Mannheim/Rhein-Neckar, 27. Juni 2014 (red/ms). Emil S. (41), der Mörder der litauischen Studentin Gabriele Z. (20), wurde vom Landgericht Mannheim zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt und die Sicherheitsverwahrung angeordnet. Der vorsitzende Richter, Dr. Ulrich Meinerzhagen, befand Emil S. in allen Anklagepunkten für schuldig: Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge Gabriele Z., Raub in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung gegen die 48-jährige Nadja B. aus Speyer und Raub mit vorsätzlicher Körperverletzung beim Übergriff gegen zwei minderjährige Mädchen in Grünstadt. Die Urteilsverkündung dauerte heute fast 2,5 Stunden – unser Reporter Minh Schredle war als einziger Journalist an jedem Verhandlungstag durchgehend im Gericht und fast alle wesentlichen Fakten zusammen.
Von Minh Schredle
Mehr als 100 Zuschauer atmen erleichtert auf, als der Vorsitzende Richter Dr. Ulrich Meinerzhagen das Strafmaß verkündet:
Ich verurteile den Angeklagten Emil S. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die besondere Schwere der Schuld ist festgestellt. Eine anschließende Sicherheitsverwahrung wird angeorndet.
Es ist die härteste Strafe, die im deutschen Rechtssystem verhängt werden kann – und sie erscheint gerade angemessen, für das, was der Mann auf der Anklagebank angerichtet hat.
Ein Verbrechen erschüttert Mannheim
Was im Oktober vorgefallen ist, ist schockierend. Erschütternd. Verstörend. Absolut unverständlich. Gerade einmal 20 Jahre alt ist Gabriele Z. geworden. Die schüchternde, unsichere Litauerin hat den Mut aufgebracht, ins Ausland zu gehen.
Es hat sie Einiges an Überwindung gekostet, die Heimat zu verlassen. Zuvor war sie noch nie länger als ein paar Wochen alleine im Ausland. In Mannheim wollte sie ein Semester lang Psychologie studieren.
Doch sie verbrachte hier nicht einmal zwei Monate – dann wurde sie brutal ermordet, missbraucht und zwischen Junkiespritzen und Wodkaflaschen liegen gelassen.
Eine ganze Stadt ist fassungslos. Und auch weit über Mannheim hinaus sind Menschen schockiert und betroffen über den grausamen Vorfall. Was für ein Unmensch kann einer jungen Frau so etwas antun? Warum musste sie sterben? Tausende Menschen kamen kurz nach dem Mord zusammen, um den Tod der Studentin zu betrauern.

Tausende kamen zusammen, um den Tod der Studentin zu betrauern und das Unfassbare zu verarbeiten.
Etwa zwei Wochen später nimmt die Polizei einen Tatverdächtigen fest. Die Sache scheint eindeutig: Emil S. ist ein 41-jähriger Bulgare, der am Existenzminimum lebt. Mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen mehreren gewaltsamen Übergriffen auf Frauen. Spricht kaum Deutsch und schlägt sich als Hilfsarbeiter durch. Lebt mit drei Kollegen in einer kleinen, spartanisch eingerichteten Arbeiterwohnung in Grünstadt.
In seiner Wohnung fand die Polizei das Handy der toten Studenten. Sein Sperma wurde an der Leiche festgestellt. Für den Zeitraum der Tat hat er kein Alibi.
Schweigen trotz erdrückender Beweislast
Trotz dieser erdrückenden Beweislast stritt der Angeklagte den Tatvorwurf lange Zeit ab. Er habe das Mädchen nicht umgebracht, log er bei der polizeilichen Vernehmung. Im Prozess ist zunächst kein Wort aus ihm herauszuholen.
Erst als Gabrieles Mutter im Gerichtssaal in Tränen ausbricht und Rechtsanwalt Hans Beust ihn direkt darauf anspricht, ob er gegenüber den trauernden Familienangehörigen nicht ein Wort der Reue zu sagen habe, bricht Emil S. sein Schweigen:
Frau Z., ihre Tochter ist durch meine Hände gestorben,
gesteht er. Er spricht von Reue. Davon, dass er die Zeit zurückdrehen wolle. Davon, dass er sein eigenes Leben geben würde, um seine Taten ungeschehen zu machen. Aber er äußerte sich nicht zu den Umständen von Gabrieles Tod.
