Mannheim, 02. Mai 2012. (red) Der Aufmarsch von rund 300 rechtsradikalen NPD-Anhängern wurde gestern von über 2.000 Gegendemonstranten gestoppt. Und das ist gut so. Die Mannheimer haben ihre Stadt gegen den rechten Pöbel verteidigt. Nicht gut ist, dass die NPD überhaupt so viele Anhänger mobilisieren kann. Darunter viele jungen Leute und viele Frauen.
Von Hardy Prothmann
Es ist später Vormittag. Der erste Mai. Klar, da ist nicht viel los auf den Straßen. In Neckarau ist aber gar nichts los. Teile der Neckarauer Straße und Friedrichstraße sind gesperrt. Die Nebenstraßen der Rheingoldstraße sind gesperrt. Teile des Nahverkehrs werden umgeleitet, ebenso der Straßenverkehr. Man kann nicht sagen, dass es “menschenleer” wäre – denn überall ist Polizei.
Sperrbezirk
Wer hinter die Absperrungen möchte, muss sich ausweisen. Anwohner dürfen rein, andere nicht. Anwohner dürfen mit ihren Autos rausfahren, aber nicht mehr rein – bis die Polizei den “Sperrbezirk” aufheben wird. Doch das wird dauern.
Um 13:30 Uhr sollen bis zu 250 NPD-Anhänger in Mannheim-Neckarau eintreffen, um hier für ihre “Politik” zu demonstrieren. Wie man hört, kommen mehr. Ihren ersten Auftritt hatten sie am Morgen in Speyer. Doch irgendetwas klappt dort nicht. Die Demonstranten hätten den Zug verpasst, heißt es.
Unterdessen haben sich nach den Mai-Kundgebungen in der Innenstadt rund 500 Menschen auf der Neckarauer Straße versammelt. Junge, alte, Familien, Deutsche und Ausländer. Ein breiter Bevölkerungsquerschnitt. Über 20 Veranstaltungen gab es heute schon, am Tag der Arbeit. Alle hatten ein gemeinsames Thema: Gegen Nazis. Und gegen Nazis geht es hier konkret. Vor Ort. Doch die Absperrung ist gut 200 Meter vor dem Neckarauer Bahnhof aufgestellt. So weit entfernt, das man sich nichts zurufen kann oder Gesten sehen könnte. Die Strategie der Polizei ist klar: Absolute Trennung der “Blöcke” – NPD-Anhänger und Gegendemonstranten sollen nicht aufeinandertreffen.
Die Polizei wird bis zum Eintreffen der Rechtsextremen fast zwanzig Maßnahmen gegen gewaltbereite Autonome durchführen, von Festnahme über Platzverweis bis zum “in Gewahrsam nehmen”. Klar ist, wenn diese Gruppe auf die NPD-Leute treffen würde, gäbe es Straßenkampf. Das soll mit allen Mitteln verhindert werden.
Auf der verkehrsfreien Neckarauer Straße stehen Wasserwerfer – in Richtung der Gegendemonstranten. Die Sorge gilt wohl den gewaltbereiten Autonomen mehr als den Neonazis.
Heute sind über 2.000 Beamte aus ganz Baden-Württemberg im Einsatz. Überall hört man verschiedene Dialekte. Dazu kommen Kollegen der Bundespolizei, deren Zuständigkeit ist der Bahnhof. Die meisten sprechen pfälzisch. Sie werden die NPDler als erste “in Empfang nehmen”. Die allermeisten Polizisten sind in Kampfmontur erschienen. Den Körperschutz tragen die meisten unter der Kleidung. Schlagstöcke sind griffbereit. Helme ebenso. Die Gruppen stehen an strategischen Punkten. Manche bewachen die Absperrungen, andere stehen verteilt an der Strecke in Gruppen um 20 Personen. Unten an den Beinen haben viele eine Halterung für Pfefferspraydosen in Flaschengröße angebracht. Aus den Taschen ragen Kabelbinder – zum Fesseln von Händen.
