Mannheim, 28. Januar 2015. (red/ms) Das Eckpunktepapier zum Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in Baden-Württemberg unterliegt heftiger Kritik. Statt für die „weitestmögliche Transparenz“ zu sorgen, die im Koalitionsvertrag versprochen worden ist, sieht es eher danach aus, als würde das deutschlandweit rückständigste Gesetz auf den Weg gebracht werden. Der Freiburger Jurist Prof. Dr. Friedrich Schoch befasst sich bereits seit Jahrzehnten mit Verwaltungsrecht und Informationsfreiheit. Im Interview erläutert er, was ein modernes Informationsfreiheitsgesetz leisten muss und welche Schwächen das Eckpunktepapier in Baden-Württemberg aufweist.
Interview: Minh Schredle
Was sollte ein Informationsfreiheitsgesetz alles leisten? Worauf kommt es Ihrer Meinung nach besonders an?
Prof. Dr. Friedrich Schoch: Ein „Informationsfreiheitsgesetz“ (IFG) ist ein Transparenzgesetz. Es gibt jeder Person das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen. Das bedeutet: Das in Deutschland für Behörden über Jahrzehnte geltende „Arkanprinzip“ ändert sich von der Regel zur Ausnahme. Früher waren Verwaltungsinformationen grundsätzlich geheim; Informationszugangsrechte gab es nur für Verfahrensbeteiligte.
Und was hat sich verändert?
Schoch: Auf Bundesebene und in elf Bundesländern gibt es inzwischen Informationsfreiheitsgesetze oder vergleichbare Gesetze mit abweichenden Namen, wie das Hamburgische Transparenzgesetz. In den modernen Gesetzen gilt das Prinzip der Informationsfreiheit, die Informationsverweigerung ist die Ausnahme.
„Manche Informationen sind schützenswert“
Und was heißt das genau?
Schoch: Auf Antrag gibt es freien Zugang zu amtlichen Informationen – und zwar nicht nur für Verfahrensbeteiligte, sondern für jeden Bürger. Die Motivation spielt dabei keine Rolle und muss auch nicht benannt werden. In Hamburg ist man sogar noch weiter: Hier werden Informationen der Verwaltung von Amts wegen veröffentlicht, ohne dass vorher jemand einen Antrag stellen muss. Es findet also eine aktive Informationspolitik durch die öffentliche Hand statt.
Nun kann es in Sachen Informationsfreiheit schnell zu Konflikten kommen. Nicht jedem wird es recht sein, wenn sofort alles bekannt wird. Gibt es Dinge, die geheim bleiben sollten? Welche Grenzen muss Transparenz haben?
Schoch: Selbstverständlich gibt es Informationen, die schützenswert sind. Unter Juristen gibt es einen Konsens zur Geheimhaltung etwa von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie personenbezogenen Daten, auch das Urheberrecht und bestimmte öffentliche Belange wie zum Beispiel Informationen zur äußeren und inneren Sicherheit verdienen Schutz.
Aus fachlicher Sicht ist das Eckpunktepapier eine Provokation
Kommen wir mal auf Baden-Württemberg zu sprechen – hier gibt es ja bislang noch kein Gesetz. Die grün-rote Landesregierung versprach nach Amtsantritt, zügig ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Bislang gibt es noch keinen Entwurf, aber im November 2014 wurden Eckpunkte für das Gesetz beschlossen. Wie beurteilen Sie diese?
Schoch: Das erste Gesetz zur Informationsfreiheit in Deutschland war das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz in Brandenburg von 1998. Das Eckpunkte-Papier von November 2014 atmet weithin den Geist von 1998.
Es ist also nicht besonders modern?
Schoch: Aus fachlicher Sicht ist es eine Provokation, ein Papier vorzulegen, das die Entwicklungen der vergangenen fünfzehn Jahre offenbar nicht zur Kenntnis nimmt.
Zu viele Schwächen
Wo liegen denn die Schwächen?
Schoch: Das sind fast zu viele, um sie alle aufzuzählen. Vor allem ist ärgerlich: Es wird zwar behauptet, man habe sich an den Erfahrungen mit anderen Gesetzen orientiert; in der Sache stimmt das aber nicht.
Haben Sie dafür Beispiele?
Schoch: Nehmen wir Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Diese sind im Regelfall schützenswert. Nach modernen Gesetzen ist dies aber ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn das Interesse an der Herstellung von Transparenz überwiegt. Man denke an rechtswidriges Verhalten, insbesondere kriminelle Machenschaften. Nach dem Eckpunktepapier von Grün-Rot wären Informationen über solche Verhaltensweisen bei uns geschützt. Die Begründung: Eine Verschlechterung der Standortbedingungen für Wirtschaftsunternehmen in Baden-Württemberg soll verhindert werden.
Ist diese Begründung gerechtfertigt?
