Rhein-Neckar/Berlin, 05. März 2018. (red/pro) Die SPD-Mitglieder haben mehrheitlich einer neuen großen Koalition (Groko) zugestimmt. Diese kommt jetzt und man kann dass nicht nur, man muss das für eine Katastrophe halten. Denn Stabilität geht anders – denn stabil ist, wer einen Plan hat, an dem er festhält, um zu gestalten. An der Macht zu sein, ist ein Plan, aber keine Gestaltung.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wer einen Blick auf die desolate Lage der SPD werfen will, bekam am Wochenende in Mannheim einen ernüchternden Eindruck. Der “frische” Juso-Chef Kevin Kühnert, erst wenige Wochen im Amt, zog gut 250 Gäste ins Gewerkschaftshaus. Die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier schafft es mit Unterstützung des SPD-Kreisvorstands, Gemeinderäten und sogar dem Oberbürgermeister nur auf 150 Interessierte.
Diese Sätze habe ich am vorvergangenen Wochenende in einem Artikelentwurf geschrieben. Diese Betrachtung ist nach der “Groko”-Entscheidung nicht obsolet, ganz im Gegenteil. Sie ist immanent.
Rund 65 Prozent der SPD-Mitglieder haben einer neuen “Groko” zugestimmt – obwohl es genug Anzeigen gab, dass eine Mehrheit dagegen stimmen würde. Ist das also ein Erfolg? Ist das eine klare Mehrheit? Ja. Zwei Drittel sagen Ja zum sicheren Absturz der SPD. Die Vernunft hat über den Verstand gestimmt.
Zwei Drittel der SPD-Mitglieder hatten Angst vor dem Ende und habe deshalb gegen das Ende gestimmt und es damit zementiert. Die alten Griechen nannten das ein Dilemma – man kann in Entscheidungssituationen oft nur einen retten und muss gleichzeitig einen Verlust hinnehmen.
Die SPD hat sich in die Regierung gerettet und verliert was? Erstens ein Drittel Mitglieder, die sehr klar abgestimmt haben, dass sie nicht gerettet werden wollen und unter dem Rest jede Menge Mitglieder, die nicht vom Glauben der Rettung abfallen wollten, aber in der Zukunft belehrt werden – über eine falsche Entscheidung. Das werden die zornigsten überhaupt sein und möglicherweise werden jede Menge zur AfD überlaufen.
Die SPD ist nicht nur die älteste demokratische Partei Deutschlands, sie war über viele Jahre eine gestaltende Kraft und gut für dieses Land. Es gibt aber kein Gesetz, das Parteien unter Artenschutz stellt. Die SPD kann auch in wenigen Jahren statt ehemals mitgliederstärkste Partei zur Randerscheinung werden.
Die SPD gibt sich allergrößte Mühe, diesen Weg zu beschreiten – denn sie hat ihre Mitglieder verloren. Nicht nur konkret dramatisch nachzuweisen von fast einer Million auf die Reduzierung auf fast unter die Hälfte – sondern auch im politischen Diskurs
und in der öffentlichen Wahrnehmung.
Es gibt geschichtlich kein zweites Beispiel, wie ein Shooting-Star wie Martin Schulz anlasslos überhöht worden und innerhalb eines Jahres so dermaßen brutal und gnadenlos abserviert worden ist – durch ihn selbst, aber auch durch seine Partei. Dagegen steht eine Bätschi-Nahles, die die Geschäfte übernehmen will. Und ein Olaf Scholz, der für das größte Chaos aller Zeiten im Nachkriegsdeutschland verantwortlich ist, als Chaoten Hamburg beherrschten.
Die SPD hat ein massives Führungsproblem – das ist die äußere Perspektive. Die SPD hat ein massives Identitätsproblem – das ist die innere Perspektive.