Auch die Beweisaufnahme konnte nicht eindeutig rekonstruieren, was sich bei der Begegnung zwischen Gabriele Z. und ihrem Mörder abgespielt hat. Bekannt ist nur das grausame Resultat: Die 20-jährige Studentin wurde zwischen Müll aufgefunden, wie sie im Dreck lag. Tot, mit heruntergerissener Hose und Spermaspuren am Körper.
Kein Mord?
Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Maximilian Endler, wollte die Ungewissheiten in Bezug auf den Tathergang nutzen, um für seinen Mandanten auf einen Raub mit Todesfolge zu plädieren: Man könne dem Angeklagten nicht von Anfang an eine mörderische Absicht unterstellen, der Tod des Mädchens sei ein Unfall, den er nicht beabsichtig habe – doch das konnte den vorsitzenden Richter, Dr. Ulrich Meinerzhagen nicht überzeugen:
Der Angeklagte handelte aus Habgier und mordete, um durch den Tod seines Opfers weitere Straftaten zu ermöglichen.
Außerdem sei sein Vorgehen dabei heimtückisch gewesen, was ein weiteres bedeutsames Kriterium für eine Verurteilung wegen Mordes ist. Der Richter gestand ein, dass es der Kammer nicht gelungen ist, jedes Detail zum Tathergang klären konnte. Dennoch reiche das, was bekannt geworden ist aus, um mit Sicherheit von einem Mord ausgehen zu können.
Sexueller Missbrauch entzieht sich der Beurteilung
Anders sei das bei dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs: Es sei klar, dass der Angeklagte sich sexuell an Gabriele Z. vergangen hat. Allerdings könne man nicht feststellen, ob Gabriele zu dem Zeitpunkt dieser Tat noch am Leben war oder nicht – und diese Frage sei essenziell, um ein Strafmaß zu finden.
Wenn Gabriele noch gelebt hat, wäre es als sexueller Missbrauch oder als eine Misshandlung einer widerstandsunfähigen Person zu beurteilen. Dabei wird das sexuelle Selbstbestimmungsrecht verletzt. Sollte Gabriele bereits tot gewesen sein, so wäre es eine Schändung der Totenruhe.
Die möglichen Straftatbestände seien rechtsethisch und psychologisch vollkommen unterschiedlich zu beurteilen – daher scheide laut Richter Meinerzhagen eine Wahlfeststellung aus. Er kommt zu dem bitteren Ergebnis:
Da wir nicht wissen, was der Angeklagte von den beiden Möglichkeiten getan hat, muss er wohl oder übel von diesem Tatvorwurf freigesprochen werden – wenngleich klar ist, dass er auch hier schuldig ist.
Es ist sicherlich enttäuschend, dass der Angeklagte für dieses widerliche und menschenverachtende Verbrechen, das es zweifelsfrei gewesen ist, nicht verurteilt wird. Doch auch ohne Emil S. dafür strafrechtlich belangen zu können, verhängte das Gericht die Höchststrafe gegen den Angeklagten.
Brutaler Übergriff von hinten
Der Mord an Gabriele Z. ist nicht das Einzige, was er angerichtet hat. Im August überfiel er in Speyer Nadja B. von hinten. Er nahm Anlauf, rannte auf sie zu rammte die 48-jährige Frau so hart, dass sie den Boden unter den Füßen verlor und in ein Gestrüpp flog.
Dort packte er sein Opfer mit einer Hand am Hals und drückte ihr die Kehle zu, um ihre Schreie zu ersticken und schlug sie mit der anderen Hand immer wieder ins Gesicht. Sie hatte Todesangst. Sie war sich sicher, gerade um ihr Leben zu kämpfen.
