Mannheim/Rhein-Neckar, 30. Mai 2014. (red/ms) Die Verhandlungen im Mordfall Gabriele Z. neigen sich dem Ende zu – nur noch zwei weitere Verhandlungstage sind angesetzt. Die Beweisaufnahme ist bereits geschlossen. Oberstaatsanwalt Oskar Gattner und die Nebenklägervertreter forderten als Strafe für den Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe und eine Anordnung der Sicherheitsverwahrung. Die Verteidiger plädieren erst am 17. Juni bis dahin pausiert der Prozess – eine lebenslange Freiheitsstrafe ist aber schon quasi gewiss.
Von Minh Schredle
Die litauische Gaststudentin Gabriele Z. (20) wollte in Mannheim einen viermonatigen Auslandsaufenthalt verbringen. Am 43. Tag wurde die junge Frau ermordet.
Gerade fing sie an, sich in Mannheim einzuleben. Ein recht schüchternes Mädchen, eher in sich gekehrt. Sie hatte wegen ihrer geringen Deutschkenntnisse zu Beginn Schwierigkeiten, sich zu verständigen und in der Universität bei allem mitzukommen. Von ihren Freunden aber durchweg als lebensfroh, hilfsbereit und liebenswert beschrieben.
Mit einem polnischen Austauschstudenten begann gerade ein Liebesverhältnis. Vielleicht hätte sich eine richtige Beziehung daraus entwickelt. Der 21-jährige schilderte, wie er und Gabriele gemeinsam einen Ausflug nach Heidelberg unternahmen. Er habe Gabriele noch nie zuvor so unbeschwert gesehen.
Willkürliche Auswahl der Opfer
Es war das letzte Mal, dass sie sich sahen. Am 03. Oktober 2014 war Gabriele zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie wählte die Unterführung der Kurt-Schuhmacher-Brücke als Nachhauseweg. Die kürzeste Strecke zwischen Uni und ihrem Zimmer. Dort traf Emil S. auf die junge Frau, überfiel sie, strangulierte sie und befriedigte sich sexuell an ihr. Emil S. hat den Mord inzwischen gestanden. Er schweigt jedoch über den Tathergang und seine Motive.
Es gab keine Beziehung zwischen Gabriele und ihrem Mörder. Ebenso wenig zwischen ihm und seinen anderen Opfern – sie alle waren zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Es hätte jede treffen können. Emil S. hat seine Opfer wohl wahllos ausgesucht.
Es gibt keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten – außer dass es alles Frauen waren. Aussehen, Alter und Herkunft scheinen ihm egal gewesen zu sein. Zwei seiner Opfer waren noch minderjährig.
Gefühlskalt, regungslos, unmenschlich
Emil S. zeigte sich im Prozess als regungslos, gefühlskalt und unmenschlich. Nachdem er Gabriele zu Tode gewürgt und sich sexuell an ihr vergangen hatte, ist er in seine Wohnunterkunft nach Grünstadt zurückgekehrt. Seine Mitbewohner gaben an, ihnen sei in dieser Nacht nichts außergewöhnliches am Verhalten des Angeklagten aufgefallen. Höchstens vielleicht, dass er “so gut gelaunt war”: Er habe ein bisschen gescherzt und sogar gelacht. Für ihn ging das Leben normal weiter.
Gabrieles Mutter brach noch sieben Monate nach der Tat im Zeugenstand in Tränen aus. Sie berichtete von einem totalen Zusammenbruch, den sie erleiden musste, nachdem sie von dem Tod ihrer Tochter erfuhr. Noch immer erinnert sie jede Ecke in ihrem zuhause schmerzlich an ihre tote Tochter. Weihnachten ohne sie sei grausam gewesen. Gabrieles Geburtstag noch schlimmer. All die Erinnerungen belasten sie noch immer – für die Familie ist fraglich, ob sie jemals wieder ein normales Leben führen können wird.
Schilderung des Staatsanwaltes sehr sachlich
Oberstaatsanwalt Oskar Gattner verhielt sich in der Beweisaufnahme eher zurückhaltend. Es vergingen mehrere Verhandlungstage an denen er keine einzige Frage stellte und wortlos beobachtete. Aber er hat seine Arbeit gemacht.
Er fasst sehr sachlich zusammen, was in der gesamten Verhandlung an relevanten Details zu den Taten bekannt wurde. Er verzichtet dabei auf eine unangemessene Dramatisierung und das ist gut so: Denn was geschehen ist, ist tragisch genug, ohne dass man es weiter aufzubauschen braucht.
