Mannheim/Rhein-Neckar, 01. Oktober 2013. (red/ms) Am Sonntag war der Europäische Tag der jüdischen Kultur. Dieses Datum hatte das Stadtarchiv Mannheim ausgewählt, um seine Gräberdatenbank des jüdischen Friedhofs der Öffentlichkeit zu präsentieren: Über 6.000 Datensätze sind ab sofort auf der Homepage des Stadtarchivs einzusehen. Verbunden wurde die Einweihung mit einer kostenfreien Führung über den Friedhof, die interessante Hintergrundinformationen zu einigen Gräbern lieferte.
Von Minh Schredle
Um 14:00 Uhr sind fast 50 Menschen vor dem Eingangstor des jüdischen Friedhofs versammelt. Die Männer tragen allesamt Kopfbedeckungen. Einige tragen sie aus religiöser Überzeugung, andere als Zeichen des Respekts.
Das Stadtarchiv will seine Gräberdatenbank der Öffentlichkeit zugänglich machen. Mit über 6.000 Datensätzen ist dieses Projekt in seiner Größenordnung deutschlandweit nahezu einzigartig. Lediglich für den alten jüdischen Friedhof in Hamburg wurde bislang eine vergleichbar umfassende Datenbank angelegt.
Wir haben viele Anfragen aus den USA und aus Israel, die ihre Ahnen ausfindig machen wollen. Online geht das jetzt wesentlich einfacher,
sagt Dr. Susanne Schlösser. Sie ist die Projektleiterin und führte über den Friedhof. In der Datenbank lassen sich neben den Namen der Verstorbenen auch ihre Geburts- und Todesdaten, sofern bekannt auch Berufe einsehen. Über einen schematischen Lageplan lässt sich der Standort des Grabes finden. Außerdem gibt es zu allen Grabsteinen Fotografien – mindestens je ein Foto aus dem Jahr 1986 und von 2008, damals wurden jeweils alle Gräber fotografiert. So kann man sich eindrucksvoll ein Bild davon verschaffen, wie sich die Gräber im Lauf der Jahre verändert haben und welche Arbeiten auf dem Friedhof geleistet worden sind.
Für die Führung hat Dr. Schlösser acht exemplarische Gräber ausgewählt, die möglichst viel vom Friedhof und seiner Geschichte repräsentieren sollen. Darunter eindrucksvolle Monumente, wie das Familiengrab der Kaufleute Ladenburg, aber auch schrecklich Ernüchterndes, wie das Massengrab für mehr als 3.500 exhumierte Juden: Bis 1938 wurde noch der jüdische Friedhof im Quadrat F7 genutzt, dann musste die jüdische Gemeinde das Grundstück unter dem Druck des damaligen Oberbürgermeisters Carl Renninger verkaufen und alle Toten seit 1842 wurden ausgegraben und in das Sammelgrab auf den heutigen jüdischen Friedhof gebracht. Besonders zynisch und pietätslos wird diese Tat dadurch, dass die jüdische Totenruhe unter keinen Umständen gestört werden soll.
Hinzu kommt, dass die Namen der Verstorbenen nicht mehr zuzuordnen waren. Sie fehlen in der Datenbank, wie noch etwa 200 weitere, die zwar auf den Beerdigungslisten aufgeführt sind, aber bislang noch keinem Grab zugeordnet werden konnten.
Ebenfalls sehr eindrücklich ist es, zu sehen, wie sich die Grabmäler zwischen den Jahren 1940 und 1941 schlagartig veränderten. Im Zuge der menschenverachtenden Nazi-Ideologie wurden quasi alle Juden aus Mannheim und Baden-Württemberg nach Gurs deportiert. Nur sehr wenige, kranke und alte blieben verschont. Enteignet und verarmt fielen die Gräber der in Mannheim Verbliebenen deutlich schlichter aus.
Über den jüdischen Friedhof zu laufen ist auf jeden Fall bewegend. Hier liegen bestaunenswerte Ästhetik und beklemmende Mahnmäler nahe beieinander.
Nach etwa einer Stunde verlassen die Besucher den Friedhof. Die meisten folgen Dr. Schlösser noch ins benachbarte Gebäude, wo sie die Datenbank vorführt. Die Suchfunktion zur Recherche finden Sie auf der Homepage des Stadtarchivs oder, unter diesem Link.