Mannheim, 31. Mai 2011 (red) Der spektakuläre Prozess um eine behauptete Vergewaltigung ist heute beendet worden: Der bekannte Wetter-Moderator Jörg Kachelmann (52) wurde am Vormittag vom Landgericht Mannheim nach über neun Monaten Verhandlung frei gesprochen. Ob der Prozess damit beendet sein wird, ist erst in einer Woche klar – die Staatsanwaltschaft prüft eine Revision. Klar ist – das Verfahren war würdelos und das Landgericht Mannheim ist daran mitschuldig.
Von Hardy Prothmann
Der Freispruch für Jörg Kachelmann ist erwartet worden. Zu wenig überzeugend waren die Beweise für eine mutmaßliche Vergewaltigung. Das angebliche Opfer, eine 38-jährige Radio-Moderatorin aus Schwetzingen, hatte mehrfach gelogen, Gutachter hatten ihre angeblichen Verletzungen angezweifelt.
Der Freispruch war deshalb die einzig richtige Entscheidung – aus moralischen Gründen wird in Deutschland niemand ins Gefängnis geschickt und das sollte auch so bleiben.
Moral, Geliebte, sexuelle Bedürfnisse
Moralisch gesehen, war und ist Jörg Kachelmann trotz des richterlichen Freispruchs zu recht verurteilt worden. Der Mann soll ein geheimes Netzwerk von Geliebten gehabt und die Frauen nach seinen sexuellen Bedürfnissen ausgenutzt haben – sagen zumindest Gutachter.
Der Schweizer moderierte unkonventionell das Wetter und baute seine Firma Meteomedia zu einer erfolgreichen Firma aus. Vor gut zehn Jahren wollte ich Herrn Kachelmann deshalb für eine Fachzeitschrift porträtieren und reiste mit einem Fotografen auf die Insel Hiddensee. Nach gut einer Stunde habe ich meinen damaligen Chefredakteur informiert, dass ich das Porträt über diesen arroganten und selbstherrlichen Menschen nicht schreiben will – der Fotograf und ich reisten wieder ab.
Ganz anders die Medien während des Prozesses. Vor allem die Bild-Zeitung berichtete genussvoll. Ausgerechnet die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer schrieb für das Boulevard-Blatt klar parteiisch gegen Kachelmann. Für den Spiegel berichtete die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen – auch sie parteiisch, aber im Vergleich kritischer als Schwarzer.
Stimmungsmache
Über die reinen Fakten hinaus wurde hier ordentlich Stimmung gemacht. Morgen werden die Zeitungen voll sein mit Kommentaren und Zusammenfassungen, parteiischen Meinungen und Spekulationen.
Jörg Kachelmann ist durch den überwiegend nicht-öffentlich geführten, aber immer öffentlich begleiteten Prozess schwer beschädigt worden – er ist zwar frei gesprochen worden, der Zweifel wird aber bleiben.
Ebenfalls schwer beschädigt sind Staatsanwaltschaft und Landgericht Mannheim. Eine Staatsanwaltschaft ist bei ihren Ermittlungen verpflichtet, sowohl die Schuld, als auch die Unschuld eines Angeklagten zu prüfen. Es war nicht zu erkennen, dass die Staatsanwaltschaft ihrer doppelten Pflicht nachgekommen ist.
Erbärmlichkeiten
Der Strafverteidiger Johann Schwenn nannte das Landgericht „erbärmlich“ und zum Gericht: „Die Kammer hätte es zu gerne gesehen, wenn der Angeklagte verurteilt worden wäre.“
Das Gericht äußert sich in einer Pressemitteilung folgendermaßen:
„Der Kammer zu unterstellen, sie sei nicht bestrebt, die Wahrheit herauszufinden und sie stattdessen mit dem Vorwurf zu überziehen, sie verhandele, bis etwas Belastendes herauskomme, ist schlicht abwegig. Im Ergebnis wird damit meinen Kollegen und mir jegliche Professionalität und jegliches Berufsethos abgesprochen. Es bleibt der ungerechtfertigte, dem Ansehen der Justiz schadende Vorwurf im Raum stehen, Richter seien bei Prominenten bereit, zu deren Lasten Objektivität, richterliche Sorgfalt und Gesetze außeracht zu lassen.“
„Objektivität und Sorgfalt?“ Ungeheuerlich waren die vielen Informationen, die der Presse zugespielt worden sind – aus Eitelkeit oder vielleicht sogar gegen Geld. „Scheckbuch-Journalismus“ ist für Boulevard-Medien und für andere zahlungskräftige Verlage eine alltägliche Methode, um an Informationen zu kommen.