Einmal versucht der Angreifer, ihren Kopf zu packen und ruckartig herumzureißen. Offenbar wollte er ihr das Genick brechen. Dann griff er nach dem Schal des Opfers. Die Frau kämpft mit aller Kraft. Im Gerichtssaal schilderte sie:
Ich wusste, wenn ich nachlasse, ist mein Leben beendet.
Irgendwann lässt der Angreifer von ihr ab. Schnappt sich die Handtasche des Opfers und rennt davon. Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Das war ein versuchter Mord. Hätte der Angreifer die Frau nur berauben wollen, wäre so viel Gewalt nicht notwendig gewesen. Die Art wie er vorging, mache eins deutlich, sagte Oberstaatsanwalt Oskar Gattner:
Er trachtete ihr nach dem Leben.
Die Rechtsanwältin Inga Berg beantragte, den Angeklagten von dem Tatvorwurf freizusprechen: Einzige Grundlage für einen Verdacht sei das DNA-Gutachten. Dies allein dürfe aber nicht für eine Verurteilung ausreichen.
„Summe der Indizien gibt Gewissheit“
Die Sehstärke des Opfers ist stark eingeschränkt. Sie verlor ihre Brille, als sie von hinten angerempelt wurde und erkannte ihren Angreifer nur schemenhaft. Sie konnte keine Personenbeschreibung abgeben. Aber ihr gelang es, den Angreifer an der Backe zu kratzen, als sie sich zur Wehr setzte.
Unter ihren Fingernägeln wurde Zellmaterial festgestellt, das mit der DNA des Angeklagten übereinstimmt. Richter Ulrich Meinerzhagen hält eine Verwechslung für ausgeschlossen:
Die statistische Häufigkeit, mit das aufgefundene DNA-Muster vorkommt, beträgt eins zu mehreren Trilliarden – das ist ein Vielfaches der Weltbevölkerung. Außerdem ist die DNA vollkommen identisch mit der, die an Gabrieles Leichnam sichergestellt wurde. In diesem Fall hat der Angeklagte die Täterschaft eingestanden – also muss er es auch in diesem Fall gewesen sein. Eine zufällige Antragung unter den Fingernägeln ist unvorstellbar.
Neben den DNA-Spuren gäbe es noch andere Anhaltspunkte, die in der Summe zu der Gewissheit führten, dass man Emil S. als Täter überführen kann:
Sein Handy war zum Tatzeitpunkt in Tatortnähe und er hat kein Alibi.
Der Grund für den brutalen Übergriff war vermutlich die Handtasche, die das Opfer mit sich führte. Schon in seinem Heimatland Bulgarien überfiel der Angeklagte mehrere Frauen, um sich an ihrem Besitz zu bereichern.
Richter Meinerzhagen spekuliert, der Angeklagte habe bei seinem Angriff nicht mit dermaßen massiver Gegenwehr gerechnet. Er wollte sein Opfer dann „kampfunfähig“ machen und ihre „Wahrnehmungsfähigkeit außer Kraft“ setzen.
Übertriebene Gewaltanwendung
Dabei habe er auch den Tod seines Opfers billigend in Kauf genommen, andere Frauen seien bei vergleichbarer Gewaltanwendung bereits ums Leben gekommen, führt Richter Meinerzhagen aus. Allerdings habe er nach einer gewissen Zeit – offenbar aus freien Stücken – von der Gewaltanwendung abgelassen.
Dem Gericht ist nichts von vorbeikommenden Passanten bekannt oder anderen Umständen, die den Angeklagten zur Flucht bewegt haben könnten. Somit muss es als autonome Entscheidung beurteilt werden. Deswegen sei es in diesem Fall auch kein versuchter Mord, sondern „nur“ ein Raub in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung. Richter Meinerzhagen fügte hinzu:
Kennzeichnend für die Tat ist das in jeder Hinsicht vollkommen überzogene Ausmaß der Gewaltanwendung. Die Motive des Täters sind im Einzelnen nicht nachzuvollziehen.
Allein für dieses Verbechen wären laut dem Richter sieben Jahre Freiheitsentzug angebracht.
