Mannheim, 28. Juni 2016. (red/cr) Drei Stunden zieht die Aufführung hunderte Zuschauer in ihren Bann: Leicht, mühelos, unbeschwert, schwebend. Die Magie findet auf der Bühne statt. Das Spektakel lebt – doch damit es überhaupt zustande kommen kann, ist monatelange, harte Vorarbeit unverzichtbar. Ohne das Team hinter den Kulissen gäbe es kein Theater, kein Konzert, kein Musical. Nicht einmal Besucher. Viel vom Zauber spielt sich im Verborgenen ab. Eine Reportage über die Arbeit hinter einer einzelnen Aufführung im Capitol Mannheim.
Von Christin Rudolph
Die Bühne erstrahlt. Der Schlussakkord erklingt. Applaus brandet auf.
Wieder einmal konnte das Kult-Musical Hair sein Publikum im Capitol Mannheim begeistern. Die Darsteller singen zusammen mit den Zuschauern eine Zugabe. Kaum jemanden hält es noch auf den Sitzen – minutenlanger, tosender Beifall.
Der Bühnenzauber hat die Zuschauer in seinen Bann gezogen und begeistert. Die Darsteller strahlen.
Doch ist es allein ihre Leistung, die bejubelt wird? Ohne die Mitarbeiter hinter der Bühne, ihre Vorarbeit hinter den Kulissen würde das Spektakel gar nicht erst zustande kommen: Kein Ton, keine Musik. Kein Licht. Kein Garnichts.
Der schönste Moment ist, wenn man sich ein Konzept ausgedacht hat und sieht, dass es funktioniert.
Thorsten Riehle freut sich genauso wie alle anderen Beteiligten. Für den Geschäftsführer des Capitol wurde ein langersehnter Wunsch Wirklichkeit: Das Kultmusical „Hair“ in diese Spielstätte zu bringen. Nun ist eine weitere Aufführung erfolgreich über die Bühne gebracht – wortwörtlich.
Die Basis jeder Aufführung
Was man als Zuschauer am Abend nicht sieht: Erst einmal ist die bunte Bühne leer. Eine große schwarze Fläche. Die Vorführung soll um 20:00 Uhr stattfinden. Die Aufbauarbeiten beginnen früh morgens – um 07:00 Uhr. Bis zum Mittag muss alles stehen. Angefangen bei der Basis – dem Boden.
Das mag banal klingen. Doch der Boden muss auf das vorbereitet werden, was ihn erwartet. Und was die Künstler erwarten. Auf einem normalen Bühnenboden kann ein Tänzer schnell ins Rutschen kommen, etwa bei einer schnellen Drehung. Beinbruch bei der ersten Tanzeinlage? Vermeidbar.
Also wird sogenannter Tanzboden aufgeklebt, mit einem speziellen „Gafferband“. So wird den Flächen, auf denen am Abend getanzt, gesprungen und gekrochen werden soll, mehr Haftung verliehen. Anschließend kann der Tanzboden wie ein großer Teppich zusammengerollt und später wiederverwendet werden.
Sicherheit geht vor
Was außerdem noch beklebt wird: Kanten. An jede kleine Kante, ob an Treppe oder Podest, wird ein heller Streifen angebracht. Sicherheitsvorschrift. Außerdem die Warnung:
Vorsicht, unbefestigte Kabel!
Die Bühne wird präpariert – die Darsteller dürfen später nirgends „anecken“ oder verheddern.
Die Technik auf der Bühne muss nicht nur funktionieren und am richtigen Platz stehen – sie muss auch und vor allem sicher sein.
Besonders Kabel werden sorgsam abgeklebt, damit niemand stolpert.
An die Kante der Bühne werden außerdem kleine Kärtchen mit Zahlen angebracht: Tanzpunkte. Die fallen keinem Zuschauer auf – vielleicht jemandem ganz vorne, aber den meisten nicht.
Wenn man selbst auf der leeren Bühne steht, wirkt sie riesig – wo ist da die Mitte? Tanzpunkte und andere Markierungen bieten Orientierung.
Alles nach Plan
Wer die Vorbereitungen als Außenstehender beobachtet, so wie ich, steht vor allem im Weg. Beim Aufbau huschen ein knappes Dutzend Menschen durcheinander, die die sperrigen Teile des Bühnenbilds gefühlt durch das halbe Haus schleppen.
Jeder weiß, was er zu tun hat. Requisiten werden an ihren Platz gebracht. Kostüme vorbereitet. Technik justiert.
Wie in einem Ameisenhaufen werden immer mehr Bühnenteile, Instrumente, Requisiten und Technik aufgestellt. Dabei hat alles seinen festen Platz.
Liebe zum Detail
Und alles ist sehr, sehr viel. Allein die Liste der Requisiten umfasst mehrere Seiten Papier.
