Rhein-Neckar/Emilia-Romagna, 08. Januar 20178. (red/pro) RNB-Redaktionsleiter Hardy Prothmann war ein paar Tage zum Ausspannen in Italien – und kommt mit Eindrücken zurück, die keine Entspannung erwarten lassen. In unserer Reihe Montagsgedanken thematisieren wir immer wieder Themen zur Zeit, die nicht auf dem Terminkalender stehen, aber wesentlich sind.
Von Hardy Prothmann
Bologna und Umgebung kenne ich seit 1994, also gut 24 Jahre. Eine wunderschöne Stadt mit der drittältesten Universität in Italien. Eindrucksvolle Bauten mit über 38 Kilometer Arkaden, lebhafte Straßen mit unzähligen Einzelhandelsgeschäften prägen die auch touristisch bevölkerte Innenstadt.
Auffällige Kontraste
Zum Jahresanfang 2018 habe ich mir ein paar Tage Auszeit gegönnt und bin in die Region Emilia Romagna gereist. Die Reise führte zunächst nach Venedig. Schon bei der Ankunft fällt sofort auf, dass es hier viele Schwarzafrikaner und Araber im öffentlichen Straßenbild gibt. Als ich 2002 das letzte Mal hier war, war das nicht so. Vor dem Busbahnhof Piazzale Roma steht ein Panzerwagen – von morgens 6 Uhr bis abends 23 Uhr, wie mir ein Kioskbesitzer auf Nachfrage erklärt. Das Militärfahrzeug ist so postiert, dass es sofort die Zufahrtsstraße sperren kann. Der Motor läuft die ganze Zeit.
Auf meiner Reise in die Nähe von Bologna, wo ich mich in einem kleinen Aussiedlerhof einquartiert habe, mache ich Halt in Padua. Seine italienische Reise führte auch Goethe in die geschichtsträchtige Stadt, über die er sich überschwänglich äußerte. Sogar im „Faust“ gibt es Erwähnungen.
Modena ist eine Perle der Region, die nach der Lombardei und dem Aostatal die wirtschaftlich wohlhabendste in Italien ist. Kein Wunder, ist es doch die Provinz die Terra dei Motori, das Land der Motoren. Hier werden Ferraris, Lamborghinis und Maseratis gebaut, ebenso Ducatis und Moto Morinis.
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Auch in Modena fallen viele Schwarzafrikaner durch matchohaftes Gehabe auf. Ganz überwiegend junge Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen, Halsketten, betont lässig. Allesamt in „Streetwear“, einer „modischen“ Richtung, die an die Ghettos amerikanischer Großstädte angelehnt ist. Es ist ein auffälliger Kontrast zwischen den sehr auf Mode bedachten Italienern.
Aggressiv, bedrängend und beleidigend
Voller Vorfreude fahre ich nach Bologna. Die endet abrupt auf dem Weg vom Parkhaus am Parco della Montagnola hinein in die Stadt. Auch hier durchmischt sich das Straßenbild von Einheimischen und Touristen mit deutlich noch mehr Schwarzafrikanern, die einen alle paar Meter bedrängen. Sie wollen Geld. Weist man sie ab, bleiben sie hartnäckig. Wir man deutlich, wird man herausfordernd beleidigt.
Ich beobachte das Straßenbild eine Zeit lang. Sobald sich die Schwarzafrikaner auf die Passanten zubewegen, gehen deren Blicke auf den Boden oder zur Seite. Der Schritt wird schneller, man versucht auszuweichen. Immer wieder beobachte ich Passanten, die sich die Angebote in den Schaufenstern anschauen und dort meist von der Seite durch die Schwarzafrikaner angesprochen werden – die meisten sprechen sehr gut italienisch – und die darauf folgende Reaktion: Die Menschen fliehen regelrecht. Die Inhaber, die eben noch einen möglichen Kunden vor dem Eingang haben, machen kein Geschäft.
