlen stehen schon im Frühjahr 2016 an – wird in dieser Legislaturperiode überhaupt noch ein IFG beschlossen?
Ja, das Gesetz kommt noch in dieser Legislatur.