Dazwischen gibt es Rettungskräfte und Sanitäterteams der Polizei. Wieder andere Beamte tragen Feuerlöscher auf dem Rücken – ein Schutz gegen Molotow-Cocktails. Man ist anscheindend auf alles vorbereitet. Es ist unklar, ob die Situation eskalieren wird – später wird klar werden, dass die Beamten immer mit Angriffen rechnen müssen. Doch der überwiegende Teil der Gegendemonstranten sind normale, friedliche Leute. Aber die rund 100 Autonomen? Man weiß ja nie. Und die Rechten sind auch alles andere als brave Bürger. Speziell geschulte Beamte des Anti-Konflikt-Teams sind ständig in Kontakt mit den Gruppen, um Ausschreitungen schon im Ansatz zu verhindern.
Warten, warten, warten
Der Einsatz ist hart für die Beamten. 18 Kilo wiegt eine komplette Ausrüstung. Die feuerfeste Kleidung der Bereitschaftspolizisten wird geschlossen getragen. Es ist heiß. Die Sonne brennt. Es geht kein Wind. Wer kann, stellt sich in den Schatten, wenn es welchen gibt. Ansonsten bleibt man an seinem Einsatzplatz. Und wartet. Stunde um Stunde. Die Polizeiführung “bewegt” zwar ihre Beamten. Aber je länger es dauert, um so mehr erkennt man, dass die Belastung hoch ist.
Wieviel der Einsatz kosten wird, ist noch nicht klar. Rechnet man 500 Euro für jeden Beamten inklusive aller anfallenden Kosten, dann sind das eine Million Euro Steuergelder, die für diese Demo der 300 Rechtsextremen drauf gehen an diesem ersten Mai 2012.
Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz kommt gegen 13:00 Uhr. Er verschafft sich ein Bild der Lage. Bespricht sich mit der Polizeiführung. Er hatte versucht, die NPD-Demo gerichtlich zu verhindern. Doch seit gestern Abend war klar, die Rechten dürfen demonstrieren. Das hohe Gut der Versammlungsfreiheit gilt auch für Verfassungfeinde.
Danach geht er auf die andere Seite der Absperrung, spricht mit den Menschen. Er bekommt viele Hände geschüttelt. Anerkennung, dass er dabei ist, mitdemonstriert, sich die Zeit nimmt. Türkische Jugendliche wollen unbedingt ein Gruppenbild mit ihm. Zwischendrin gibt er Interviews.
Überall stehen die Fenster in den Häusern entlang der Demonstrationsstrecke offen. Leute schauen heraus. Beobachten das Treiben. Imbissläden, die von Ausländern betrieben werden, haben normalerweise auch feiertags auf. Heute sind sie geschlossen. Weniger aus Angst, wie einer sagt, sondern: “Ich denke mal, es wird kein Umsatz möglich sein.”
Vor allem Familien mit Kindern haben das schöne Wetter für Ausflüge genutzt. Weg aus Neckarau, solange die Nazis da sind. gut 500 Anwohner hatten das Info-Telefon der Polizei in Anspruch genommen, um sich über den NDP-Aufmarsch und die Maßnahmen zu informieren.
Es wird 14:00 Uhr, 15:00 Uhr. Immer noch heißt es “warten auf den rechten Pöbel”. Das Nichtstun schlaucht. Sicher auch die NDP-ler. Der Zeitplan ist ziemlich aus dem Ruder. Auch von ihnen werden viele “Kohldampf schieben”. Oder Durst haben. Oder auf Toilette müssen. Auch das ist sicher Teil der Polizeistrategie. Warten muss gekonnt sein. Sonst verliert man schnell die Lust. Auf was auch immer.
Die Neonazis kommen
Gegen 15:45 Uhr fährt der Zug mit den Faschisten ein. Vier Waggons. Ein Sonderzug. Zuerst steigen Polizeibeamte aus, die die Demonstraten seit Speyer begleiten. Die Rechtsextremen bekommen Wasser von der Polizei. Soll ja schließlich keiner dehydriert umfallen. Und wer Wasser trinkt, muss aufs Klo und wer aufs Klo muss, demonstriert nicht so gern. Vor zwei Dixi-Häuschen bilden sich gleich auch Schlangen. Ein abgewrackter VW-Transporter der “Organisatoren” steht bereit.
