Rhein-Neckar, 27. Januar 2013. (red/pro) Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein hochemotionales Thema. Jeder vernünftige Mensch empört sich darüber – teils so sehr, dass jede Vernunft abhanden kommt. Rechtsextreme nutzen diese hochgradie Empörung, um auf sich und ihre Hetze aufmerksam zu machen. Mit Erfolg. Auf Facebook fordern sie seit Okotber 2012 „1.000.000 Stimmen gegen Kinderschänder„. Stichtag: 28. Januar 2013. Über 700.000 Facebook-Nutzer haben sich zu dieser „Veranstaltung“ angemeldet. Doch „veranstaltet“ wird nichts als „ein starkes Zeichen zu setzen“. Das Ziel ist, Interesse für Hetz- und Hassparolen der Rechtsextremen zu fördern.
Von Hardy Prothmann
„Kinderschänder“ sind das Thema für Rechtsextreme. Was fachsprachlich „sexueller Missbrauch“ genannt wird und wo seriöse Experten von „Betroffenen“ sprechen, um diesen eine weitere „sprachliche Misshandlung“ als „Opfer“ und die „Schande“ zu ersparen, zielen Rechtsextreme genau darauf ab.
Sie organisieren „Mahnwachen„, informieren angeblich bei Vorträgen zum Thema oder nutzen soziale Netzwerke wie Facebook, um über das Thema für ihre anderen Botschaften empfänglich zu machen. Wer sich auf solche Angebote einlässt, wird schnell mit der Ideologie dahinter konfrontiert: Forderungen nach der Todesstrafe, Lynchjustiz, ausländerfeindliche Parolen und Hassbotschaften aller Art.
Eindeutige Nazi-Seite
Hinter der „1.000.000 Stimmen“-Veranstaltung steht die Seite „Deutschland gegen Kindesmissbrauch„. Im Untertitel: „Keine Gnade für Kinderschänder. Im Infobereich der Seite wird man deutlich: „auch die Diskussion über die Todesstrafe darf kein gesellschaftliches Tabu sein“. Und weiter: „Unabhängig vom Sachverhalt fordern wir alle Diskussionsteilnehmer auf Gewaltphantasien und die Forderung nach Selbstjustiz zu unterlassen.“ Doch genau das Gegenteil ist der Fall – auf der Seite wimmelt es nur so von gewalttätigen Fantasien gegen „Kinderschänder“.
Die Seite erstellt Umfragen wie „Welche Strafe für Kinderschänder?“. Erste Wahlmöglichkeit ist die Todesstrafe, die mit knapp 1.000 Wertungen weit vor „Lebenslange Haft + Schwerstarbeit“ rangiert. Immer wieder wird die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ins Visier genommen und es werden „härtere Gesetze“ und „härtere Strafen“ gefordert. Der Staat sei korrupt, faul, die Justiz eine „Kuscheljustiz“, die „die Täter statt die Opfer schützt“. Seitenbesucher kommentieren beispielsweise so: „Auch ich kann das nicht beschreiben, was ich für solche Verbrecher empfinde. Haß ist hier zu wenig!“ Hass ist also noch zu wenig? Was hätte dieser Kommentator denn gerne mehr? Den „totalen Hass“?
Straftäter werden an anderer Stelle als „biologischer Sondermüll“ bezeichnet und immer wieder wird der Anschein erweckt: „Wir sind die einzigen, die was gegen diese Bestien tun.“ Dass solche Behauptungen menschenverachtend sind und nicht den Tatsachen entsprechen, ist egal. Über die Emotionalisierung erreichen die Rechten die Aufmerksamkeit, die sie haben wollen. Dazu gehört auch: „Deutschland braucht deutsche Kinder.“
Von der Emotionalisierung in die Radikalisierung
Auch viele Leserinnen und Leser unserer Blogs und einige meiner persönlichen Facebook-Kontakte befinden sich unter den „Teilnehmern“. Ebenso Politiker demokratischer Parteien, die den Nazis auf den Leim gehen. Recherchen verschiedener Antifa-Grupen zeigen auf, dass vermutlich NPD-Mitglieder aus Baden-Württemberg hinter der Aktionsseite stecken. Eine direkte Verbindung wird bewusst vermieden, weil das den Erfolg klar einschränken würde. Wer will schon die NPD unterstützen? Berichte über solche Verbindungen werden auf der Seite sofort als „dreiste Lügen“ abgetan.
Der Umweg hin zu rechtsradikalen Positionen läuft über die Radikalisierung. Wer sich für die Todesstrafe ausspricht und gegen die „Scheiß-Justiz“ ist, macht sich auf den Weg in Richtung brauer Sumpf. Wer sich interessieren lässt, wird fortan garantiert mit Informationen über mutmaßliche Verbrecher aller Art versorgt – bevorzugt ausländische. Und allem, was zeigt, dass der Staat „aufrechte Deutsche“ verfolgt und unterdrückt, während Verbrecher geschont werden. Der Staat ist aus der rechtsradikalen Sicht heraus folglich ein „Unrechtssystem“ und muss abgeschafft werden. Dazu gibt es jede Menge Verweise auf andere rechtsradikale Seiten und auch die neue rechte Bewebung „Die Identitären“.
Die braune Soße, bei der viele mitmachen und sich vermutlich dabei selbst nicht als rechtsradikal einstufen werden, ist eine Mischung aus Alarmismus, Frustventil, „Wir gegen die“, „unten gegen oben“ gewürzt mit ordentlich Empörungspotenzial. Und man ist einer von sehr vielen, die gegen „Kinderschänder“ sind. Man ist also „gut“ und auf der richtigen Seite – solange, bis man feststellt, dass man längst auf der rechten Seite angekommen ist.
Ein ähnliche Seite wurde 2011 von Facebook nach massiven Protesten von anderen Nutzern gelöscht – die Rechtsradikalen lernen und verpacken ihre Botschaften so, dass sie gerade noch „zulässig“ sind. Und selbstverständlich dienen diese „Informationen“ keiner Partei, sind vollständig „unpolitisch“ – auch das wird gebetsmühlenartig behauptet.
Die Gehirnwäsche über das Thema „Kindesmissbrauch“ läuft auch musikalisch, die Nazi-Sängerin und NPD-Mitglied Anett Müller schafft es mit ihrem Lied „Wir hassen Kinderschänder“ bei youtube auf über 1,1 Millionen Aufrufe.
Aufklärung, konkrete Hilfen, Lösungsvorschläge – all das bieten diese Seiten nicht. Außer man betrachtet „abschneiden“ und „Todesstrafe“ als geeignete „Endlösung“.
Anm. d. Red.: Wer sich tiefer mit dem Thema beschäftigen möchte, findet hier weitere Informationen. Hinweis: Wir machen uns die Inhalte nicht zu eigen: