Mannheim/Rhein-Neckar, 09. Dezember 2016. (red/me) Spätestens seit dem Tod des erschossenen Polizeibeamten in Bayern ist die Bewegung der „Reichsbürger“ auch einer größeren Öffentlichkeit ein Begriff. Gegenüber Behörden treten die “Reichsbürger” zunehmend als Problem in Erscheinung und auch die Sicherheitsbehörden beginnen damit, diese Gruppe ins Visier zu nehmen. Doch in der Metropolregion geschieht dies sehr unterschiedlich.
Von Mathias Meder
Auch in den Kommunen der Metropolregion Rhein-Neckar sind „Reichsbürger“ aktiv und treten mit den Behörden persönlich, per Post, per email oder telefonisch in Kontakt. Eine einheitliche „Reichsbürgerbewegung“ gibt es jedoch nicht.
So genannte „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Meist sehen sie sich als Bürger des Deutschen Reichs, argumentieren mit Verschwörungstheorien oder berufen sich auf ein selbst definiertes Naturrecht.
Vor diesem Hintergrund weigern sich „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, die vom Staat erhobenen Steuern, Abgaben oder Bußgelder zu bezahlen. Staatliche Institutionen wie Polizei und Gerichte werden von ihnen nicht anerkannt. Genauso verhält es sich auch mit Dienstausweisen oder Personalausweisen, die von der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt wurden. Die „Reichsbürger“ leisten zum Teil auch körperlichen Widerstand und statten sich selbst mit eigenen Fantasiepapieren aus oder maßen sich selbst hoheitliche Befugnisse an.
Die Länder sind besser informiert als die Kommunen
Bei den Innenministerien von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird den Reichsbürgern inzwischen besondere Beachtung gegeben. Und auch die Stadt Mannheim hat seit Februar 2015 bei den Bürgerdiensten damit begonnen, Fälle mit „Reichsbürgern“ zu dokumentieren. Der Stadt Mannheim sind inzwischen „elf Personen aus dieser Bewegung amtsbekannt, wobei diese teilweise auch mehrfach vorsprechen bzw. mehrfach Schreiben schicken”, antwortet uns die Stadtverwaltung auf Anfrage.
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Auch das Innenministerium Baden-Württemberg steht noch am Anfang der Beobachtungen und ist vorsichtig mit Angaben zur Anzahl der „Reichsbürger“ in Baden-Württemberg:
Einen ersten Hinweis gibt eine Recherche des Landeskriminalamts, bei der rund 650 Personen in Baden-Württemberg identifiziert wurden, die mit polizeilich bekannt gewordenen Sachverhalten im Zusammenhang mit der „Reichsbürgerbewegung“ in irgendeiner Form in Erscheinung getreten sind.
Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz erklärt:
Die rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden rechnen derzeit rund 230 Personen der Reichsbürger-Szene in Rheinland-Pfalz zu. Diese sind nach hiesiger Kenntnis seit 2015 mit insgesamt 383 Straftaten polizeilich in Erscheinung getreten.
Bei den in beiden Bundesländern registrierten Straftaten treten Beleidigungen und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte am häufigsten auf, gefolgt von Fällen mit Bedrohung und Androhung von Straftaten. Beim Polizeipräsidium Rheinpfalz erklärt man:
26 Straftaten sind bekannt, bei denen mutmaßliche Anhänger der Reichbürgerbewegung tatverdächtig sind. Anzumerken hierbei ist, dass diese 26 Straftaten nur zu einem geringen Prozentsatz politisch motiviert begangen wurden. Ansonsten handelte es sich um allgemeine Straftaten wie beispielsweise Fahren ohne Fahrerlaubnis, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Körperverletzung.
Auch beim Kreis Bergstraße ist man „mit dem Phänomen ‚Reichsbürger‘ beim täglichen Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern“ konfrontiert und entsprechend vorbereitet. Aus dem hessischen Innenministerium heißt es auf Anfrage:
Die Reichsbürgerbewegung wird seit dem 22. November 2016 bundesweit vom Verfassungsschutz als sogenanntes Sammelbeobachtungsobjekt des Bundes und der Länder beobachtet. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen beteiligt sich an der bundesweiten Beobachtung der Reichsbürgerbewegung im Rahmen des gesetzlichen Auftrages soweit aus deren Aktivitäten eine generelle Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung erkennbar wird. Darunter fallen beispielsweise entsprechend motivierte Widerstandshandlungen gegen öffentlich Bedienstete oder die Vernichtung von bundesdeutschen Identitätspapieren. Durch die Erklärung zum Sammelbeobachtungsobjekt wird die Reichsbürgerszene erheblich aufgehellt. Derzeit gehen die hessischen Sicherheitsbehörden von mehr als 400 Reichsbürgern in Hessen aus. Hiervon wird gegenwärtig eine untere zweistellige Anzahl von Personen dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet. Da es sich bei den Reichsbürgern um eine heterogene Gruppierung handelt, unterliegt das gegenwärtig erhobene Personenpotential einer dauerhaften Überprüfung durch die hessischen Sicherheitsbehörden.