Dabei werden die Requisiten so gut in das Bühnenbild integriert, dass man sie als Zuschauer kaum sieht – bis die Darsteller sie scheinbar aus dem Nichts hervorzaubern.
In den Details steckt besonders viel Liebe und Arbeit. Produktionsleiterin Sandy Repp überwacht den Aufbau und bringt die Requisiten an ihre Plätze.
Wenn wir eine Idee haben, dann wollen wir sie auch umsetzen. Bei uns ist selten etwas auf der Bühne, das so im Original gekauft wurde. Zu sagen „Wir sparen uns drei Stunden Arbeit und nehmen etwas Fertiges“, dazu ist zu viel Herzblut dabei.
Frau Repp überprüft gerade die Funktionsfähigkeit der Requisiten für Hair. Kommt genügend Rauch aus der Friedenspfeife?
Soundcheck mit Humor
Dann steht unvermittelt ein junger Mann in der Tür. „Wo geht es denn hier zur Verwaltung?“.
Frau Repp erklärt es ihm und wünscht ihm viel Glück – das sei bestimmt ein Bewerber. Man muss sich, egal was im Tagesgeschäft passiert, auch immer um den Nachwuchs kümmern.
Schon erklingt Musik aus dem Saal nebenan. Aber Moment. Es klingt gar nicht wie „Hair“? Das ist brachialer Metal.
Keine Angst, da wird nur die Lautstärke getestet. Das ist meistens die Lieblingsmusik der Tontechniker
versichert Frau Repp. Tontechniker Siggi Hoffmann prüft anscheinend die Maximallautstärke.
Die Mischung macht´s
Bald darauf treffen nach und nach die Musiker ein. Nach herzlichen Begrüßungen geht es zum Soundcheck über. Jeder weiß, wo sein Platz ist und es wird sofort losgespielt. Und zwar Weihnachtslieder. Echt jetzt!
Jingle Bells und Stille Nacht erklingen – mit wuchtiger Schlagzeug-Untermalung. Nach kurzer Zeit hat sich jedes Bandmitglied eingerichtet. Extrem wichtig: Jeder Musiker, ob Darsteller oder Instrumentalist, muss alle anderen hören – und natürlich sich selbst.
Die Bandmitglieder mischen selbst zusammen, was sie in ihren Kopfhörern haben wollen – die eigene Stimme am lautesten und die anderen im Hintergrund, mehr Schlagzeug oder Keyboard, um den Takt zu halten.
Abstimmung ist alles
Die Sänger haben es da etwas schwieriger. Sie müssen sich nicht nur musikalisch abstimmen. Choreografien, gesprochene Texte, Requisiten – da darf niemand etwas vergessen. Zusammen mit dem Regisseur Georg Veit halten sie Lagebesprechung.
Von außen wirkt das ziemlich chaotisch. Songnamen fliegen hin und her. Melodien werden angesummt und Fragen gestellt. Andere dehnen sich noch. Kurze Anweisungen an die Technik – „Bei Auqarius tauschen Zoe und Jeanette die Leadstimme.“
Ein Moment Unaufmerksamkeit – und das Mikrofon von Jeanette Friedrich bleibt beim allerersten Einsatz des Stückes stumm. Der Albtraum für Tontechniker. Er muss nachregeln.
Ins Publikum hineinversetzen
Songs werden angesungen, Choreografien noch einmal durchgesprochen. Vor allem die Übergänge zwischen den Liedern bedürfen feiner Abstimmung von Darstellern, Band und Technikern.
Regisseur Georg Veit beobachtet alles mit kritischem Blick. Wie unter Strom wechselt er ständig die Position und gibt Anweisungen. Koordiniert die Menschen auf, vor und hinter der Bühne. Und versetzt sich gleichzeitig ins Publikum.
In der Nummer spielt die Gitarre viele wichtige Läufe, die man im Publikum gar nicht hört,
ruft er hoch auf die Bühne.
Wo kommt das hin?
Also die Gitarre für die Zuschauer lauter bei diesem Song. Für die Darsteller gibt es auch wichtige Anweisungen:
Wenn ihr knutscht: Nicht ins Mikrofon rein atmen!
Das verursacht Störgeräusche und versaut die Knutschszenen. Beim Soundcheck kommt jedoch ein viel größeres Problem auf. Eine Diskussion über die Position der Monitore entflammt. Monitorboxen sind extrem wichtig für die Sänger und alle Musiker, die sich frei auf einer Bühne bewegen.
Zeitplanverschiebungen? Nichts Neues
Nur so bleiben alle im Takt. Die Position dieser Lautsprecher ist deswegen so bedeutend, weil man auf fast jeder Position auf der Bühne einen ausgewogenen Klang haben muss.