Es geht mir als politischem Journalisten extrem gegen den Strich, diesem Dilettantismus nicht nicht nur zusehen zu müssen, sondern gezwungenermaßen beizuwohnen. Und es ist extrem schwer, die Nerven zu behalten und nicht ins radikale Lager zu wechseln – vor lauter Empörung.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hat am vorvergangenen Wochenende, kurz nachdem Kevin Kühnert im Gewerkschaftshaus aufgetreten ist, eine beeindruckende Rede gehalten. Der Mann ist SPD durch und durch und intellektuell nicht zementiert, sondern fundamental als Demokrat gefestigt.
Ich hätte gerne den “frischen” Juso-Vorsitzenden, Studenten und “Shooting”-Star Kühnert (28) (irgendwie auch ein Schulz) in der direkten Konfrontation mit Dr. Peter Kurz (53, früherer Verwaltungsrichter) in der Debatte erlebt. Das ging nicht, weil dazu nicht eingeladen worden ist.
Ein linker Flügel der SPD hat Kühnert organisiert, der SPD-Apparat die “Mitgliederversammlung” auf der Vogelstang. Im Vorfeld der Veranstaltung “bashten” sich Parteimitglieder auf Facebook über “Unverschämtheiten”, weil das Protokoll nicht eingehalten worden sei.
Was in Mannheim – einer früheren SPD-Hochburg – passiert, passiert lokal und ist nicht automatisch übertragbar auf andere Orte und Menschen. Vielleicht aber doch: In Baden-Württemberg hat die SPD ein historisch erschütterndes Ergebnis bei den Landtagswahlen hinnehmen müssen und ist als Fraktion schwächer als die AfD. In Mannheim hat die SPD das letzte Direktmandat im Südwesten verloren – an die AfD.
Der über die Liste eingezogene Landtagsabgeordnete Dr. Stefan Fulst-Blei hat auf Interviewanfragen von uns vor der Landtagswahl noch nicht einmal geantwortet. Er hat den Wahlkreis an den Eppelheimer Kandidaten Rüdiger Klos verloren – möglicherweise wegen massiver Gewalt von Antifa-Gewalttätern gegen Bürger bei einer AfD-Veranstaltung. Herr Dr. Fulst-Blei war vor Ort und hat angeblich nichts gesehen, ebenso wie andere von SPD und Grünen. Ist ihm und den anderen egal – die Menschen, denen Gewalt widerfuhr, sind egal, weil sie sich für eine AfD-Veranstaltung interessierten.
Der frühere Bundestagsabgeordnete Stefan Rebmann ist in Mannheim gescheitert. Mit uns hat Herr Rebmann kein Wort gewechselt. Warum, wissen wir nicht. Vermutlich grundsätzlich, hatte doch die AfD bei uns bei der Landtagswahl Veranstaltungstermine gegen Geld gefordert, die SPD aber keinen Euro investiert, um für ihre Veranstaltungen zu werben.
Die SPD-Mitglieder haben – so meine Auffassung – aus Angst vor unmittelbaren Konsequenzen mehrheitlich einer erneuten Groko zugestimmt.
Das ist ein Beleg dafür, dass die Masse nicht für Qualität steht. Denn alle inhaltlichen Qualitätsprobleme einer orientierungslosen SPD sind damit nicht vom Tisch. Es hat genau keine dringend geforderte Erneuerung stattgefunden und es wird versucht werden, diese nicht stattfinden zu lassen, was letzen Endes dazu führen wird, dass es nichts mehr zu erneuern gibt.
Was ist bei verschiedenen Veranstaltungen der SPD erlebt habe, ist eben kein Beispiel für einen hervorragenden Diskurs und eine spannenden Partei, sondern nach meinem Eindruck das Ende einer großen Partei, die sehr viele Mitglieder hat, die für eine soziale Demokratie stehen, sich aber von dem, was die SPD als angeblich soziale Partei “geleistet” hat, eindeutig distanzieren.
Stichwörter sind “Schröder”, Hartz IV und Prekariat sowie Altersarmut und bezahlbares Wohnen.
