Mannheim/Rhein-Neckar, 01. Februar 2013. (red/jkr) Seit 1999 ist Heinrich Vetter Ehrenbürger der Stadt Mannheim. Er ist bekannt als Wohltäter, gründete die Heinrich-Vetter-Stiftung und verschiedene Orte der Stadt sind nach ihm benannt. Auch in der Region ist allerorten sein Wirken zu spüren. Jetzt wurde durch eine Studie der Historikerin Dr. Christiane Fritsche seine nationalsozialistische Vergangenheit aufgedeckt. Die Folgen sind umfangreich – die Ehre des Heinrich Vetter hat Flecken.
Von Joka Reichel
Wenn man bislang von Heinrich Vetter sprach, verband man damit seine Stiftung, das Forum in der Kunsthalle Mannheim oder einen Hörsaal der Universität, die beispielsweise nach ihm benannt sind. Ebenso einen Saal im Stammhaus der Reiss-Engelhorn-Museen und einen Weg im Luisenpark. Gedenktafeln zu ihm sind in der ganzen Stadt zu finden, denn seit 1999 ist er Ehrenbürger der Stadt Mannheim. Die Schatten der Vergangenheit holen Vetter nun ein – er war Mitglied der NSDAP und ein Profiteur des Nazi-Regimes. Auch das ist Teil seiner Geschichte.
Am Mittwoch, den 30. Januar 2013, stellte Dr. Christiane Fritsche ihr neues Buch “Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt – Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim”, das Ergebnis einer dreijährigen Studie, vor. Auf Seite 440 bis 459 stehen erschütternde Erkenntnisse über den Mannheimer Ehrenbürger Heinrich Vetter. Bereits direkt nach der Vorstellung fragte jemand aus dem Publikum:
Sollten wir Heinrich Vetter aus unserer Liste der Ehrenbürger streichen?
Neue Erkenntnisse über Heinrich Vetter
In der historischen Einordnung Heinrich Vetters muss man die gesamte Familie Vetter betrachten. 1885 legte die Großmutter den Grundstein des wirtschaftlichen Erfolgs mit einem Laden für Kurz-, Weiß- und Wollwaren. Dieses übernahmen die Tochter und der angeheiratete Carl Heinrich Vetter, Heinrich Vetters Eltern, im 20. Jahrhundert.
Dem 1910 geborenen Heinrich Vetter war sein Beruf damit in die Wiege gelegt. 1933 legte er sein kaufmännisches Diplom ab und stieg in das Geschäft des Vaters ein. Während des Studiums trat er bereits dem NS-Studentenbund bei und wechselte damit 1933 zur NSDAP.
Heinrich Vetters Mutter Frida trat 1933 der NS-Frauenschaft bei und sein Vater – wenn auch nie Mitglied der NSDAP – inserierte bereits seit 1932 in der NS-Presse. Das Kaufhaus Vetter trat der Arbeitsgemeinschaft Deutsch-Arischer Fabrikanten in der Bekleidungsindustrie (Adefa) bei, die jegliche Geschäftsverbindungen mit Juden verbot. Insgesamt arisierte das Ehepaar drei Firmen und drei Grundstücke. Das heißt, sie kauften diese für sehr niedrige Preise von jüdischen Besitzern. Später gingen diese in Heinrich Vetters Besitz über.
Heinrich Vetter selbst handelte nach eigener Aussage noch bis 1935 mit Firmen unter jüdischer Leitung. Allerdings arisierte er bereits im Juni 1934 die Firma B. Kaufmann & Co von der Brüder Landauer AG. 1936 folgte die Arisierung der Firma Hugo Landauer von Julius Levy.
Über Heinrich Vetter und seinen Vater schreibt Dr. Fritsche in ihrem Buch:
Auch wenn sie, anders als etwa Richard Greiling, die jüdischen Verkäufer offenbar nicht persönlich unter Druck setzten oder sie erpressten, ja sie mit einzelnen Juden sogar geschäftlich und freundschaftlich verbunden waren, profitierten sie dennoch als aktive Opportunisten von der Notlage jüdischer Kaufleute und machten zu ihren Lasten gute Geschäfte.
Da Heinrich Vetters Vater 1943 gestorben war, musste er sich nach seiner Entlassung aus französischer Kriegsgefangenschaft im Jahr 1946 dem Entnazifizierungsverfahren stellen. Er wurde zu einer Geldsühne von 2.000 Reichsmark verurteilt und als Mitläufer eingestuft. Dieses Urteil erhielten ungefähr die Hälfte aller Menschen, die sich in Baden-Württemberg einem Entnazifierungsprozess stellen mussten.
Im Restitutionsverfahren kam er nicht so leicht davon. Noch bis 1958 beglich er ratenweise Nachzahlungen an verschiedene jüdische Geschäftsleute. Verschiedene Restitutionszahlungen gingen dabei sogar über den gerichtlich verordneten Satz heraus. Die Gründe dafür sind bis heute unklar.
