Mannheim, 25. Mai 2016. (red/cr) Burkhard C. Kosminski feiert Jubiläum – aktuell geht der Schauspiel-Intendant in die zehnte Spielzeit am Nationaltheater Mannheim. Und die wird wieder aufregend. Der agile Theaterlenker hat einiges vor und sieht das Haus vor großen Herausforderungen – auf die er sich freut. Klagen überlässt er anderen – er redet hemdsärmelig von Chancen.
Interview: Christin Rudolph
Herr Kosminski, in dieser Spielzeit können Sie ein besonderes Jubiläum feiern – es ist Ihre zehnte am Nationaltheater. Was waren für Sie herausragende künstlerische Momente?
Burkhard C. Kosminski: Calixto Bieitos Inszenierung von „Bernarda Albas Haus“ mit dem Gastspiel in Teheran, Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ von Georg Schmiedleitner und Elmar Goerdens Inszenierung „Die Wildente“. Für mich persönlich war es die Entdeckung von Tracy Letts „Eine Familie“, ein Stück das nach uns in ganz Europa gespielt wurde. Highlights waren natürlich auch unsere Festivals: Die Internationalen Schillertage, das Bürgerbühnenfestival und Theater der Welt 2014.
Im Zentrum steht das zeitgenössische Autorentheater.

Burkhard C. Kosminski – im zehnten Jahr Schauspiel-Intendant am Nationaltheater Mannheim.
Was macht für Sie das Schauspiel am Nationaltheater aus?
Kosminski: Im Zentrum steht das zeitgenössische Autorentheater. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Autoren (Theresia Walser, Felicia Zeller, Philipp Löhle, Roland Schimmelpfennig, Ewald Palmetshofer u. v. a.) durch Stückaufträge und zahlreiche Ur- und Erstaufführungen ist das Nationaltheater zu einem lebendigen Autorentheater geworden. Fast alle wichtigen deutschsprachigen Autoren haben für Mannheim Stücke geschrieben, die nicht nur auf der Studiobühne, sondern auch im Schauspielhaus aufgeführt werden und einige Autoren waren dem Theater auch als Hausautor verbunden. Darüber hinaus gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit den internationalen Dramatikern Tracy Letts, Tony Kushner und Simon Stephens. Auch die Gründung der Mannheimer Bürgerbühne, seit 2012 unsere partizipative Sparte, ist ein wichtiger neuer Bestandteil des Schauspiels. Das Nationaltheater steht aber auch für die jungen Regiehandschriften von Simon Solberg, Cilli Drexel, Tim Egloff und anderen.
Das Gebäude ist schon jetzt ein hervorragendes Theater
Mit der bevorstehenden Sanierung wird es in der Zukunft eine große Veränderung geben.
Kosminski: Im Sommer 2016 wird das interdisiziplinäre Planungsteam feststehen, das die Generalsanierung des Hauses am Goetheplatz planen soll und die Ausschreibung der voraussichtlich im Sommer 2020 startenden Baumaßnahmen vorbereiten wird. Natürlich streben wir betriebliche und besucherorientierte Verbesserungen an, aber es wird sich um eine Bestandssanierung handeln. Das Gebäude ist schon jetzt ein hervorragendes Theater, das auch in wirtschaftlicher Hinsicht effizient betrieben werden kann.
Aus der künstlerischen Perspektive haben Sie sich sicher trotzdem schon einmal Gedanken gemacht, was das für das Schauspiel bedeutet.
Kosminski: Einerseits ist das eine große Belastung, weil im Theater ja alles ineinander greift: Der Spielort, die Technik, die Werkstätten, das Stück, die Schauspieler und die Besucherstrukturen – das muss gut geplant und organisiert sein. Andererseits ist es eine Gelegenheit, Theater an neuen Orten neu zu machen. Man muss es als Chance begreifen und in die Stadt gehen. Mich persönlich würde auch interessieren andere Inszenierungskonzepte und Theaterformen auszuprobieren. Da muss man neu denken. Eine anspruchsvolle Herausforderung.
Eine Spardebatte muss zusammen mit einer Wertedebatte geführt werden.
Wenn es zur Sanierung kommt, wird das teuer. Spüren Sie schon aktuell einen Spardruck?
