Mannheim/Köln, 12. Juli 2016. (red/pro) Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat dem Wettermoderator Jörg Kachelmann wegen 26 Fällen schwerwiegender Persönlichkeitsrechtsverletzung eine Geldentschädigung in Höhe von insgesamt 395.000 Euro zugesprochen. Der bekannte Wetterfachmann stand in Mannheim vor Gericht, weil eine Ex-Freundin ihn wegen Vergewaltigung angezeigt hatte. Jörg Kachelmann wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Prozess wurde ihm trotzdem gemacht – überwiegend durch Boulevardmedien, aber auch von anderen.
Von Hardy Prothmann
Im März 2010 wurde der Schweizer Jörg Kachelmann (57) durch Schwetzinger Polizisten am Flughafen Frankfurt verhaftet: Seine Ex-Geliebte Claudia D. beschuldigte ihn, sie vergewaltigt zu haben. Herr Kachelmann saß 132 Tage in der Justizvollzugsanstalt Mannheim in Untersuchungshaft. Letztlich wurde er nach über neun Monaten Verhandlungen im Mai 2011 vor dem Landgericht Mannheim frei gesprochen. (siehe unseren Bericht)
Allerdings war der Ruf enorm beschädigt – er verlor beispielsweise seinen Vertrag als Wetterexperte der ARD.
Zahlreiche Klagen
Seither führt er reihenweise Prozesse gegen die Ex-Geliebte und viele Medien, aber auch aktuell das Land Baden-Württemberg. Die Feministin Alice Schwarzer unterlag beispielsweise Anfang 2015 gerichtlich, weil ihre Zeitschrift Emma den Eindruck erweckte, Herr Kachelmann sei ein Vergewaltiger. Frau Schwarzer wollte eine Entscheidung des OLG Köln nicht akzeptieren und scheiterte mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof.
Vor dem Landgericht Köln klagte Herr Kachelmann gegen die Bunte und den Focus – beide Medien gehören zum Burda-Verlag (AZ 28O541/13, AZ 28O542/13) und von beiden wollte er je 500.000 Euro Schmerzensgeld. Die Klagen waren am 30. Dezember 2013 eingegangen und die Verfahren am 6. und 7. Juli 2014 ohne Verhandlung beendet worden, weil sich die Streitparteien außergerichtlich geeinigt hatten, wie uns das Gericht auf Nachfrage mitteilte.
Das Landgericht Köln hatte im Herbst 2015 in erster Instanz wegen 38 Fällen insgesamt einen Betrag von 635.000 Euro ausgeurteilt. Nachdem beide Seiten Berufung eingelegt hatten, hat das Oberlandesgericht Köln (OLG) diesen Betrag nun auf insgesamt 395.000 Euro herabgesetzt. Davon entfallen 215.000 Euro auf die Springer SE für 14 Printveröffentlichungen und 180.000 Euro auf die Bild GmbH & Co KG für 12 Onlineveröffentlichungen, wobei die Inhalte teilweise identisch sind. Dazu kommen Zinsen seit 2010. Der Gesamtbetrag dürfte bei gut 500.000 Euro liegen. Im Berufungsverfahren hatte der Kläger noch eine Gesamtsumme von 950.000 Euro begehrt.
395.000 Euro für 26 Verletzungen des Persönlichkeitsrechts
Interessant. Das OLG Köln hat keine zielgerichtete Pressekampagne gegen den Kläger als erwiesen erkannt. Denn über den Verdacht einer Sexualstraftat habe auch mit Rücksicht auf die Prominenz des Klägers grundsätzlich berichtet werden dürfen. Das hätten nicht nur die Medien der Beklagten, sondern auch Produkte anderer Verlagshäuser getan, so das Gericht. Dazu gehörten auch „die im Rahmen des Ermittlungsverfahren zu Tage getretenen Umstände aus dem Privat- und Beziehungsleben des Klägers, zumal das Strafgericht durch die Vernehmung von Beziehungszeuginnen zu erkennen gegeben habe, dass es ihm für die Beweisaufnahme auch auf die privaten Verhältnisse des Klägers“ angekommen sei. (Oberlandesgericht Köln: Urteile vom 12.07.2016, Az. 15 U 175/15 und 176/15)
Weil nach Auffassung des Gerichts keine Pressekampagne vorlag, die es erlaubt hätte, im Wege der Gesamtbetrachtung eine Gesamtsumme als Geldentschädigung festzusetzen, hat der Senat jede einzelne Berichterstattung daraufhin überprüft, ob diese den Rahmen des Zulässigen überschritten haben und ob die Zuerkennung einer Geldentschädigung geboten sei. Das ist nur dann der Fall, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die dadurch verursachte Einbuße auf andere Weise nicht hinreichend ausgeglichen werden kann.