Es ist nicht das Bologna, wie ich es kenne. Klar, immer noch schlendern Italiener durch die Fußgängerzone. Doch sehr viele sind eher schnell unterwegs und bleiben in Bewegung, denn wer stehenbleibt, riskiert den ungewollten Kontakt.
Widerwärtige Provokationen
Auf dem Rückweg zum Auto will ich durch den Parco della Montagnola, einem der größten Parks der Stadt, direkt am Rande der historischen Altstadt. Jeder Zugang ist besetzt mit Gruppen von Schwarzafrikanern. Auch weiter im Park sehe ich diese Gruppen – und keine anderen Menschen. Was ist hier los, frage ich mich? Früher war dieser wunderbar großzügige Park voll von Menschen, verliebten Pärchen, Familien, Spaziergängern. Jetzt ist er in der Hand von Schwarzafrikanern, die die Zugänge regelrecht wie selbstverständlich kontrollieren. Polizei sehe ich keine.
Was ich aus Mannheim ansatzweise kenne, hat hier eine ganz andere Qualität. Diese Gruppen von jungen Männern haben im Herzen der Stadt den öffentlichen Raum besetzt.
Als ich am Sonntag in Ferrara auf einen öffentlichen Parkplatz fahre, ist auch dieser von Schwarzafrikanern besetzt, die sich als Einweiser aufspielen. Für diese „Dienstleistung“ wollen sie Geld – sobald sie erkennen, dass es kein Geld gibt, wird die Atmosphäre aggressiv. Plötzlich sprechen sie kein italienisch mehr, sondern irgendeinen afrikanischen Dialekt. Und ohne ein Wort zu verstehen, ist klar, dass sie sich abfällig und beleidigend äußern. Meine Begleitung wird dabei angeschaut wie eine Hure – billig und verachtend.
Auch hier ist weit und breit keine Polizei zu sehen. Wie kann das sein? Als ich vom Parkplatz wegfahre, läuft mir einer der Männer in den Fahrweg. Ich weiche nicht aus. Wir haben Blickkontakt und er bleibt sicherheitshalber stehen. Im Rückspiegel sehe ich, wie er „Fickbewegungen“ mit seiner Hüfte hinter mir her macht. Er meint eindeutig mich und meine Begleiterin. Es ist widerwärtig.
In Deutschland weiß man wenig über die Verhältnisse in Italien. Reportagen vor Ort? Überwiegend Fehlanzeige. Vernünftige Einordnungen auf Basis der Erfahrungen der vergangenen Jahre in großen Medien? Fehlanzeige.
Come fare?
Klar, ich bin auch Tourist, so wie andere Touristen. Im Gegensatz zu diesen habe ich aber hier Freunde, spreche die Sprache und kenne das Land seit 1988, als ich ein knappes Jahr in Neapel lebte.
Mit meinen italienischen Freunden rede ich über diese Erfahrungen. Ich erfahre: Es gibt zu wenig Polizei und zu viele Migranten aus Afrika. Überall im Land kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Die Stimmung sei sehr angespannt. Eine Freundin ist Gymnasiallehrerin. Sie hat 1.600 Euro netto bei einer vollen Stelle: „Come fare?“ (Wie soll das gehen?), meint sie in Bezug auf viele andere Italiener, die mit deutlich weniger Geld auskommen müssen, während die Kosten für die Flüchtlinge horrend sind.
Das soziale Gleichgewicht in Italien sei sehr instabil geworden. Einhellig sind alle meiner Freunde der Auffassung, dass rechte Parteien wie die Lega Nord massiv an Einfluss gewinnen werden und viele fürchten sogar, dass es zu „Revolutionen“ kommen könnte, was immer das meint. Dabei, so wird mir versichert, sei es hier im wohlhabenden Norden ja bei weitem nicht „so schlimm“ wie im Süden, denn der Norden habe im Vergleich viel weniger Flüchtlinge. Irgendwie, auch da ist man sich einig, habe auch die Mafia ihre Finger im Spiel, betreibe Menschenhandel und nutze die billigen Arbeitskräfte im Süden in der Landwirtschaft, ansonsten für Prostitution und Drogenhandel.
