Mannheim/Rhein-Neckar, 12. Januar 2015. (red) In diesen Tagen nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo wird viel über Meinungs- und Pressefreiheit geredet. Aber wissen die Leute eigentlich, worüber sie reden? Allein das Wort Pressefreiheit lässt Zweifel daran aufkommen, denn eigentlich ist Pressefreiheit ein antiquierter Begriff. Medienfreiheit wäre der passende Begriff. Also, was ist das, diese Presse-, repektive Medienfreiheit? Und wer ist wann Presse oder ein Medium?
Von Hardy Prothmann
Zwar gibt es mit Artikel 19 der UN-Menschenrechtscharta eine allgemeine Presse- oder Medienfreiheit. Aber dieses „Freiheitsrecht“ ist weltweit immer abhängig vom jeweiligen Rechtssystem. Und in dem meisten Ländern dieser Welt ist es schlecht um die Medienfreiheit bestellt. Insbesondere Deutschland hat einen hohen Grad von Medienfreiheit, liegt aber im Vergleich mit anderen 179 Ländern nach einem Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Rang 14. Auf Platz 1 steht Finnland.
Basis allen Journalismus: Artikel 5 Grundgesetz
Basis aller Medienfreiheit ist in Deutschland die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz. Danach ist es allen in Deutschland erlaubt, sich aus frei zugänglichen Quellen zu informieren und die eigene Meinung zu äußern und zu verbreiten:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Dieses sehr freiheitliche Recht findet aber auch seine Schranken – immer dann, wenn andere Rechtsgüter wie beispielsweise Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Man kann also Kritik an Personen, Institutionen und Gruppen äußern, man darf sie aber nicht beleidigen. Deshalb wäre beispielsweise die beißende Satire von Charlie Hebdo in Deutschland vermutlich ein Fall für die Gerichte.
Zensur
Eine staatliche Zensur findet nicht statt? Ja und Nein. Der Staat geht selbstverständlich gegen alle Publikationen vor, die andere Rechte verletzen, also wenn beispielsweise volksverhetzende Schriften oder solche, die zur Gewalt aufrufen. Auch „Gotteslästerung“ kann zensiert werden.
Und selbstverständlich findet private Zensur statt. So gibt es die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) nach der Spiele und Filme mit Altersfreigaben versehen werden. Ebenso findet eine Selbstzensur bei gedruckten Medien statt. Insbesondere Fotos von Opfern oder Namen von Angeklagten sollten laut Pressekodex nicht veröffentlicht werden. Wer dagegen verstößt, erhält eine Rüge oder Missbilligung vom Deutschen Presserat (auch wir sind Mitglied). Juristische Folgen hat das nicht.
Der Fall „Jörg Kachelmann“ zeigt aber, dass es enorme Folgen haben kann. Der Wettermoderator ist gegen Dutzende Redaktionen vorgegangen, die seine Persönlichkeitsrechte verletzt haben. Nach unserer Kenntnis hat er den ganz überwiegenden Teil der Abmahnungen und Klagen gewonnen. Und es gibt eine so genannte „Verbreiterhaftung“ – werden also Aussagen verbreitet, die von einer anderen Person stammen, sind Redaktionen verpflichtet zu prüfen, ob diese veröffentlicht werden können und sich klar zu distanzieren.
Jeder kann Journalist sein – theoretisch
Menschen, die für Medien arbeiten, haben viele Berufe. Jede Menge technische, um überhaupt Medien herstellen zu können, aber auch Ökonomen und Juristen arbeiten für Medien, denn professionelle Medien sind Wirtschaftsbetriebe oder Anstalten des öffentlichen Rechts wie ARD und ZDF. Wir konzentrieren uns auf die Journalisten.
Journalistisch kann jeder tätig werden. Diese Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Typischerweise macht man als „Berufsausbildung“ ein Volontariat. Meist zwei Jahre bei einem Medium und lernt in einer Redaktion das journalistische Handwerkszeug, also Recherche und das Verfassen von Beiträgen, ob als Text, Bild, Ton oder Film. Medien werden alle Informationsanbieter genannt, die nach einem Konzept periodisch publizieren.