Seit 1985 engagierte Vetter sich als Mäzen und gründete 1997 die Heinrich-Vetter-Stiftung. 1998 erhielt er von der Jüdischen Gemeinde Mannheim die erste von dieser Gruppe je vergebene Ehrenmedaille und 1999 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Mannheim.
Wie ist mit den neuen Erkenntnissen umzugehen?
Immer wieder werden bekannte Persönlichkeiten von ihrer Nazi-Vergangenheit eingeholt. Zu nennen ist da zum Beispiel Hans Filbinger, deutscher Politiker der CDU. Von 1966 bis 1978 war Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Auch er war NSDAP-Mitglied und ordnete als Richter in den Jahren 1943 bis 1945 vier Todesurteile an. Diese Enthüllung zwang ihn 1978 zum Rücktritt.
Andere bekannte Persönlichkeiten sprechen selbst über ihre Vergangenheit. So eröffnete der Nobelpreisträger Günter Grass im Jahr 2006 der Welt, mit siebzehn Jahren der Waffen-SS angehört zu haben. Das hatte er nie verschwiegen, schon 1945 gab er dies in seinem Entnazifizierungsprozess an, allerdings hatte er es vor 2006 nie der breiten Öffentlichkeit mitgeteilt.
Seine Eröffnung löste eine umfangreiche Debatte in der Öffentlichkeit aus. Der polnische Politiker Lech Walesa forderte damals, dass Grass seine Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig ablege. Grass schrieb ein Reue bekennendes Schreiben an die Stadt Danzig, was von dieser angenommen wurde. Trotz des Ergebnisses einer Umfrage, bei der zwei Drittel der Danziger Bürger die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft forderten, sprach sich der damalige Danziger Bürgermeister für ihn aus. Er ist auch heute noch offizieller Ehrenbürger der Stadt.
Die Liste der Ehrenbürger ist vor allem historischer Natur. Die meisten würden heute nicht darauf kommen, daher wäre es eine Übertreibung, ihn zu streichen. Wohl aber sollte sein Name mit einer Anmerkung versehen werden, um die Wahrheit auch nicht zu verdrängen,
sagt Prof. Dr. Johannes Paulmann, der Leiter des Historischen Instituts der Universität Mannheim und Direktor am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte.
Er erklärt, dass es drei verschiedene Arten von Ariseuren gibt: Die skrupellosen Geschäftsleute wie Richard Greiling, aktive Opportunisten und eine kleine Gruppe, die mit Arisierungen versuchten, jüdischen Freunden zu helfen und die Flucht zu ermöglichen.
Wie Dr. Fritsche auch in ihrem Buch erwähnt, ist Heinrich Vetter in die Gruppe der aktiven Opportunisten zu zählen. Sicher kann man nie sein, denn die Datenlage ist noch immer lückenhaft, aber viele Hinweise deuten darauf hin, dass Heinrich Vetter niemals mit Zwang vorgegangen ist. Besonders die hohen Nachzahlungen sprechen für ihn.
Was wird jetzt geschehen?
Es ist ein Ausdruck der Stärke, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen,
sagt Oberbürgermeister Peter Kurz. Er möchte den Namen nicht aus der Geschichte tilgen, wohl aber soll ein Vermerk stattfinden. Die Stadt Mannheim plant nach unseren Informationen in den kommenden Wochen eine Bestandsaufnahme aller Benennungen und Gedenktafeln zu Heinrich Vetter durchzuführen. Informative Tafeln, Ergänzungen auf vorhandenen Tafeln oder ergänzende Tafeln sollen bald bei jeder Erwähnung des Namens Heinrich Vetter zu finden sein.
Auch die Universität Mannheim überlegt, wie man mit den neuen Erkenntnissen umgeht. Der Heinrich-Vetter-Saal der Universität Mannheim, der sich im Ostflügel im ersten Stock befindet, wird von allen Fachbereichen genutzt. Prof. Paulmann empfiehlt das Anbringen einer informativen Tafel im oder am Hörsaal. Die Pressestelle der Universität teilte uns auf Anfrage mit, dass dies in der kommenden Zeit diskutiert werden soll:
Dies ist keine Entscheidung der Hochschulleitung allein. Darüber muss die gesamte Universität diskutieren,
sagte Katja Barbara Bär, Leiterin der Abteilung Kommunikation & Fundraising und Pressesprecherin der Universität.
Für die Heinrich-Vetter-Stiftung, die ebenso wie die Stadt Mannheim und die Universität Mannheim die Studie mitfinanzierte, kamen die neuen Erkenntnisse nicht „überraschend“, da die Ergebnisse schon seit einem Jahr vorliegen. Im Internetauftritt der Stiftung wurde schon vor einiger Zeit ein Vermerk in der Biographie Heinrich Vetters eingefügt. Dieser soll in den nächsten Wochen ausgearbeitet werden, wie uns die Stiftung mitteilte. Auch wurden die früheren Heinrich-Vetter-Preise bereits umbenannt. So zum Beispiel der “Heinrich-Vetter-Kunstpreis” zum “Mannheimer Kunstpreis der Heinrich-Vetter-Stiftung”.