Rhein-Neckar/Berlin/Stuttgart. (red/pro) Zum Stichtag 30. September 2016 waren im Ausländerzentralregister (AZR) 1.491 in Deutschland lebende minderjährige ausländische Personen mit dem Familienstand „verheiratet“ gespeichert. Zum Vergleich: 2015 gab es deutschlandweit nur 92 Eheschließungen, bei denen ein Partner unter 18, aber über 16 Jahre alt war. Davon 88 junge Frauen und vier Männer. Wer hätte das erwartet: Bei den Verheirateten unter 14 Jahre gibt es mehr Jungen als Mädchen.
Bei der Betrachtung der Zahlen kann nicht unterschieden werden, welchen Status die Ausländer haben. Es können in Deutschland geborene Ausländer sein, zugereiste mit Aufenthaltsrecht oder Flüchtlinge je nach Status im Asylverfahren, mit Aufenthaltsrecht, geduldet oder nicht geduldet.
Klar ist aber, dass die meisten Kinderehen bei Flüchtlingen zu registrieren sind, da die Zahl der Kinderehen mit der Zahl der Flüchtlinge explodierte.
Die Tabelle zeigt die Aufgliederung nach Alter und Geschlecht (Quelle: BAMF):
Altersgruppen | weiblich | männlich | unbekannt | Gesamt |
0 bis unter 14 | 176 | 204 | 4 | 384 |
14 bis unter 16 | 81 | 33 | 114 | |
16 bis unter 18 | 901 | 89 | 3 | 993 |
Gesamt | 1.158 | 326 | 7 | 1.491 |
Nach Hauptherkunftsländer gibt es folgende Häufigkeiten(Quelle: BAMF):
Herkunftsland | |
Syrien | 661 |
Afghanistan | 155 |
Irak | 110 |
Bulgarien | 72 |
Polen | 41 |
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bearbeitet die Asylverfahren beider Ehepartner getrennt, sofern ein Ehegatte unter 18 Jahre alt ist, um auf die besonderen Bedürfnisse des minderjährigen Ehepartners eingehen zu können.
Minderjährige Ehepartner sollten automatisch UMA sein
Hat der minderjährige Ehepartner keine Eltern in Deutschland, gilt er/sie in der Regel als „unbegleiteter minderjähriger Ausländer“ (UMA) und es stehen besondere Schutzrechte zu. Die Anhörung des minderjährigen Ehepartners erfolge, so das BAMF, durch besonders geschulte Mitarbeiter, die nicht nur über das Verfolgungsschicksal sprechen, sondern auch die Lebenssituation und die Eheschließung zu ergründen versuchen und sich bei eventuellen Problemen mit der zuständigen Ausländerbehörde verständigen.
Für die mögliche Anerkennung von sogenannten Kinderehen ist das BAMF allerdings nicht zuständig – nach der Erstregistrierung sind das die Länder und dort die Kommunen, in denen UMAs aufgegriffen werden oder wohin sie von anderen Behörden geschickt werden.
Jugendämter dürfen Missbrauch nicht anzeigen
Nach unseren Recherchen sind die Jugendämter verpflichtet, die UMAs in Obhut zu nehmen. Das heißt: Die Ehepartner zu trennen. Die “Ehe” wird dabei nicht annulliert – erst, wenn der erwachsene Partner wie in einem Fall in Bayern, vor Gericht geht, entscheidet das Familiengericht.
Hintergrund ist eine vollständig absurde Regelung: Die Jugendämter dürfen den Ehepartner nicht anzeigen – aus “Neutralitätsgründen”. In der Praxis erkennen die Jugendämter also, dass möglicherweise ein sexueller Missbrauch Minderjähriger stattgefunden hat, unternehmen aber nichts, weil sie “Partei” sind. Auch über diese vollständig unverständliche Regelung sollte der Bundesjustizminister nachdenken, wenn er schon am Gesetze ändern ist.
Sind die minderjährigen Partner über 16 Jahre alt, können offenbar die Jugendämter auf “Duldung” entscheiden – auch das eine nicht nachvollziehbare Regelung.
Keine Ermittlungen
Wenn wundert es da, dass die von uns angefragten Staatsanwaltschaften in Frankenthal, Mannheim, Heidelberg und Darmstadt unisono melden, in den vergangenen fünf Jahren habe es keine einzige Ermittlung wegen sexuellen Missbrauchs in einem solchen Fall gegeben. Weil es die Fälle nicht gab? Das ist eher unwahrscheinlich. Sie wurden nicht angezeigt und da die Behörden nicht informiert wurden, auch nicht als Offizialdelikt verfolgt.