Presse und andere Medien seit Ende des 2. Weltkriegs
Nach dem 2. Weltkrieg mussten alle Zeitungsverleger eine Lizenz beantragen, um überhaupt eine Zeitung herstellen zu dürfen. Später kamen nach dem Vorbild anderer Sender der Alliierten ab 1950 die heute durch Fusionen nur noch neun Landesrundfunkanstalten und 1961 das ZDF hinzu. Mitte der 80-er Jahre das Privatfernsehen.
Elektronische Medien, die Hörfunk oder Fernsehen anbieten, brauchen nach wie vor eine Lizenz, die von den Landesmedienanstalten vergeben wird. Die rechtliche Basis sind die Rundfunkstaatsverträge. Für das Internet gilt das Telemediengesetz. Daneben gibt es noch das jeweilige Landespresserecht unter das auch Internetangebote wie das unsere fallen.
Pflichten und Rechte
In Sachen Pressefreiheit gibt es jede Mengen Pflichten, aber auch besondere Rechte, die eben nicht allen zustehen. Beispielsweise müssen Behörden auf Anfrage Auskünfte erteilen. Tun sie das nicht, kann man klagen. Doch insbesondere kleine Redaktionen haben dafür nicht die Mittel. Tatsächlich profitieren aber auch kleine Redaktionen von solchen Klagen großer Medien, weil erlassene Urteile häufig zu einem Umdenken führen, aber nicht immer.
Journalistische Redaktionen haben zudem das Recht auf Gleichbehandlung. Informiert also eine Behörde die Öffentlichkeit mit einer Pressemitteilung, muss sie diese allen professionellen Medien zur Verfügung stellen, die daran Interesse haben. Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis wollte uns dieses Recht vor einigen Jahren vorenthalten – mit der spitzfindigen Begründung, dass das Presserecht nur für Presse gelte und nicht für eine Internetplattform. Nachdem wir entsprechende Urteile präsentiert hatten, änderte man dort seine Meinung.
Öffentlich vs. privat
Die komplette private Welt muss den Medien keine Auskunft geben. Also keine Privatperson, kein Wirtschaftsbetrieb, kein Verein, eben alles, was nicht staatlich ist. Es gibt zwar Veröffentlichungspflichten wie bei GmbHs das Vorlegen der Bilanzen oder bei Aktiengesellschaften Bilanz und Geschäftsbericht, aber weitere Auskünfte werden freiwillig gegeben. Häufig haben Vereine (Sport) und Unternehmen (Wirtschaft) auch über ihre Verbände ein hohes Interesse an „positiven“ Nachrichten. Bei negativen Konstellationen werden Informationen eher nicht gerne gegeben – professionelle Pressestellen wissen aber, dass dies meist negativere Folgen hat, als eine ordentliche Information der Medien.
Über öffentliche Personen, so genannte Personen der Zeitgeschichte, kann man jederzeit berichten. Aber nicht über deren Privatleben – auch hierfür haben sie ein Persönlichkeitsrecht. Insbesondere Boulevardmedien interessieren sich aber vor allem für’s Private.
Juristische Einschränkungen
Die große Freiheit bei der Veröffentlichung von Informationen ist aber auch eine große Gefahr. Falsche Tatsachen, fehlende Bildrechte, falsche Informationen können zu erheblichen Klagen oder Imageschäden führen. So hat der stern sich beispielsweise nie mehr von der Veröffentlichung der falschen Hitler-Tagebücher erholt. Ob das Magazin von der Täuschung wusste und ab wann, sei dahingestellt.
Wir selbst haben in den vergangenen Jahren 20 Abmahnungen erhalten. Kosten insgesamt: 16.000 Euro. Das ist sehr viel Geld für einen kleinen Betrieb – abgesehen von der psychologischen Belastung. Der Kollege Stefan Aigner in Regensburg wurde durch die katholische Kirche verklagt, weil er über Schweigegeld an die Familie eines Missbrauchsopfers berichtet hatte (sehr lesenswert). Die Kirche wollte ihm den Begriff „Schweigegeld“ verbieten. Nur durch Spenden konnte sich der Journalist gegen die finanzstarke Kirche wehren und hat letztlich gewonnen.