Kosminski: Im Moment bei uns nicht. Der Mannheimer Gemeinderat hat einen Fünf- Jahres-Plan für das Nationaltheater beschlossen, der dem Theater eine langfristige Planung ermöglicht. Wenn man sich umschaut, spürt man aber einen zunehmenden Spardruck in den kommunalen Haushalten. Das liegt an der Schuldenbremse. Kunst und Kultur fallen im Haushaltsplan der Kommunen unter die freiwilligen Ausgaben und sind daher stark gefährdet. Ich denke, dass eine Spardebatte zusammen mit einer Wertedebatte geführt werden muss. Diese Wertdebatte wollen wir mit unserem neuen Format „Mannheimer Reden“ befördern. Eine Debatte über den gesellschaftlichen Wandel und darüber, welche Grundrechte nicht verhandelbar sind.

Hamlet. Foto: Christian Kleiner
Stabile Zuschauerzahlen
2014 wurde öffentlich diskutiert, ob der Solidaritätszuschlag noch gerechtfertigt sei. Damals haben Sie in einem offenen Brief an die Landes- und Bundesminister für Kultur und Bildung vorgeschlagen, den Solidaritätszuschlag für Kultur und Bildung zu verwenden. Sie beklagten, die Kultur erlebe “einen Bedeutungsschwund in erschreckendem Ausmaß”. Weiter, Theater und Zeitung seien gelebte Demokratie und würden radikale Strömungen, Intoleranz und rechtsextreme Tendenzen verhindern. Haben sich Ihre Sorgen in den vergangenen zwei Jahren bestätigt?
Kosminski: Lassen Sie mich bitte den Begriff „Bedeutungsschwund in der Kultur“ konkretisieren: Ein Bedeutungsschwund hat sich in der Kulturpolitik in Mannheim und Baden-Württemberg nicht bestätigt, ganz im Gegenteil. Die Landesregierung hat die Subventionen für das Nationaltheater erheblich erhöht und der Mannheimer Gemeinderat einen verbindlichen Fünf- Jahres-Plan verabschiedet. Auch unsere Zuschauerzahlen sind in der vergangenen Spielzeit weiter gestiegen und bleiben seit Jahren stabil. Erschreckend war für mich, als ich vor wenigen Wochen bei der jährlichen Konferenz der Nationaltheater in Warschau war. In Polen, Ungarn oder Kroatien berichten die Kollegen von einer erheblichen Einflussnahme seitens der Politik auf die Theater. Die ungelösten Flüchtlingsfragen, der zunehmende Rechtspopulismus und die erodierende Wertegemeinschaft in Europa bleiben besorgniserregend.
Zur Person:
Burkhard C. Kosminski (54) aus Schwenningen studierte Regie und Schauspiel in New York City am Lee Strasberg-Institute und am William Esper-Studio. Als Regisseur arbeitete er an der Berliner Schaubühne, am Schauspiel Frankfurt, Theater Dortmund sowie am Staatsschauspiel Dresden, sowie von 2001 bis 2006 als leitender Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit 2006 ist er Schauspieldirektor am Nationaltheater Mannheim und künstlerischer Leiter der Internationalen Schillertage. Auf seine Initiative hin wurde 2012 die Mannheimer Bürgerbühne am Nationaltheater Mannheim gegründet. Seit 2013 ist er Schauspielintendant und Eigenbetriebsleiter. Eine wichtige künstlerische Leitlinie und persönlicher Schwerpunkt am Nationaltheater Mannheim ist neben der „Klassiker-Pflege“ das Autorentheater. Eine Entdeckung war das mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnete Stück „August: Osage County“ von Tracy Letts, das seine europäische Erstaufführung am Nationaltheater Mannheim feierte. Kosminskis erste Mannheimer Inszenierung war die Uraufführung „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ von Theresia Walser. Zusammen mit Matthias Liliental bildet er die Festivalintendanz bei Theater der Welt 2014 in Mannheim.
Theater muss sich zur Stadtgesellschaft bekennen
Wie muss für Sie Theater sein, um Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten?
Kosminski: Ich glaube, man erreicht die Zuschauer nur, wenn man sich mit gesellschaftlich relevanten Themen beschäftigt und sich zu der Stadt, in der man lebt und arbeitet, bekennt. Ich begreife Theater als einen öffentlichen Ort der Auseinandersetzung innerhalb der Stadtgesellschaft. Die Schaubühne als moralische Anstalt und die ästhetische Erziehung gehören für mich genauso dazu wie die Bürgerbühne als partizipative Theaterform und gelebte Demokratie.
Wen soll das Theater am Nationaltheater ansprechen? Ist das bewusst eine andere Zielgruppe als zum Beispiel beim Ballett oder bei der Oper?