Hier hat der Veranstalter, der NPD-Kreisverband Rhein-Neckar, eine Soundanlage auf einem Hänger aufgebaut. Kurz drauf werden die Rahmenbedingungen für die Demo verlesen, wie groß die Transparente sein dürfen, wie lang die Stangen, dass man keine verfassungsfeindlichen Parolen gröhlen darf. Die Auflagen sind umfangreich. Dann setzt sich gegen 16:00 Uhr der Zug in Bewegung.
Die Polizei läuft vorweg, seitlich mit und folgt dem Zug. An der Absperrung der Gegendemonstranten stehen nicht mehr viele, vielleicht hundert Personen. Die anderen sind nicht nach Hause gegangen, wie man später feststellen wird.
Auf den Straßen gibt es keine Zuschauer, wie bei anderen Demonstrationen. Nur die Rechtsestremen und die Polizei, die den Zug eskortiert. An einer Ecke gibt es plötzlich Sichtkontakt zu Gegendemonstranten. Sofort legt der braune Pöbel los, beleidigt die anderen, zeigt den Mittelfinger und manche abgewandelte Hitlergrüße. Die Polizei treibt den Block weiter und drängt die Rechten mehr zur Straßenmitte.
An der Kreuzung Friedrichstraße/Rheingoldstraße am Marktplatz macht der Demonstrationszug halt. Plötzlich tönt Musik von Xavier Naidoo sehr laut aus einem Fenster im zweiten Stock eines Hauses. Die Rechten sind genervt. Einer klingt, gibt sich als Polizist aus und versucht ins Haus zu kommen. Die Polizei greift ein und “versucht” die Lage zu klären. Die Musik plärrt weiter. Dazu schlagen die Glocken der unweit gelegenen Kirchen. Es ist 16:37 Uhr. Eine ungewöhnliche Zeit für das Schlagen der vollen Stunde. Die Glocken werden nicht aufhören zu leuten, solange die Rechten am Marktplatz stehen. Die Polizei versucht, Musik und Glocken abzustellen, aber irgendwie gelingt ihr das nicht.
Hetzkundgebung
Braune Parteifunktionäre hetzen gegen Europa, gegen die etablierten Parteien, gegen die Behörden, gegen Ausländer. Man kann sie bei dem Krach schlecht verstehen. Viele Demo-Teilnehmer sind typisch glatzköpfig. Der Stumpfsinn, der sie antreibt, ist ihnen mehr als deutlich anzusehen. Sozialverlierer und Berufschaoten. Häßliche Fratzen. Eine echte Schande für alle anständigen und demokratischen Deutschen.
Bemerkenswert ist aber, dass auf viele “normale” Gesichter darunter sind. Junge Leute, Mädchen und Frauen, die sich äußerlich sehr wohl von dem anderen Gesocks unterscheiden. Kann es wirklich sein, dass die diesem politischen Müll, der da propagiert wird, folgen? Gibt es keinen Gedanken, dass man sich zu einer rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Organisation bekennt? Für eine menschenverachtende Haltung eintritt?
Die NPD-Demo im Januar hatte viel weniger Teilnehmer, 20 bis 70 je nach Ort von Speyer über Ludwigshafen, Frankenthal und Worm. Was das nur die Auftaktveranstaltung? Immerhin hat das Verwaltungsgericht sich auf diese “friedliche” Veranstaltung bezogen und aus diesem Auftritt “geschlossen”, dass die NPD organisiert und “friedlich” auftritt. Die Rechtsextremen lernen, lassen sich juristisch beraten und fressen Kreide, wenn es sein muss. Mit 300 Teilnehmern haben sie keine imposante Gruppe zusammengezogen, aber immerhin. 300 bekennende Anhänger sind auch nicht gerade wenig.
Das scheint auch den demokratischen, politischen Gruppierungen in Mannheim klar zu sein. Während die erste Kundgebung noch läuft, versammeln sich immer mehr Menschen am anderen Ende der Rheingoldstraße und in den seitlichen Straßen hinter den Absperrungen. Über 2.000 sollen es sein. Die Zahl ist realistisch.