Die Monitorboxen sind offenbar am falschen Platz. Das Klangbild ist nicht stimmig. Große Verwirrung.
Was stimmt jetzt – das Gedächtnis oder der Raumplan?
Nach einiger Diskussion und etwas Ausprobieren ist schließlich die richtige Position gefunden. Das ist geschafft.
Doch der Soundcheck hat eine halbe Stunde länger gedauert als geplant. Und die Darsteller müssen vor der Show noch in die Maske.
Ich finde das alles ganz schön stressig – für die Darsteller und die, die man nicht sieht, ist das normaler Alltag.
Kreativität und Improvisation
Die Maske ist der letzte Schliff vor der Aufführung. Maskenbildnerin Daniela Werner ist den Zeitdruck mehr als gewöhnt. Zusätzlich ist sie noch für die Kostüme zuständig. Gerade arbeitet sie schon an denen für die nächste Produktion: „Jim Knopf“.
Konkret an einer Krone. Immer wieder tritt sie einen Schritt zurück oder zieht sie auf – Ist die zu klein? Sollte das Stoffband etwas breiter sein?
Secondhand ist die erste Wahl
Erst bei genauerer Betrachtung sieht man den Kostümen an, wie viel Planung und in einigen Fällen auch Improvisationstalent darin stecken.
Ich glaube, ich kenne jeden Secondhand-Laden in Mannheim,
lacht Frau Werner. Allein für Jim Knopf sei sie in zehn verschiedenen Geschäften gewesen. Denn man erkennt es sofort, wenn ein Kleidungsstück neu ist.
Doch genau dieser Eindruck würde bei vielen Produktionen stören. Denn jedes Stück soll authentisch sein. Also müssen manche Kostüme abgegriffen, verbraucht oder uralt aussehen.
Arbeiten, damit andere arbeiten können
Vorausgeplant wird auch in ganz anderen Bereichen. Die „Action“ vor und hinter der Bühne könnte niemals stattfinden, wenn sie nicht im Vorfeld organisiert würde – Material, Personal, Verpflegung, genügend Platz.
Im unteren Bereich des Hauses werden Bühne und Backstage-Bereich vorbereitet. Einige Treppenstufen höher wird Kopfarbeit geleistet.
Das Herz der Veranstaltung ist unten und der Kopf ist oben in der Verwaltung,
erklärt Julia Wütscher, Pressesprecherin im Capitol.
Planung, Planung, Planung
Frau Wütscher sorgt dafür, dass Menschen überhaupt vom Angebot des Capitol erfahren. Ohne sie würde keine Werbung gemacht, es gebe keine Vorankündigungen, keine Programmhefte. Und wahrscheinlich sehr viel weniger Besucher.
Ich kümmere mich gerade um Buchungen in der zweiten Jahreshälfte 2017,
sagt sie. Welche Veranstaltung wann ins Haus kommt, wird meistens mehrere Monate im Voraus geplant. Mindestens.
Die Organisation hängt stark von der Art der Veranstaltung ab: In einigen Fällen wird das Haus sozusagen „nur“ vermietet. Der Veranstalter bringt seine eigenen Techniker mit. Dann übernimmt das Capitol vor allem organisatorische Aufgaben und die Betreuung der Gäste.
Flexibel sein
Etwa die Hälfte des Spielplans besteht aus Eigenveranstaltungen, bei denen das Capitol gezielt auf Künstler zugeht und versucht, sie für einen Auftritt zu gewinnen. Am Ende muss die Mischung stimmen und zum Publikum passen.
Wir sind kein Jugendclub. Aber auch eine Wagner-Oper würde hier nicht funktionieren.
sagt Thorsten Riehle. Er ist sich bewusst, was für ein Publikum sein Haus hat. Was besonders gut ankommt: Comedy, Rock und Pop, Kindertheater und Kleinkunst.
Konzepte entwickeln
Auf die bunte Mischung kommt es an. Zusätzlich gibt es in jedem Jahr eine eigene Produktion. Dabei wird ähnlich vorgegangen wie an einem Theater.
Ist das Stück ausgesucht, entwickeln Regisseur und Kostüm Konzepte: Wie soll die Umsetzung ausssehen? Wie soll sie klingen?
Dann werden Darsteller gesucht und Rollen verteilt. Zuerst proben sie gemeinsam die Texte, dann die szenische Umsetzung. Vor der Premiere gibt es noch eine technische Probe und eine mit Kostümen.
Letztes Nachjustieren
Bei diesen Proben fallen Dinge auf, die man in der Theorie nicht kalkulieren kann: Reicht die Zeit zwischen den Songs, um sich Requisiten umzubinden? Sieht der Schlagzeuger immer denjenigen, der den Takt angibt?
Es muss jedoch nicht nur die Aufführung geplant werden. Auch die Gäste müssen versorgt werden.