Eine Anfrage von grünen Bundestagsabgeordneten, darunter Dr. Franziska Brantner (Wahlkreis Heidelberg) an die Bundesregierung erbrachte am 01. März die Antwort, dass die Bundesregierung eigentlich nicht viel weiß und die Antworten überwiegend auf Datenmaterial stützt, das bis ins Jahr 2008 zurückreicht und häufig 2012, 2013 endet.
Menschenhandel und Terror
Häufig sind die Eheschließungen auch “Geschäfte”. Die Kinder werden gegen tausende von Euro regelrecht verkauft. Natürlich handelt es sich hier um kriminellen Menschenhandel und das “Hellfeld”, also die Zahl der bekannten Fälle, ist gering. Wie bei so häufig bei Menschenhandel ist die Chance der Opfer noch geringer, aus dem System jemals herauszukommen. Sie haben keine Familie, keine Bezugspersonen, keine Bildung, kein Geld, sind vollständig abhängig und werden durch Gewalt massiv bedroht. Das Anzeigeverhalten dürfte gegen Null gehen.
Nicht auszuschließen ist, dass solche Ehen auch mit Terrorismus in Verbindung stehen, weil “Kämpfer” eine Ehefrau gekauft bekommen. Beispielsweise wurde im August ein 24-jähriger Syrer, der unter Terrorismusverdacht steht, in Mutterstadt festgenommen. Eigentlich war er in Nordrhein-Westfalen untergebracht und besuchte seine 15 Jahre alte Braut, die er erst wenige Monate zuvor in Deutschland kennengelernt haben will.
Fraglich ist auch die Rolle von “Unterstützern” – hier muss man davon ausgehen, dass ähnlich wie bei sexuellem Missbrauch im familiären Umfeld die Neigung, die Straftat nicht anzuzeigen, sehr hoch ist – weil man “keine Probleme” haben will, weil man sich schämt und weil man keine “Fremdenfeindlichkeit” schüren möchte.
Wer sich mit dem Thema sexueller Missbrauch von Minderjährigen beschäftigt, weiß, dass selbst deutsche Frauen oft Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen, um Straftaten anzuzeigen. Doch nicht nur Frauen: Der massive Missbrauch von Jungen durch Priester und andere Mitglieder der katholischen Kirche haben dieses Netzwerk des Schweigens überdeutlich werden lassen.
Was also ist von einem 13-jährigen Mädchen aus Syrien oder einem 14-jährigen Jungen aus Afghanistan zu erwarten? Dass sich diese Kind wehren und flugs die nächste Polizeistation aufsuchen, um eine Anzeige zu machen?
Das ist vollständig utopisch. Hier ist der Staat in seiner Fürsorgepflicht gefragt. Aber der regelt das schön weg – was er nicht weiß, weiß er einfach nicht. Also gibt es auch keinen Handlungsbedarf. Ganz einfach.
Was haben Kinderehen mit dem Islam zu tun?
Argumente, Kinderehen hätten nichts mit dem Islam zu tun, denn das gebe es auch in anderen Religionen und anderen Kulturen, sind, mit Verlaub, reiner Quatsch. Natürlich stimmen die Argumente – Kinderehen gibt es nicht nur im Islam und theoretisch wären Ehen nach katholischem Kirchenrecht ab 14 Jahre für Mädchen und 16 Jahren für Jungen möglich. Hier könnte die katholische Kirche mal die Theorie an die Praxis anpassen und diesen Unsinn aufheben.
Und ja, auch in Indien oder sonstwo auf der Welt gibt es Kinderehen. Woanders wird auch gesteinigt und Hand-abgehakt und was es sonst noch so an “Recht” gibt. Wir sind hier in Deutschland und hier gilt unser Rechtsstaat.
Anm. d. Red.: Wir haben gestern wie angekündigt Strafanzeige bei der Kriminalpolizei Heidelberg gegen unbekannt erstattet. Gleichzeitig aber auch gegen Bundesjustizminister Heiko Maas sowie die Staatssekretärin für Integration, Aydan Özoguz, weil beide in der Sache informiert sind und nicht erkennbar ist, dass hier zügig Abhilfe geschaffen wird. Die Strafanzeige wurde wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung, des sexuellen Missbrauchs nach StGB § 174, 176, 178, 179, 180, 182 sowie § 223 sowie die Herbeiführung einer Zwangsehe nach StGB § 237 gestellt. Außer wegen Strafvereitelung im Amt nach § 258. Die Anzeige richtet sich gegen die volljährigen Ehegatten, Imame, die religiöse Ehen schließen sowie gegen alle Verwaltungsmitarbeiter, die sexuellen Missbrauch von Minderjährigen nicht zur Anzeige bringen.