Scheckbuch-Journalismus
50.000 Euro hat die Bunte (Burda-Verlag) für ein Interview mit einer Ex-Freundin von Kachelmann gezahlt. Was deren Ausführungen mit dem Prozess zu tun hatten? Nichts. Chef des Burda-Verlags ist Hubert Burda, verheiratet mit der Schauspielerin Maria Furtwängler. In der Öffentlichkeit präsentiert sich Herr Burda als Saubermann und hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten – tatsächlich verdient er mit vielen „bunten Blättern“ und deren schmutzigem Journalismus Millionen.
Bemerkenswert ist, dass sich lange Teile der gerichtlichen Pressemitteilung nicht mit dem Fall an sich und der Frage von Schuld oder Unschuld beschäftigt, sondern mit der Rolle der Medien und der Justiz – ein Zeichen, wie enorm der mediale „Druck“ auf die angeblich so unabhängigen Richter gewesen sein muss.
Sensation statt Fakten
Auch innerhalb der Medienbranche gab und gibt es heftige Kritik an der Berichterstattung der Medien – auch das zu recht. Viele Medien haben sich regelrecht exhibitioniert in ihrer Gier nach „kleinen schmutzigen Details“. Hier ging es nie um „Aufklärung“ der Öffentlichkeit. Um das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit – hier ging es ums Geschwätz, um die „Sensation“.
Kachelmann-Verteidiger Schwenn hat aus seiner Sicht das richtige getan: Er hat mit Schmutz zurückgeworfen, wo es ging. Am Ende stand die Schlammschlacht so, dass das Gericht mit einer Verurteilung den Vorwurf der Subjektivität und Voreingenommenheit bestätigt hätte.
Jörg Kachelmann hat die gesamte Zeit über geschwiegen – ob aus eigener Entscheidung oder auf Rat seiner Anwälte? Wer weiß – tatsächlich hat er dadurch aber dem Feuer der leidenschaftlichen Boulevardberichterstattung keinen Sauerstoff zugeführt.
Der Freispruch war zu erwarten – die Reaktionen auch. Dass sich Frauen, die sexuell belästigt oder vergewaltigt wurden, nun nicht mehr trauen würden, eine Anzeige gegen einen mutmaßlichen Straftäter zu stellen, ist Unfug. In den allermeisten Fällen wird es kein derartiges öffentliches Interesse geben. Und man muss erwarten können, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ordentlich arbeiten und nach Recht und Gesetz und Fakten und Beweismitteln urteilen.
In dubio pro reo?
Der Fall Kachelmann sollte auch dazu führen, dass die Justiz sich neu aufstellt und professioneller mit Öffentlichkeit umgeht, als sie es in Mannheim getan hat. Dazu gehören klare Richtlinien für den internen und externen Umgang mit Informationen.
Und auch ein bewussterer Umgang mit eigenen Äußerungen:
„Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen.“
Allein eine andere Gewichtung hätte den Urteilsspruch unabhängiger und professioneller aussehen lassen können:
„Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen.“
Dieser Satz konterkariert den Urteilsspruch und führt zur moralischen Verurteilung – so geht der Prozess so zu Ende, wie er begonnen hat: Würdelos.
„Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist.“
Was bleibt also? Der Verdacht, dass Herr Kachelmann doch ein Vergewaltiger ist und wenn nicht, dann der Verdacht, dass seine Ex-Geliebte aus Rachsucht eine falsche Beschuldigung inszeniert hat.
Sicher ist: Verloren haben alle Beteiligten dieses Verfahrens – die Medien eingeschlossen.
Jörg Kachelmann erhält 3.300 Euro „Entschädigung“ (25 Euro pro Tag) für 132 Tage Untersuchungshaft – für den vermögenden Mann ein Witz. Ein anderer wäre durch diesen Prozess nicht nur öffentlich diskreditiert, sondern auch wirtschaftlich ruiniert gewesen.
Darüber hat das Gericht vordergründig nicht entschieden – eine Verantwortlichkeit für die existenziellen Folgen waren aber auch nicht zu erkennen. Darüber ist man zu erhaben in der deutschen Gerichtsbarkeit.