Mannheim/Rhein-Neckar, 30. Januar 2017. (red/pro) Seit einem Jahr wird vor allem von der CDU Mannheim die Wiedereinführung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum gefordert. Vor kurzem lud man zum Termin mit CDU-Politikern zum Polizeicontainer am Paradeplatz ein. Mit dabei, der Erste Bürgermeister Christian Specht (CDU) sowie Polizeipräsident Thomas Köber. Top-Gast war Prof. Dr. Wolfgang Reinhart – CDU-Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag. Alle waren sich einig, dass eine Videoüberwachung sinnvoll ist. Ist das so?
Von Hardy Prothmann
Es ist zugig. Nach und nach treffen die Einlader ein. CDU-Bundtagskandidat Nikolas Löbel. Der Erste Bürgermeister Specht. Polizeipräsident Köber erscheint in zivil. Der Top-Gast Prof. Reinhart ist da. Der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Matthias Sandel, Stadtrat Steffen Ratzel. Später kommen noch der Landtagsabgeordneten Thomas Blenke und Georg Wacker dazu – so viel politische Prominenz hat einen Grund. Es passt terminlich, in Heidelberg ist gerade CDU-Klausurtagung. Da ist der Weg nicht weit nach Mannheim.
Herr Löbel bezeichnet den Paradeplatz als „Herz der Stadt“, Herr Specht referiert die Situation und was man alles zur „Herz-Pflege“ tue. Herr Prof. Reinhart betont seine Verbundenheit mit Mannheim – er hat hier studiert und wie wichtig die Sicherheit im öffentlichen Raum ist. Und alle wollen gerne Sätze sagen, die dann mit ihrem Namen berichtet werden. So ist das auf Presseterminen – bei allen Parteien.
Wünsche und reale Politik
Einen denkwürdigen Satz sagt Thomas Köber: „Der Erfolg der Videoüberwachung war gleichzeitig ihr Ende.“ Wie hat man das zu verstehen? Ganz einfach. Die Videoüberwachung war eingeführt worden, weil der Paradeplatz ein Schwerpunkt für Straftaten im öffentlichen Raum geworden war. Dank des „Mannheimer Wegs“, nämlich einer Überwachung und Personal auf der Straße, konnten die Straftaten erheblich reduziert werden. So sehr, dass der Paradeplatz eben kein Kriminalitätsschwerpunkt mehr war und deswegen der Grund für eine Videoüberwachung weggefallen war.
Jetzt drängt die CDU darauf, dass dieser Mannheimer Weg wieder beschritten wird. Mit überplanmäßigen Mitteln soll die Stadt Kameras anschaffen, die „zukunftstauglich“ sind, also aktuell als Sichtkameras mit Beamten vor den Bildschirmen eingesetzt werden, die Auffälligkeiten an die Streifen draußen melden. Später sollen Alghorithmen das Personal vor den Bildschirmen ersetzen und selbständig erkennen, ob eine Gefahrenlage vorliegt. Dabei wird „unscharf“ mitgefilmt und erst bei Gefährdungslagen oder zur Strafverfolgung wird „scharf gezogen“ – um diese Systeme einzusetzen, braucht es allerdings Gesetzesänderungen und entsprechende datenschutzrechtliche Verordnungen. Zur Erinnerung: Die CDU ist in Stuttgart in der Regierung und könnte, wenn sie wollte…
Dagegen stehen vor allem die Grünen. Zwar ist bei Winfried Kretschmann oft nicht erkennbar, wo er noch grün ist, aber es gibt ja noch andere. Dabei buhlen die Parteien um „solvente“ Wähler. Je älter und je einkommensstärker, desto eher wird eine Videoüberwachung befürwortet (siehe die Ergebnisse unserer Online-Befragung). Das sind auch eher die Leute, die zur Wahl gehen. Und vor allem sind das die Leute, die das Geld in die Innenstadt tragen.
Öffentlicher Raum ist für alle da
Die CDU stört sich auch an der Trinker- und Bettlerszene. Das ist nachvollziehbar, weil kein Aushängeschild für die Stadt. Aber spätestens hier wird es schwierig. Es handelt sich um öffentlichen Raum. Soll der nur für Prada-Vanessa aber nicht für Penner-Katja da sein? Rumlungern ist ebensowenig eine Straftat wie rumgröhlen – und beides rechtfertigt eine Videoüberwachung nicht.
Zur Freiheit der Gesellschaft gehört der Grundsatz der Freiheit für alle im öffentlichen Raum. Zum Grundsatz des Rechtsstaats gehört, dort die Sicherheit zu gewährleisten. Vermüllung, Trinkgelage und Betteln beeinträchtigen das Lebensgefühl, aber nicht die Sicherheit.
Es geht also wie immer darum, sorgfältig zu differenzieren und genau zu definieren, was man möchte. Videoüberwachung, um den Anschein von Sicherheit zu erwecken, geht über das Ziel hinaus. Das kann kein Grund sein, den Bürger im öffentlichen Raum polizeilich zu filmen. Die Videoüberwachung hilft auch nur wenig präventiv, aber mitunter sehr bei der Strafverfolgung.
Hier wird ein Schuh draus – wenn die Kriminalitätslage überschaubar ist, würde Videoüberwachung auch helfen. Aber sie wäre nicht verhältnismäßig und deswegen vermutlich nicht zulässig. Aktuell deutet alles darauf hin, dass es nicht nur zulässig ist, sondern notwendig, gewisse Teile des öffentlichen Raums per Video zu überwachen.
Ganz klar wird damit auch in Bürgerrechte eingegriffen und das ist leider der Nachteil, den man hinnehmen muss, wenn man die polizeiliche Arbeit bevorteilen will.
Interessenlagen
Sehr genau sollte man die Forderung der CDU prüfen, Systeme anzuschaffen, die später „aufgerüstet“ werden könnten. Erstens ist die Frage was „später“ meint – jede technische Anschaffung heute entspricht überhaupt nicht mehr den Entwicklungen in fünf Jahren und wenn der „Mannheimer Weg“ erfolgreich ist (was wir erwarten), dann kommt keine Aufrüstung, sondern die Abschaltung.
Auch die CDU muss also noch vertieft über das Thema und alle Konsequenzen nachdenken, sonst bleibt der Auftritt Wahlkampfgetöse. Die wichtigste Aufgabe ist, genug Stimmen bei den anderen Fraktionen einzuwerben, um das gesteckte Ziel zu erreichen.
Das ist vermutlich die schwerste Aufgabe. Insbesondere die SPD wird darüber intensiv nachdenken müssen, denn wenn die Videoüberwachung an ihr scheitert und etwas passiert, laufen viele Wähler direkt zur AfD. CDU-Kreisverbandschef und Bundestagskandidat Nikolas Löbel hat das schon realisiert.
Sein Top-Gast aus Stuttgart hat zugesagt, dass man sich insbesondere für Verordnungen einsetzen wolle, beispielsweise Alkoholkonsumverbote im öffentlichen Raum – dafür braucht es aber keine Videoüberwachung. Alkoholkonsum trotz Verbot wäre nämlich keine Straftat, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit.
Überwachung und Repression sind nur ein Teil von Maßnahmen, um den öffentlichen Raum attraktiv zu halten. Dazu gehört auch Prävention und Aufklärung, also Sozialarbeit, Raum- und Platzangebote an die Trinkerszene. Wie heißt es so schön? Die Maßnahmen sollten „ganzheitlich“ sein.
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