Das OLG führt aus:
Dem Kläger wurden insgesamt 235.000 Euro wegen insgesamt 13 Bildveröffentlichungen zugesprochen. Dazu zählen etwa Bilder, die den Kläger im Innenhof der Kanzlei seiner Verteidigerin (je 10.000 – 15.000 Euro), auf dem Weg in den Urlaub und am Ort seiner Hochzeit (je 20.000 Euro) und als Untersuchungshäftling im Hof der Justizvollzugsanstalt (20.000 – 25.000 Euro), davon einmal mit nacktem Oberkörper (30.000 Euro) zeigten. Insbesondere beim letztgenannten Bild sei der Kläger unter Missachtung seiner Würde zur bloßen Belustigung bzw. Befriedigung der Neugier des Publikums vorgeführt worden. Dies sei sogar vorsätzlich geschehen, weil das Landgericht den Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits die Veröffentlichung von ähnlichen Bildern verboten gehabt habe. Ferner habe der Kläger einen Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 70.0000 Euro wegen der Verletzungen seiner Geheimsphäre in 6 Fällen. Das betreffe etwa die Veröffentlichung privaten SMS-Verkehrs (15.000 Euro) oder Angaben zur gesundheitlichen Situation des Klägers (10.000 Euro). Weiter wurde dem Kläger insgesamt ein Betrag von 40.000 Euro wegen der Verletzung seiner Intimsphäre in 3 Fällen zugesprochen, weil die Beklagten intime Details zu seinem Sexualleben veröffentlicht hatten. Hier hatte das Landgericht noch weitere Fälle für ersatzpflichtig gehalten. Der Senat folgte dem im Wesentlichen deshalb nicht, weil die Inhalte auch im Strafverfahren zur Sprache gekommen waren. Schließlich erhält der Kläger 50.000 Euro wegen unzulässiger Vorverurteilung in 4 Fällen. In verschiedenen Veröffentlichungen hätten die Beklagten eine unzulässige Verdachtsberichterstattung betrieben, die nicht von einem hinreichenden Mindestbestand an Tatsachen gedeckt gewesen sei.
Einen Anspruch wegen Falschberichterstattung sah der Senat dagegen wie das Landgericht nicht als gegeben an. Zwar habe es falsche Berichte gegeben, eine Geldentschädigung sei aber nicht geboten, da der Kläger in seinem eigenen Buch ähnliche Details geschildert habe, so das OLG.
Keine Geldentschädigung erhält der Kläger zudem für zahlreiche Berichterstattungen, für die er bislang keine Unterlassungsforderungen gestellt hatte. Daraus lasse sich schon schließen, dass die Eingriffe für ihn kein besonderes Gewicht gehabt hätten, erklärt das Gericht. Jedenfalls enthielten die Artikel inhaltlich keine so schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen, dass eine Geldentschädigung geboten gewesen wäre. Übersetzt: Hier sind möglicherweise Unterlassungsklagen möglich, aber eben keine Geldentschädigung.
Bei der Bemessung der Geldentschädigung hat der Senat eine Gesamtabwägung vorgenommen. Dabei hat er auch berücksichtigt, dass es mit dem Strafverfahren tatsächlich einen Anlass für die Berichterstattung gab und die für den Kläger negativen Folgen des Strafverfahrens in der öffentlichen Wahrnehmung nicht den Beklagten angelastet werden können. Daneben hat der Senat auch den Verbreitungsgrad der Medien der Beklagten, die Nachhaltigkeit der Rufschädigung und, insbesondere in den Fällen vorsätzlicher Persönlichkeitsrechtsverletzung, den Präventionsgedanken und die Genugtuungsfunktion der Geldentschädigung berücksichtigt, so das OLG.
Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Die Entscheidung kann daher nur noch mit der sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden.
Die Bild-Zeitung feiert das Urteil als Erfolg, da die ursprüngliche Forderung von 2,25 Millionen Euro abgewehrt werden konnte. Äußerungen der Bild-Zeitung, das Urteil und die halbe Million Euro Geldstrafe als Anlass zu nehmen, über die eigene Berichterstattung nachzudenken, sind nicht bekannt. Für Jörg Kachelmann ist dieses Urteil kein Erfolg, weil er nun weniger erhält als in der ersten Instanz und insgesamt nur einen Bruchteil seiner Forderung
Boulevard-Medien nehmen häufig Strafverfahren in Kauf, weil sie über die Auflage genug Geld verdienen, um diese bezahlen zu können und trotzdem noch ordentlich Gewinn zu machen.