Kaum jemand traut sich, “Flüchtlinge” zu sagen. Denn die Angst der “Nazi-Keule” ist immens groß. Es gibt innerhalb der SPD so viele Baustellen, dass man diese Großbaustelle erst gar nicht erkennen will, obwohl sie die entscheidende ist. Auch das ein Dilemma – ist man für die (deutschen) Bedürftigen oder für die (ausländischen) Flüchtlinge?
Die SPD hat sich dieses Dilemma selbst erzeugt – insofern ist Mitleid fehl am Platz.
Wenn ein SPD-Oberbürgermeister von “Heimat” redet und Brand-Briefe an seinen Innenminister schreibt, weil die Behörden mit einer Gruppe von nordafrikanischen Intensivstraftätern minderjährigen Altes nicht mehr zurechtkommen, sollten das genug Zeichen sein, dass die SPD ein Orientierungsproblem hat.
Die SPD wird aus Angst vor unmittelbaren Konsequenzen direkt mit jeder neuen Wahl massive Konsequenzen erleben. Brutalst vorstellbar. Davon bin ich fest überzeugt – nicht, weil ich der SPD das wünsche, sondern weil ich nicht erkennen kann, wieso die Groko die SPD stabilisieren sollte. Die Abgeordneten behalten ihr Mandat, Leute werden Minister, die SPD regiert mit – was ändert das am Wahlergebnis? Was daran, dass ein Drittel der Parteimitglieder diese Groko nicht will? Wie geht man mit diesen Leuten um? Und mit denen, die aus “Staatsräson” mit Ja gestimmt haben, obwohl das Messer in der Tasche ausgeklappt ist?
Die AfD wird Beute machen können, noch und nöcher. Nicht, weil sie inhaltlich überzeugt, sondern weil sie mit dem Finger zeigen kann – auf Dilettantismus, auf Machterhalt, auf “Systemparteien” und “Systemmedien”, die schön reden, was nicht schön ist.
2019 sind in Baden-Württemberg Kommunalwahlen. Nach den Attentaten gegen Frauen in Kandel, Laupach und Mühlacker – das werden nicht die einzigen bleiben – kann man sich die Chancen für den Rechtsruck ausrechnen. Die stehen extrem gut.
Auch die SPD in Mannheim und anderswo muss damit rechnen, dass sie zwar im Bund “Groko” macht, aber vor Ort massiv verlieren wird. Insbesondere dort, wo massiv “gegen rechts” mobilisiert wird.
Wer für Frieden und Freiheit ist, ist nicht rechts. Sondern ein Bürger, der sich Sorgen um sich, seine Familie und Freunde und andere macht. Zur recht, weil es dafür erheblichen Anlass gibt.
Die, die angeblich die Alternative sind, stehen nicht für Frieden und Freiheit, sondern machen Stimmung. Durchaus erfolgreich, weil die, die Frieden und Freiheit verteidigen wollen, nicht verstanden haben, dass man das nicht mit “ideologischen Glaubensbekenntnissen” hinbekommt, sondern nur mit dem Willen, Frieden und Freiheit, wenn nötig, auch hart und kompromisslos durchzusetzen.
Das gilt auch für die SPD – und übrigens auch die CDU – die Krise ist enorm und ist mit einem “weiter-so” nicht zu überwinden.
Die Groko kommt, das Problem bleibt.
Die Angst vor der unmittelbaren Konsequenz wird absolute Konsequenzen haben.
Anm. d. Red.: Der Drops ist übrigens noch nicht gelutscht. Die Unionsparteien haben 246 Sitze, die SPD 153. Rechnet man ein Drittel bei der SPD analog der Mitgliederwahl weg, wäre die Mehrheit zur Kanzler-Wahl (355 Stimmen) nicht mehr gegeben. Das wird nicht passieren, weil die SPD-Abgeordneten ihren Job behalten wollen. Interessant wird sein, wie viele Abgeordnete Frau Dr. Merkel ihre Stimme geben werden.