„Wir sind überladen, überladen, überladen. Wir haben keine Plätze und wissen nicht, wohin wir die Menschen packen sollen. Wir sind voll. Wir haben keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr, nur Zelte. Was sollen wir tun, ich weiß nicht, was wir tun sollen.“
Giuseppe Gerarci, Bürgermeister der kalabrischen Kleinstadt Corigliano Calabro. Im Süden des Landes sind in den vergangenen Tagen etwa 5.000 Flüchtlinge und Migranten angekommen, für das Wochenende soll sich die Zahl auf 7.000 erhöhen, so die Wochenbilanz der Nachrichtenagentur Ansa. Sie kommen zusätzlich zu den fast 85.000, die Italien in diesem Jahr bereits erreicht haben – und den mindestens 2.300 Menschen, die das nicht lebend geschafft haben. Inzwischen macht auch in Rom der Ruf nach einer Obergrenze die Runde,
hatte der Deutschlandfunk im Juli 2017 berichtet.
Ab Frühjahr kommen wieder Tausende
Eigentlich wollte ich ein paar Tage ausspannen – das ist gelungen, im Kreise der Freunde und auf dem abgelegenen Aussiedlerhof mit herrlichem Essen und der italienischen Geselligkeit. Den Journalisten in mir kann ich selten komplett ausschalten. Auf dieser kurzen Reise funktionierte das im öffentlichen Raum teils gar nicht, weil man so direkt konfrontiert ist, dass man diesen negativen Eindrücken überhaupt nicht ausweichen kann.
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Im Winter werden weniger Migranten den Weg übers Mittelmeer suchen. Zudem sind die Kontrollen vor der libyschen Küste verstärkt worden. Menschenrechtsorganisationen erheben schwere Vorwürfe gegenüber der Politik, die versucht, den weiteren Andrang einzudämmen. Ganz sicher sind die Zustände in Libyen katastrophal. Aber ganz sicher werden mit den milderen Temperaturen sehr viele Menschen trotzdem versuchen, über Italien nach Europa zu gelangen.
In Italien machen sie die Erfahrung, dass sie sich unbehelligt den öffentlichen Raum nehmen können. Zu verlieren haben sie nichts. Irgendwann werden sie versuchen, weiterzuziehen. Nach Frankreich und auch nach Deutschland, so wie viele vor ihnen. Wer kann, macht sich jünger – alle wissen, dass unbegleitete minderjährige Ausländer in Deutschland hervorragend versorgt und garantiert nicht abgeschoben werden.
Wie entwickeln sich die Dinge?
Und auch Italien wird den Druck auf Europa verstärken – was, wenn man dem Land keine Flüchtlinge abnimmt? Macht Italien dann die Grenzen auf? Wie reagieren die anderen westeuropäischen Länder dann darauf?
Spätestens seit 2015 ist klar, dass der Druck auf die Politik enorm ist. Vernünftige Lösungen sind nicht in Sicht. In den Gespräche mit den Italienern, durchweg friedliche und gebildete Leute, höre ich Theorien, die wie Verschwörungstheorien klingen:
Sie lassen es zu, dass die Öffentlichkeit unsicher wird. Sie zerstören die Familien, das wichtigste in Italien. Und wenn Chaos herrscht, verschärfen sie die Sicherheitsgesetze. Dann können sie alles kontrollieren wie sie wollen und können das mit der öffentlichen Unsicherheit begründen, die sie erst geschaffen haben. Keiner von denen lebt da, wo wir leben. Sie haben sich bereits abgeschottet und keiner von denen ist mit unserer Lebenswirklichkeit konfrontiert.
Das Land verändert sich – die Stimmung der sonst so lebensfreudigen Italiener erscheint mir bedrückt. Ich vernehme keine Politikverdrossenheit, sondern eine Stimmung, die jegliche Hoffnung an politische Gestaltung eher schon aufgegeben hat. Man wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Dass sich die Dinge positiv entwickeln, glaubt keiner.
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