Schoch: In keinem Land mit einer Abwägungsklausel hat es deswegen Probleme gegeben. In den meisten Fällen, bei denen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse involviert sind, heißt es gegenüber dem Bürger, dass diese geheim bleiben müssen und dass auch kein Anhaltspunkt vorliegt, dass die Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse an der Veröffentlichung haben könnte. Diese Handhabung funktioniert ziemlich reibungslos.
Wer soll hier geschützt werden?
Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis, in dem eine solche Klausel nützlich war und das Interesse an der Veröffentlichung überwogen hat?
Schoch: Ein Fall aus Schleswig-Holstein bietet ein anschauliches Beispiel. Gegenüber einem Anbieter von Waren, die im Supermarkt verkauft werden, entstand aus der Zivilgesellschaft der Verdacht, dass gegen die Fertigpackungsverordnung verstoßen wird. Will heißen: Die Packungen haben weniger Inhalt, als angegeben wird. Das zuständige Eichamt verfügte über die Informationen zu dem Vorgang, lehnte eine Offenlegung aber unter Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des betreffenden Unternehmens ab. Damals setzte sich das Amt durch. Nach heutigem Recht wäre dies anders.
Und in Baden-Württemberg wird es nicht möglich sein, so etwas aufzudecken?
Schoch: In dem geschilderten Fall käme heutzutage das Verbraucherinformationsgesetz zur Anwendung. Das ist ein Bundesgesetz. Informationen zu Rechtsverstößen können danach in den meisten Fällen nicht unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verweigert werden. Aber außerhalb der Verbraucherinformation fehlt ohne eine Abwägungsklausel die rechtliche Grundlage für die Offenbarung derartiger Unternehmensinformationen. Man fragt sich, wen der Landesgesetzgeber schützen will. Die Unternehmen, die sich rechtstreu verhalten, sind es nicht.
„Etliche Privilegien sind sachlich nicht gerechtfertigt“
Ist das der einzige Kritikpunkt an den Eckpunkten?
Schoch: Nein, es gibt weitere Kritikpunkte. Sachlich nicht gerechtfertigt sind vor allem etliche Privilegien, die das Eckpunktepapier für verschiedene Verwaltungsbereiche vorsieht.
Zum Beispiel?
Schoch: Die öffentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Landesbank, die Landeskreditbank, die Sparkassen, der Sparkassenverband und die Selbstorganisationen der Wirtschaft, also z. B. die IHK, sollen nach dem IFG in Baden-Württemberg keiner Transparenzpflicht unterliegen.
Und die sind in anderen Bundesländern nicht ausgenommen?
Schoch: Zunächst: Im Bundesgesetz sind nur die Nachrichtendienste und einige wenige andere Sicherheitsbehörden von der Informationspflicht befreit. Auch das ist nicht unumstritten, aber es gibt Sachgründe für die Bereichsausnahme. Hier geht es um so viele sensible Themen, dass eine vollständige Transparenz vielleicht nicht die beste Idee für die Innere Sicherheit ist. Moderne Landesgesetze kennen die erwähnten Privilegierungen ebenfalls nicht.
Missbrauch der Informationsfreiheit?
Welche Bundesländer machen es denn besser?
Schoch: Beispielsweise gibt es in Nordrhein-Westfalen seit November 2001 ein IFG, das auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk informationspflichtig macht. Später ist im WDR-Gesetz ausdrücklich klargestellt worden, dass das IFG Nordrhein-Westfalen auf den WDR Anwendung findet; einzige Ausnahme: journalistisch-redaktionelle Informationen sind betroffen. Identische Regelungen enthalten die Gesetze zum Beispiel in Bremen, Hamburg und Sachsen-Anhalt. Ein praktisches Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Auf Grund des dortigen IFG konnte aufgedeckt werden, in welchem Maß Aufträge des WDR z. B. zur Gebäudereinigung an Firmen erteilt worden sind, die mit Mitgliedern des WDR-Rundfunkrates verbunden sind.
In Baden-Württemberg soll eine Missbrauchsklausel in das Gesetz aufgenommen werden. Muss so etwas sein?
Schoch: Eine solche Klausel gibt es auch in anderen Ländern, etwa in Schleswig-Holstein.
Wie soll denn ein Antrag auf Informationen missbraucht werden?
Schoch: Es geht nur um Extremfälle, etwa wenn der Antragsteller bereits über die begehrten Informationen verfügt. Die Rechtsprechung ist gegenüber Behörden, die sich auf „Missbrauch“ berufen, sehr streng und verneint einen Fall des Missbrauchs regelmäßig. Dazu ein Beispiel: Insolvenzverwalter möchten nicht selten von Finanzämtern und gesetzlichen Krankenkassen wissen, ob im Falle der Insolvenz eines Unternehmens zu Unrecht noch Steuern oder Beiträge gezahlt worden sind. Die Behörden verweigern die Auskunft, weil das IFG für solche Fälle nicht gemacht worden sei. Die Gerichte weisen diese Argumentation zurück; fast in allen Fällen haben die Insolvenzverwalter die Prozesse gegen die Finanzämter und Krankenkassen gewonnen.