Die Spannung im Foyer steigt. Um 19:00 Uhr strömen die Besucher herein. Die erwarten, dass die Abendkasse besetzt ist, ihre Tickets kontrolliert werden und an der Bar Getränke bekommen.
Choreografie hinter der Theke
Damit das so funktioniert, ist viel Vorbereitung und Vorplanung nötig.
Wie viele Theken werden besetzt? Wie viel Personal wird benötigt? Das hängt alles von der Anzahl der erwarteten Gäste ab.
Der sogenannte Hauschef ist der Ansprechpartner für alle Aushilfen. Er koordiniert die Zusammenarbeit hinter den verschiedenen Theken. Er sorgt dafür, dass das Personal überhaupt seine Arbeit machen kann.
Choreografie „zwischen den Stühlen“
Getränke und Dienstkleidung müssen an ihrem Platz sein, die Aushilfen rechtzeitig über ihren Dienst und etwaige Änderungen dabei informiert werden.
Die Aufgaben des Hauschefs beschränken sich allerdings nicht auf den Bereich hinter der Theke. Auch die Garderobe gehört dazu. Und bei freier Platzwahl mit vielen Besuchern muss eine Person in den Saal abgestellt werden und die Gäste koordinieren.
Das bedeutet meistens, Gäste darauf hinzuweisen, dass man aufrutschen soll, da die Plätze knapp sind.
Regeln für die Warteschlange
In so einem Fall müssen zusätzliche Stühle gestellt werden. Denn man braucht in der Regel mehr Plätze als Karten verkauft wurden. Weil eben doch nie alle aufrutschen.
Bei so großem Andrang ergibt sich zudem ein sicherheitstechnisches Problem, erklärt Bastiaan Thomassen, Chef vom Dienst an diesem Abend.
Der Fahrradweg vor dem Capitol muss zu jeder Zeit frei sein und bleiben. Wenn bereits vor Einlass viele Menschen vor den Türen warten, müssen Absperrungen aufgestellt werden, um eine geordnete Warteschlange zu bilden. Wird die zu groß, muss früher geöffnet werden.
Gelassenheit und Routine
Eine halbe Stunde vor Einlass wird auch die „Flucht- und Rettungszeichenanlage“ eingeschaltet. Also die grünen Exit-Schilder, die im Dunkeln leuchten und die Fluchtwege ausschildern. Eine Brandschutzbegehung findet alle drei Jahre statt – Sicherheit ist nicht nur auf der Bühne wichtig, sondern natürlich vor allem für die Gäste.
Sobald diese eingelassen werden, muss auch der Saal geschlossen werden und der Soundcheck beendet sein. Keine Geräusche sollen ins Foyer dringen. Egal, wie es hinter der Bühne aussieht.
„Der Künstler kommt wohl so gegen 18:00 Uhr“ – eine klassische Aussage,
sagt Bastiaan Thomassen. Bis zum Einlass um 19:00 Uhr ist der immer noch nicht aufgetaucht. Aber Herr Thomassen nimmt es gelassen.
Ein Puzzle aus vielen Teilen
Denn einerseits ist man das fast schon gewohnt. Andererseits kann er ohnehin nichts weiter tun, als im engen Kontakt mit dem Hauschef zu bleiben.
Wann genau die Türen des Saals wirklich aufgehen und wann die Pausen sind, das wird in Absprache entschieden. Gemeinsam koordinieren sie die Gäste – ohne dass diese es bemerken.
Die tatsächliche Show bestimmt nur einen kleinen Teil des Arbeitstages im Capitol – aber sie ist die Frucht der Bemühungen. Wenn dann alles klappt, atmen die Mitarbeiter des Capitols auf. Denn jeder einzelne trägt seinen unverzichtbaren Teil dazu bei, dass die Aufführung gelingt und der Abend gut wird.
Heute ist es geglückt. Der Schlussakkord – die Bühne strahlt. Mit ihr die Darsteller und das Publikum. Und auch das Team, dass diese Momente, diese Begeisterung überhaupt erst ermöglicht hat.
Teamwork ist alles
Aber entspannen können sie sich jetzt noch nicht. Auch nach der Vorstellung müssen die Gäste und Künstler betreut werden. Und sobald der letzte Zuschauer aus dem Saal ist, wird abgebaut.
Laura Track aus dem Betriebsbüro beschreibt es so:
Es gibt die Regel, dass niemand auf die Bühne geht, bis der letzte Zuschauer aus dem Saal ist. Denn sonst geht so ein bisschen die Magie des Theaters verloren.
Viel von dem Zauber findet abseits der Bühne statt, spielt sich fern von den Augen der Zuschauer im Verborgenen ab – damit am nächsten Tag ein neuer Vorhang aufgehen kann.