Rhein-Neckar, 07. Juli 2015. (red/ms) Die grün-rote Landesregierung hat im Koalitionsvertrag vollmundig verkündet, „weitestmögliche Tranzsparenz“ über das Regierungshandeln herzustellen. Das ist nicht geschehen. Das versprochene Informationsfreiheitsgesetzt ist noch nicht verabschiedet. Es liegt noch nicht einmal ein Gesetzesentwurf vor – und die Legislaturperiode neigt sich ihrem Ende zu. Der Experte Dr. Manfred Redelfs hält es für möglich, dass noch ein Gesetz verabschiedet wird. Dass dieses auch modern und fortschrittlich wird, schließt er allerdings definitiv aus.
Von Minh Schredle
Was ist in meinem Leitungswasser? Wo ist die Luft in meiner Stadt belastet? Wie radioaktiv ist mein Essen?
In den meisten Bundesländern sind solche und viele weitere Informationen verfügbar – aber nicht für die Öffentlichkeit in Baden-Württemberg. Behörden und Verwaltungen erheben verschiedenste Daten, häufig um politischen Gremien eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen.
Diese Erhebungen werden überwiegend durch Steuergelder finanziert – trotzdem bleiben die gewonnenen Informationen und Erkenntnisse der Gesellschaft in vielen Fällen vorenthalten: Die Daten wandern in Archive und bleiben dort ungenutzt.
Wandel zur Transparenz – Hamburg als Vorreiter
Deutschlandweit ist inzwischen ein Wandel zu mehr Transparenz zu beobachten: An der Spitze steht der Stadtstaat Hamburg, der seit Oktober 2014 Verwaltungsdaten wie Verkehrsgutachten, Umweltuntersuchungen, Tätigkeitsberichte stadteigener Unternehmen und vieles mehr aktiv über ein sogenanntes Transparenzregister veröffentlicht. Hierbei orientiert Hamburg sich am Grundsatz Open Data.
Auf Bundesebene ist am 01. Januar 2006 ein Informationsfreiheitsgesetz in Kraft getreten. Seitdem hat jeder Bürger einen “voraussetzungslosen Rechtsanspruch” darauf, Zugang zu Daten und Informationen von Behörden der Bundesverwaltung zu erhalten – zuvor wurden diese nur herausgegeben, wenn der Antragsteller einen Auskunftsanspruch vorweisen konnte. Dieser war juristisch normiert und sehr eng gefasst.
Doch auch der „voraussetzungslose Rechtsanspruch“ ist an jede Menge Voraussetzungen gebunden. Denn es gibt zahlreiche Ausnahmeregelungen, die eine Behörde von der Auskunftspflicht befreien können. Außerdem gilt die Auskunftspflicht nur für Bundesbehörden – Kommunen, Bundesländer und deren Einrichtungen werden dadurch nicht berührt.
Schlusslicht Baden-Württemberg
In elf von sechzehn Bundesländern gibt es inzwischen Transparenzgesetze, die der Bürgerschaft einen – mehr oder weniger – freien Zugang zu behördlichen Daten gewähren. Baden-Württemberg gehört nicht dazu. Allerdings soll sich das ändern.
Die grün-rote Landesregierung kündigte im Koalitionsvertrag an, man werde ein umfassendes Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg bringen und „das Regierungshandeln daran orientieren, die zugrunde liegenden Daten und Dokumente weitestmöglich öffentlich zugänglich zu machen“:
Hier orientieren wir uns am Grundsatz „Open Data“.
Nach mehr als vier Jahren Regierungszeit liegt immer noch kein Gesetzesentwurf vor. Bislang sind lediglich ein paar Eckpunkte beschlossen worden – und diese wurden von Experten harsch kritisiert: Der Freiburger Jurist Prof. Dr. Friedrich Schoch, der sich bereits seit Jahrzehnten mit Verwaltungsrecht und Informationsfreiheit befasst, bezeichnet das Eckpunkte-Papier im Interview mit dem Rheinneckarblog als „Provokation gegenüber Fachleuten“.
Dr. Manfred Redelfs – deutschlandweit einer der aktivsten Lobbyisten für Informationsfreiheit und Vorstandsmitglied von Netzwerk Recherche – befürchtet, in Baden-Württemberg könne das „rückständigste und restriktivste Gesetz“ Deutschlands auf den Weg gebracht werden.
Insbesondere die Grünen, die im Wahlkampf 2001 Transparenz und Bürgerbeteiligung zu ihren Kernkompetenzen erklärt haben, laufen Gefahr, ihre eigenen Standards meilenweit zu unterbieten. Ein modernes Gesetz, das Maßstäbe setzt – davon ist in den Eckpunkten nichts zu erkennen: Diese sehen etliche Ausnahmeregelungen vor, unter denen eine Auskunft verweigert werden kann.
„Vollständig naiv“
Bereits im März dieses Jahres haben wir Alexander Salomon, den Sprecher für Medien und Netzpolitik in der Grünen-Fraktion, befragt, wie sich die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg entwickeln werde. Er verteidigte die Eckpunkte und betonte nachdrücklich, dass bis zum fertigen Gesetz noch grundlegende Verbesserungen eingebracht werden könnten.