Vor diesem Hintergrund und der hohen Zahlen der Innenministerien bleiben daher Zweifel bestehen, ob man in anderen Kommunen der Region ähnlich sensibilisiert ist.
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Keine Reichsbürger in Heidelberg, Ludwigshafen und im Rhein-Neckar-Kreis?
Unsere Anfrage an die Städte und Kreise der Region ergab, dass seitens der Kommunen diese Personengruppe entweder nicht vorhanden oder nicht erfasst wird. Der Rhein-Neckar-Kreis erklärte:
Bei uns im Rhein-Neckar-Kreis sind keine Reichsbürger bekannt.
Bei der Stadt Heidelberg werden Fälle mit „Reichsbürgern“, anders als in Mannheim, nicht dokumentiert und „der Waffenbehörde der Stadt Heidelberg, die den Waffenbesitz überprüft, sind keine ‚Reichsbürger‘ bekannt“. Ebenso bei der Stadt Ludwigshafen. Dort erklärt man uns:
Im Zuständigkeitsbereich der Waffen- und Sprengstoffbehörde der Stadt Ludwigshafen sind keine ‚Reichsbürger‘ bekannt.
Zwar erklärten sowohl die beiden Innenministerien, als auch die anderen Kommunen, dass bislang keine Straftaten oder Fälle mit Waffengewalt seitens „Reichsbürger“ bekannt seien, doch bei der Stadt Mannheim ist man anders als in den Nachbarstädten offenbar höher sensibilisiert:
Die Mannheimer Waffenbehörde befasst sich mit dem Thema „Reichsbürger“ mit erhöhter Sensibilität und geht jedem Hinweis diesbezüglich nach. Sie prüft im Einzelfall, ob Umstände bekannt sind, die eine Rechtstreue in Frage stellen. Bislang gab es in Mannheim jedoch keine hinreichende Grundlage für ein weiteres Einschreiten.
Auch Reichsbürger besitzen Waffen
Bei den Innenministerien ist man offenbar besser informiert und erklärt zudem, die „Reichsbürger“ und deren Waffenbesitz im Blick zu haben. So gibt es nach Kenntnis der rheinland-pfälzischen Polizei acht „Reichsbürger“ mit Waffenerlaubnissen und in Baden-Württemberg geht man von einer „niedrigen zweistelligen Anzahl dieser Personen“ aus.
Das Innenministerium Rheinland-Pfalz erklärt zudem:
Die Polizei steht in diesem Kontext in engem Informationsaustausch mit den zuständigen Waffenbehörden.
In Baden-Württemberg verweist man gar auf eine gemeinsame Aktion von Landeskriminalamt, Landesamt für Verfassungsschutz und Waffenbehörden bei Angehörigen der rechten Szene. Hier wurden in der vergangenen Legislaturperiode bei dieser Aktion Aufbewahrungskontrollen durchgeführt und dabei festgestellt:
Bei 80 Prozent der kontrollierten Personen waren Waffen und Munition ordnungsgemäß aufbewahrt. Dies entspricht dem landesweiten Durchschnitt der Aufbewahrungskontrollen.
Es bleibt der Eindruck, dass die Behörden beim Land und den Kommunen nicht hundertprozentig den Blick geschärft haben für die „Reichsbürger“. Doch es sieht auch danach aus, als habe man zumindest damit begonnen, die nötigen Informationen zu sammeln und zumindest auf Landesebene diese auch zusammenzutragen.
Wenn jedoch beispielsweise die Polizei in Rheinland-Pfalz erklärt, dass 32 der beobachteten Personen „eine oder mehrere Gewaltdelikte seit 2015 begangen haben“, dann kann man nur hoffen, dass auch in Zukunft alle Behörden wachsam bleiben und ihre Zusammenarbeit verbessern. Denn diese Einschätzung des hessischen Innenministeriums muss nachdenklich machen:
Die Reichsbürgerbewegung stellt durch ihre teilweise vorhandenen rechtsextremistischen Bestrebungen eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung dar. Darüber hinaus gefährden Reichsbürger den Bestand der Bundesrepublik Deutschland. Beispielsweise blockieren Reichsbürger durch Rechtsstreitigkeiten insbesondere Kapazitäten der öffentlichen Verwaltung und Justiz. Rechtsansprüche gegen Reichsbürger müssen oftmals mittels Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Hierbei besteht die latente Gefahr, dass Reichsbürger im Falle einer solchen Maßnahme Gewalt anwenden.
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