Überfall auf minderjährige Mädchen
Dem Angeklagten wurde darüber hinaus zur Last gelegt, gerade einmal zwei Wochen nach dem Mord an Gabriele Z. zwei weitere, noch minderjährige Mädchen in Grünstadt überfallen und ausgeraubt zu haben.
Wie in Speyer sei es hier nicht ein einzelndes zwingendes Beweisstück, sondern die Summe der diversen Indizien, die für die Sicherheit sorgen, die für eine Verurteilung notwendig ist:
Die Mädchen konnten den Angeklagten mit recht großer Sicherheit als Täter wiedererkennen. In der Wohnung und im Müll des Angeklagten fanden sich private Gegenstände, die aus der entwendeten Handtasche stammten.
Besonders verwerflich sei diese Tat wegen des geringen Alters seiner Opfer. Eines der Mädchen war zum Zeitpunkt der Tat gerade einmal 13 Jahre alt. Laut Richter Meinerzhagen sei zu befürchten, dass der Angeklagte sich auf freiem Fuß immer jüngere und wehrlosere Opfer suchen würde. Lediglich eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen wäre zu mild:
Für einen Mord allein ist eine lebenslange Freiheitsstrafe als absolutes Strafmaß festgelegt. Würde man es dabei belassen, würde der Angeklagte bevorzugt behandelt werden. Auch die Verbrechen in Speyer und Grünstadt müssen Gewichtung finden.
Deswegen stellte er die besondere Schwere der Schuld fest. Bei einer „normalen“ lebenslangen Freiheitsstrafe hat der Täter die Möglichkeit, nach frühestens fünfzehn Jahren aus der Haft entlassen zu werden. Wird jedoch die besondere Schwere der Schuld festgestellt, werden die Auflagen für eine mögliche Entlassung stark verschärft. In der Regel werden Gefangene in diesem Fall nicht nach weniger als 20 Jahren frei gelassen.
Doch Emil S. wird voraussichtlich noch wesentlich länger eingesperrt bleiben – Richter Meinerzhagen ordnete die Sicherheitsverwahrung an:
Emil S. ist gemeingefährlich. Obwohl er sich schon über ein Jahrzehnt in Haft befand, hat das offenbar keine abschreckende Wirkung gehabt. Zumindest beging er auf freiem Fuß weiterhin schwerwiegende Verbrechen und ist bereits nach kurzer Zeit wieder straffällig geworden. Seine Opfer sind bevorzugt körperlich unterlegene Frauen und die Abstände, in denen er seine Straftaten ausübte, wurden immer enger. Er ist gefühlskalt und nach allem, was wir erfahren haben, nur sehr eingeschränkt empathiefähig. Vermutlich ist er nicht einmal in der Lage zu begreifen, was er eigentlich angerichtet hat. Es ist nicht nur einer, sondern es sind all diese Gründe, die es zwingend notwendig machen, die Sicherheitsverwahrung anzuordnen.
Richter Meinerzhagen ließ sich viel Zeit, um akribisch vorzugehen. Jedes noch so kleine Detail wurde aufgeführt, wenn es nur irgendwie bedeutsam schien und jeder Gedankengang, der das Gericht zu einer bestimmten Überzeugung brachte, wurde Schritt für Schritt dargelegt. Die Urteilsverkündung dauerte länger fast 2,5 Stunden.
Während dieser Zeit zeigte der Angeklagte – wie auch im gesamten Prozess – kaum eine Regung. Er saß still da, die Arme meistens verschränkt und den Blick konsequent auf den Boden gerichtet. Gerade wurde er zu der härtesten Strafe, die in der deutschen Rechtssprechung möglich ist, verurteilt – und nicht einmal das bringt ihn aus der Fassung.
Er wirkt fast so, als würde nicht er verurteilt werden, sondern irgendjemand anderes, der ihn nicht besonders interessiert.
Anm. d. Red.: Sie finden alle Artikel zum Mord, der Jagd nach dem Mörder und der Verhandlung hier.