Das bezeichnet Dr. Manfred Redelfs als „vollständig naiv“. Denn für wirklich fundamentale Veränderungen, sei der Zeitraum bis zu den Landtagswahlen im März 2016 viel zu knapp. Es sei fraglich, ob überhaupt noch ein Gesetz beschlossen werde. Ganz zu schweigen von einem „modernen Gesetz, das Maßstäbe setzt“ – das ist in den Augen des Experten bereits ausgeschlossen:
Der Gesetzesentwurf wird im Landtag frühestens im November behandelt – und das ist schon sehr optimistisch.
Wenn das Gesetz also noch bis zum März 2016 beschlossen werden solle, müsse man sehr eilig vorgehen. Ansonsten gelte das Diskontinuitätsprinzip: Nach Ablauf einer Legislaturperiode verfallen automatisch alle Gesetzesvorhaben, die nicht verabschiedet worden sind.
Laut Dr. Redelfs könnten in den kommenden acht Monaten mit Glück noch einzelne Experten angehört werden – aber sicher nicht die Bevölkerung. Dies sei besonders bedauernswert. Denn von einem Transparenzgesetz solle in erster Linie die Gesellschaft profitieren – diese sei aber im gesamten Verfahren kein bisschen miteinbezogen worden – von wegen „Politik des Gehörtwerdens“. Inzwischen ist es zu spät für eine umfangreiche Bürgerbeteiligung.
„Mangelhaftes Engagement“
Andere Bundesländer hätten vorgemacht, wie es besser geht, sagt Dr. Redelfs. Etwa in Rheinland-Pfalz: Auch hier gebe es aktuell noch kein Informationsfreiheitsgesetz. Aber die Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) habe es zur „Chefsache“ erklärt, eines auf den Weg zu bringen – und zwar ein modernes.
Dazu habe es aufwändige Informationsveranstaltungen und Online-Portal gegeben, auf dem Bürgerinnen und Bürger zu den Zwischenständen der Planung Kommentare abgeben konnten. Herr Redelfs sagt dazu:
Von Ministerpräsident Kretschmann hätte ich mir ähnliches Engagement gewünscht.
Doch allgemein sei es „schockierend ruhig“ geblieben, vor allem bei den Grünen, sagt Dr. Redelfs. Kein einziger Abgeordneter sei ihm durch außergewöhnliches Engagement für Informationsfreiheit aufgefallen. In den Reihen der SPD sei man „ohnehin nur wenig begeistert“ vom Gedanken der Informationsfreiheit. Das erschwere das Vorankommen.
Steht eine Verschlimmbesserung bevor?
Für die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs ist das Justizministerium unter der Leitung von Reinhold Gall (SPD) zuständig. Als Grundlage dienen die Eckpunkte. Dr. Redelfs hat Bedenken, der Gesetzesentwurf könne deswegen noch schlechter ausfallen wird als die Eckpunkte:
Wenn die Ministerialbürokratie bei einem eher unliebsamen Projekt zum Jagen getragen werden muss – dann kann man eigentlich nur das Mindestmaß erwarten.
Nach der Anhörung im Landtag müsse die Regierung zügig handeln, wenn sie ihr Wahlversprechen nicht brechen wolle. Dr. Redelfs hält es für gut möglich, dass kurz vor Ende der laufenden Legislaturperiode ein rückständiges Gesetz verabschiedet wird, das anschließend als großer Erfolg vermarktet wird. Er sagt dazu:
Objektiv betrachtet wäre jedes Gesetz eine Verbesserung. Denn auch eine schlechte Regelung ist besser als gar keine Regelung. Langfristig könnte ein schlechtes Gesetz aber tatsächlicher Informationsfreiheit mehr schaden als nützen.
Herr Redelfs zieht dem Vergleich zum Informationsfreiheitsgesetz auf Bundesebene. Dieses ist seit dem 01. Januar 2006 in Kraft und sollte nach einer Evaluierung weiter verbessert werden. Eine Evaluierung hat es gegeben. Weitere Verbesserungen nicht.
Wahlversprechen wird verfehlt
Der Evaluierungsbericht – mit konkreten Handlungsempfehlungen – ist bereits 2012 erschienen. Seitdem habe es im Bundestag laut Dr. Redelfs keinerlei Initiative gegeben, das alte Gesetz zu verändern. So ähnlich könne es im schlimmsten Fall auch in Baden-Württemberg laufen, sagt Dr. Redelfs:
Eine schlechte Regelung bekommt man so schnell nicht verbessert. Und irgendein Gesetz vorweisen zu können, macht die Politik womöglich behebig.
Aktuell weise also viel darauf hin, dass Baden-Württembergs Informationsfreiheitsgesetz alles andere als modern und fortschrittlich wird. Anstatt Standards zu setzen, würden diese unterboten. Und dass die Grundlagen des Regierungshandeln „weitestmöglich öffentlich zugänglich“ gemacht würden, sei weit von der Realität entfernt.