„Nicht das größte Manko“
Das ist ja nun ein sehr spezielles Themenfeld. Gibt es noch andere Fälle von Missbrauch, die denkbar wären?
Schoch: Manche Anfragen sind pauschal angelegt – sogenannte Globalanträge. Die verursachen einen sehr hohen Arbeitsaufwand. So kann eine Behörde durchaus für ein paar Wochen fast lahm gelegt werden. Sie können ja, wenn Sie das wollen, eine Behörde so sehr mit Anfragen traktieren, dass die Behörde teilweise handlungsunfähig wird. Solche Fälle sind denkbar; mit einer Missbrauchsklausel im IFG kann man leben, wenn sie eng genug gehandhabt wird – diese Klausel ist sicherlich kein besonderes Manko des Eckpunktepapiers.
Wenn man, wie in Hamburg, ein Register einrichten würde, in dem die meisten Daten und Dokumente der Verwaltung automatisch veröffentlicht werden, wären dann überhaupt noch Missbrauchsfälle denkbar?
Schoch: Jedenfalls kaum. Mit einem Gesetz wie in Hamburg würden sich die meisten Probleme erübrigen. Studien zeigen: Je mehr Informationen von Amts wegen transparent gemacht werden, desto niedriger ist die Anzahl der individuellen Anfragen.
„Die Kosten können abschrecken“
Sie werfen dem Eckpunktepapier Doppelbödigkeit vor. Woran machen Sie diese fest?
Schoch: Nehmen wir die Kostenregelung. In dem Eckpunktepapier heißt es: Eine „Abschreckung“ durch hohe Gebühren soll vermieden werden. Im letzten Absatz zu den Kommunen heißt es: Es soll die Möglichkeit zur vollen Kostendeckung bestehen. Auf eine Kostendeckelung wird verzichtet.
Was bedeutet das konkret?
Schoch: Auch wenn ein IFG ansonsten wunderbar wäre, könnten Sie das Informationsfreiheitsrecht durch zu hohe Kosten für den Infomationszugang unterlaufen.
Wie teuer kann es denn werden?
Schoch: Das lässt sich allgemein nicht sagen, wenn es keine Kostendeckelung gibt. Nach dem IFG des Bundes können Kosten von maximal 500 Euro entstehen. Mögliche Dimensionen zeigt ein Beispiel aus Niedersachsen zum Verbraucherinformationsrecht auf: Bei der Bearbeitung von 23 Anträgen im Laufe von 14 Monaten entstanden Sach- und Personalkosten von über 163.000 Euro; allein ein Drittel der Kosten entfielen dem Vernehmen nach auf einen Antrag des SWR.
Kostenvoranschlag kommt von der Behörde
In Baden-Württemberg muss man für eine Auskunft also eine Rechnungen im fünfstelligen Bereich erwarten?
Schoch: In den meisten Fällen sicherlich nicht. Ich habe ein Extrembeispiel genannt. Aber es verdeutlicht, dass die Kosten für den Informationszugang rasch Dimensionen annehmen können, die von einem Bürger kaum noch finanzierbar sind. Und abschreckend sind sie allemal.
Kann man als Bürger vorher anfragen, mit welchen Kosten man zu rechnen hat?
Schoch: Man kann einen Kostenvoranschlag erstellen lassen.
Von wem?
Schoch: Wenn nichts Abweichendes geregelt ist: von der Behörde, die in Anspruch genommen wird.
„Etliche Floskeln und Leerformeln“
Nehmen wir an, eine Information soll geheim bleiben und die Verwaltung legt eine übertriebene Kostenschätzung vor. Gibt es die Möglichkeit, das überprüfen zu lassen, beispielsweise von einem Gericht?
Schoch: Die Kostenschätzung kann man nicht überprüfen lassen, sondern nur den Kostenbescheid, wenn die Information erteilt wurde. Auch deswegen ist eine Kostendeckelung bei einem IFG notwendig. Baden-Württemberg sollte sich in diesem Punkt am IFG des Bundes orientieren.
Und man orientiert sich nicht daran?
Schoch: Jedenfalls nicht so, wie es das Eckpunktepapier vorgibt. Das Papier enthält etliche Floskeln und Leerformeln. Vor allem löst es das Versprechen im Koalitionsvertrag von Grün-Rot nicht ein. Es wurde ein IFG versprochen, nach dem die Bürger unter Beachtung des Datenschutzes grundsätzlich freien Zugang zu den bei den öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Informationen haben. Diesem Versprechen wird das Eckpunktepapier nicht gerecht.