Provokationen
Die NPD-Demo zieht weiter. Aus den Fenstern gucken die Menschen. Niemand grüßt den brauen Pöbel. Viele der Rechten provozieren aber die Anwohner oder Journalisten, die den Zug begleiten. Beleidigungen werden gerufen, obszöne Gesten gemacht. Die Agressivität ist deutlich spürbar. Die Rechten haben Spaß am Rumpöbeln, wollen gefährlich wirken. Sucht man sich einen aus und schaut ihn direkt an, kommt schnell die Unsicherheit. Klar, ohne Polizei wäre der Mob wahrscheinlich gewalttägig geworden. So können sie nur den Affen machen und merken nicht, wie erbärmlich sie sich aufführen.
Die Polizei lässt den Zug bis gut 200 Meter vor die Menge der Gegendemonstranten laufen. Dann wird gestoppt. Die Neonazis sitzen wie in einem Flaschenhals fest. Die Straße ist nicht sehr breit, vorne, hinten, links und rechts Polizei. Man hört die Gegendemonstranten. Sie trommeln und skandieren Nazis raus. Für kurze Zeit unternehmen auch die Rechten einen Versuch, dagegenzuhalten. Doch sie sind zu wenige. Die Sonne fällt direkt in die Straße ein. Es ist heiß. Stickig. Alle Geschäfte haben zu. Es geht nicht weiter.
Rund eine halbe Stunde passiert nichts. Die rechten Demonstranten erfahren nichts. Dann macht die Polizei eine Durchsage. Es ist 17:10 Uhr. Die Gegendemonstranten seien aufgefordert worden, die Strecke freizugeben. Zehn Minuten später nochmals dieselbe Information. Die Gegendemonstranten werden nicht weichen. Und an eine Räumung durch die Polizei ist nicht zu denken. Viel zu viele Menschen sind das. Da alle friedlich sind, kommen die Wasserwerfer oder die Reiterstaffel sicher auch nicht in Frage.
Die Polizei verhandelt mit den Veranstaltern. Das zieht sich in die Länge. Nichts zu trinken. Keine Toilette. Die Sonne brennt. Man sieht viel rote Haut. Die ach so “anständigen Rechtsnationalen” haben Probleme mit dem Stehen. Immer mehr setzen sich auf die Bürgersteige. Funktionäre reden wieder irgendwelches dummes Zeugs.
Dann wird verkündet, dass hier ein Gesetzesverstoß durch die Gegendemonstranten vorläge, man aber unmöglich alle anzeigen könne und man sich mit der Polizei geeinigt hat, die Demonstration hier abzubrechen und zum Bahnhof zurückzukehren, von wo aus ein Sonderzug die Rechten zurück nach Speyer bringen wird. Daran sehe man mal wieder, wie die Demokraten die Rechte der Rechten mit “Füßen treten”. Wie absurd das ist, die Verfassung abzulehnen, um sich dann weinerlich darauf zu berufen, kommt dem Redner nicht in den Sinn.
Gegendemo stoppt die Rechten
Kurz nach 18:00 Uhr schleichen sich die Neonazis zurück. Stolz geht anders. Die Gegendemonstranten jubeln. Die Augen glänzen. Man sieht die Genugtuung und die Zufriedenheit, dass man die Stadt nicht dem rechten Pöbel überlassen hat.
Die Rechtsradikalen verabschieden sich mit Gewalt. Sie werfen Feuerwerkskörper auf die Polizisten. Ein Beamter erleidet ein Knalltrauma. 45 Neonazis werden separiert und deren Personalien festgehalten. Für drei Polizistinnen endete der Einsatz mit teils schweren Verletzungen bereits am Morgen. Ein durchfahrender Zug hatte irgendwie ein Absperrgitter in Bewegung gebracht, das auf die Polizistinnen stürzte.
Als klar ist, dass die Neonazis abziehen, löst sich auch die Versammlung der Nazi-Gegner auf. Kurz vor 20 Uhr ist die Welt in Neckarau fast wieder normal. Die Absperrungen sind weg, der Verkehr fließt. Es laufen Menschen auf den Straßen. Nur hier und da sieht man doch noch ein paar Streifenwagen. Bald werden auch die Beamten Feierabend haben. Viele waren 14 Stunden und länger im Einsatz.
Aus Sicht der Polizei ein gelungener Einsatz fast ohne Auseinandersetzungen. Aber auch einer mit hohem Aufwand und enormen Kosten.
Um 19:40 Uhr ist der Spuk vorbei.