Kosminski: Unser Spielplan ist eine Einladung an die ganze Stadt. „Die ganze Welt ist Bühne“, heißt es bei Shakespeare. Und nicht nur bei den Klassikern, sondern auch in der neuen Dramatik finden wir komplexe und widersprüchliche Beschreibungen unserer heutigen Lebenswirklichkeit. Im Idealfall ist Theater generationsübergreifend. Im Gegensatz zu Kino oder Konzerten, die immer zielgruppengesteuert sind. Genau das wollen wir vermeiden.

Die Lücke. Foto: NTM
Bewegend: Mannheim Arrival
Mit “Ein Blick von der Brücke/Mannheim Arrival” wurde in dieser Spielzeit ein Stück gespielt, bei der erstmals Flüchtlinge Thema und Mitwirkende sind. Wie wurde das Stück aufgenommen?
Kosminski: Am Ende der Spielzeit werden wir rund 25 Vorstellungen im Schauspielhaus gespielt haben, was für diese Form von Dokumentartheater außergewöhnlich ist. Der Abend erzählt sehr persönliche Geschichten von Flüchtlingen, ihrer Heimat, Fluchtursachen und ihren Erfahrungen mit Deutschland. Das hat unser Publikum sehr bewegt und auch zu verschiedenen Formen des Engagements geführt. Die Resonanz bei der regionalen und überregionalen Presse war sehr positiv.
Wird das Thema Flucht das Schauspiel am Nationaltheater auch in Zukunft beschäftigen?
Kosminski: Wir planen auf Franklin, der Landeserstaufnahmestelle in Mannheim, eine Kulturschule, in der Künstler aus den Bereichen Schauspiel, Tanz, Musik und bildender Kunst mit Geflüchteten zusammenarbeiten. Die Kulturschule ist ein Angebot, ein erster Schritt zur Integration und kulturellen Teilhabe. Profis werden hier mit Laien arbeiten, ähnlich wie bei der Bürgerbühne. Vielleicht entdecken wir unter den Flüchtlingen Künstler, die dann selbst Workshops geben.
Wir konnten international renommierte Regisseure wie Edith Kaldor und Oliver Frljic gewinnen.
Im Schauspielhaus werden wir mit dem Showformat „Spiel ohne Grenzen – Theater des Gerüchts“,
allen Vorurteilen, Urteilen und Gerüchten rund um das Thema Flucht und Integration in Mannheim nachgehen. Durch den Abend wird der deutsche Meister des Poetry Slams Nektarios Vlachopoulos führen.
Auf welche Inszenierung in der kommenden Spielzeit freuen Sie sich besonders?
Kosminski: Als Intendant freue ich mich natürlich auf alle Neuproduktionen. Besonders aber darauf, dass es uns gelungen ist, die international prominenten Regisseure Edith Kaldor und Oliver Frljic, aber auch Jan-Philipp Gloger erstmals für Mannheim zu gewinnen. Als Regisseur bin ich glücklich über die Zusammenarbeit mit dem derzeit wichtigsten britischen Dramatiker Simon Stephens und dass Roland Schimmelpfennig mit „Das große Feuer“ wieder ein Stück für Mannheim geschrieben hat, das wir in Zusammenarbeit mit der Oper im Januar 2017 uraufführen werden.
Anm. d. Red.: Wir begleiten die Kulturszene so intensiv wie möglich. Christin Rudolph ist eine von zwei Freiwilligen, die bei uns ein Freiwilliges Jahr Kultur absolvieren. Die 18-jährige hat im vergangenen Jahr Abitur gemacht und arbeitet seit September 2015 in der Redaktion mit Schwerpunkt Kulturthemen.
Hier eine Auswahl von Texten, die wir zur Lektüre empfehlen:
Die Sprache soll fließen – über den Hausautor Akin E. Sipal
Sind die Flüchtlinge angekommen? – Mannheim Arrival
Keine Gebrauchsanweisung fürs Leben – Hamlet modern
Schiller ist ein Tatort-Autor – Interview mit Prof. Dr. Jochen Hörisch zu Schillertage
Wenn Opfer zu Tätern werden – Die Lücke am NTM
Schmerzfrei bis zur Verblödung – Jonathan Meese tanzt den Erzschiller
Das Kopftuch bleibt – Schauspielerin Ragna Pitoll blickt auf das Fadjr-Theaterfestival im Iran zurück
Alle rund 250 Texte finden Sie hier: https://www.rheinneckarblog.de/tag/nationaltheater
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