Freiheit der Berichterstattung
Die Medienfreiheit erlaubt allen Medien zu entscheiden, was und wie sie berichten. Ob kurz, ob lang, ob gar nicht. Ob Boulevard oder Wirtschaftszeitung. Zudem genießen professionelle Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht sowie ein Redaktionsgeheimnis (siehe Cicero-Urteil). Das heißt: Durchsuchungen von Ermittlungsbehörden können nicht so einfach erfolgen wie bei Betrieben, Behörden oder Privatpersonen. Insbesondere der Informantenschutz ist ein hohes Gut, dass aber durch „Gefahrenabwehr“-Gesetze wie die wieder entschärfte Vorratsdatenspeicherung bedroht ist.
Privilegien
Professionelle Journalisten genießen weitere Privilegien, beispielsweise dürfen sie hinter Polizeiabsperrungen recherchieren – zumindest in der Theorie. Solange ein Tatort nicht untersucht ist oder die Polizei aus „Sicherheitsgründen“ keinen Zutritt erlaubt, gilt das Privileg nicht.
Historisch ist die „Preßfreiheit“ übrigens ein Kind der 1848-Revolution. Zuvor waren der Betrieb einer „Druckerpresse“ meist nur mit einer Lizenz möglich. Was gedruckt werden durfte, war stark zensiert. Der Grund war klar: Es sollten keine „ketzerischen“ Gedanken vervielfältigt werden dürfen, weder gegen die Kirche noch den Staat. Also musste man sich die „Preßfreiheit“ erkämpfen.
Die Erfahrungen der gleichgeschalteten Medien im 3. Reich hat dazu geführt, dass die Meinungsfreiheit und vor allem die Freiheit zur Verbreitung von Meinungen eines der höchsten Freiheitsgüter der neuen Bundesrepublik Deutschland wurden. Der Lizensierungszwang der Nachkriegsjahre wurde aufgehoben – allerdings wurde 1978 mit der taz die letzte Zeitung in Deutschland gegründet.
Seit den 60-er Jahren gibt es einen zunehmenden Konzentrationsprozess bei gedruckten Zeitungen. Gab es 1954 noch 624 Verlage, sind bis 2009 351 übrig geblieben. In diesem Jahr rutschte die Zahl der täglich gedruckten Zeitungen erstmals seit 1979 wieder unter 20 Millionen Exemplare. Zeitungen fusionieren verstärkt oder werden eingestellt. Das bedeutet einen Verlust von Pressevielfalt. Nicht immer sind Fusionen möglich – hier gibt es eine strenge kartellrechtliche Überwachung, um eine „Gleichschaltung“ zu verhindern.
Medienfreiheit zunehmend bedroht
Eine Presse- oder Medienfreiheit in der heutigen Form gab es noch nie zuvor und Deutschland gehört zu den führenden Ländern. Allerdings ist die Medienfreiheit zunehmend bedroht: Durch durch den wachsenden wirtschaftlich-finanziellen Druck. Denn auch Journalisten müssen essen, wohnen, leben. Ihr Medium muss sie bezahlen und muss dafür selbst Geld erwirtschaften – klassischerweise durch Werbung und Verkäufe.
Doch durch das Internet werden diese Erträge immer geringer, beispielsweise durch die fehlende Exklusivität von Informationen und deren kostenlose Verfügbarkeit. Ausgerechnet die Zeitungsverlage haben zunächst über Jahre ihre Informationen im Internet konstenlos zugänglich gemacht – heute wird das als „normal“ erwartet.
Die Medien versuchen dagegenzusteuern. Aber Abo-Modelle oder Bezahlschranken ernähren noch nirgendwo eine Redaktion. Zudem brechen Werbeeinnahmen weg, da viele Unternehmen über das Internet und soziale Netzwerke selbst zum „Sender“ werden können. Die klassischen Medien sind für den Transport von Informationen nicht mehr unbedingt notwendig.
Mitverantwortung der Mediennutzer
Für eine professionelle Einordnung hingegen schon. Kein Unternehmen und keine Behörde informiert freiwillig über Schieflagen und Skandale. Um eine gewisse Relevanz zu erreichen, nützt alle Pressefreiheit nichts – man benötigt Reichweite. Die kann auf starke Zielgruppen wie Entscheider gerichtet sein wie bei uns oder auf die breite Masse wie bei der Bildzeitung.
Die zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten behindert Medienfreiheit – mitschuldig sind die Mediennutzer, die zwar wie selbstverständlich Informationen erwarten, aber nicht bereit sind, dafür zu zahlen.