Akribisch schildert er etwa eine Stunde lang, weswegen er zu welchen Einschätzungen kommt. Er forderte für das Verbrechen in Mannheim wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge und sexuellem Missbrauch an einer widerstandsunfähigen Person eine lebenslange Freiheitsstrafe. Er stellte die besondere Schwere der Schuld fest.
“Täter war bei vollem Bewusstsein”
Für einen versuchten Mord in Tateinheit mit Raub und schwerer Körperverletzung liegt das festzulegende Strafmaß bei einer Freiheitsstrafe zwischen drei und 15 Jahren. Für den Übergriff in Speyer hält der Staatsanwalt zwölf Jahre Haft für angemessen.
In Grünstadt stellt er einen Raub in Tateinheit mit Körperverletzung fest. Da es sich bei den Opfern um eine Jugendliche und ein Kind gehandelt habe, sei sein Handeln “besonders verwerflich”. Eine Haftstrafe von vier Jahren sei angebracht.
Bei all diesen Taten scheine der Angeklagte bei vollem Bewusstsein gewesen zu sein. Seine Steuerungsfähigkeit sei durch nichts beeinträchtigt worden. Bei keinem der drei Fälle sehe er “irgendeinen vernünftigen Grund zu zweifeln, dass der Angeklagte der Täter ist”.
“Emil S. ist gemeingefährlich und wird das bleiben”
Neben dem Freiheitsentzug beantragte der Staatsanwalt außerdem, das Gericht solle eine anschließende Sicherheitsverwahrung anordnen:
Zwar hat er den Mord gestanden, aber die späte Reue ändert nichts an den Umständen: Emil S. ist gemeingefährlich und wird das wahrscheinlich auch bleiben.
Es seien “immer wieder neue Straftaten” von ihm zu erwarten oder zumindest nicht auszuschließen – das habe auch der Sachverständige Prof. Dr. Foerster in seinem Gutachten festgestellt.
Minderjährige Opfer vielleicht für immer traumatisiert
Die Nebenklägervertreter schlossen sich allesamt den Forderungen des Staatsanwaltes an. Stephan Pfeiffer und Markus Theyson sind die Anwälte von Lena M. und Vanessa K.. Sie betonten den enormen psychischen Schaden, den der Übergriff bei den Mädchen hinterlassen hat. Es sei nicht auszuschließen, dass sie “ihr Leben lang traumatisiert” wären.
Die Rechtsanwältin Sandra Hausen vertritt Gabrieles Bruder. Der Angeklagte habe zwar den Mord gestanden – dennoch sei er eine “abscheuliche Person”:
Er hat Gabriele benutzt wie ein Ding. Und als er sie nicht mehr gebrauchen wollte, hat er sie mit heruntergelassenen Hosen und dem Gesicht im Dreck liegen lassen. Zwischen Junkie-Spritzen und Abfall. Das zeigt, wie gering der Angeklagte menschliches Leben schätzt – er verachtet es geradezu.
Ulrich Beust ist der Nebenklägervertreter von Gabrieles Vater. Er bewegte den Angeklagten dazu, den Mord zu gestehen. In seinem Schlussvortrag erwähnte er hauptsächlich ergänzende Details zur Berurteilung der Psyche des Angeklagten an.
Verteidigung des Angeklagten unangemessen?
Er sprach ausführlich über das Verhalten der Verteidiger in dieser Verhandlung: Zunächst sei zu loben, wie engagiert und beflissentlich sie ihren Pflichten nachgingen, möglichst gut für die Rechte ihres Mandanten einzutreten. Allerdings kritisierte er Maximilian Endlers Art, manche Zeugen zu befragen, auf Formalitäten zu beharren und unterstellte sowohl ihm als auch der zweiten Verteidigerin, Inga Berg, einen Hang, alles zu dramatisieren:
Auch wenn es in den Vernehmungen gelegentlich den Eindruck gemacht hat, als wären Stümper am Werk gewesen, so ist doch insgesamt festzustellen, dass die Polizei herausragende Arbeit geleistet hat, die zu einem Ermittlungserfolg geführt hat. Bei einer Sonderkommission von dieser Größe ist ganz normal, dass sich der ein oder andere Fehler einschleicht. Muss man auf denen wirklich so herumreiten? Das verzögert doch nur alles. Und selbst wenn alle Vernehmungen unverwertbar gewesen wären – es ist doch zu jedem Moment offensichtlich gewesen, wer der Täter ist. Wären sie denn wirklich zufrieden gewesen, wenn sie für den Angeklagten wegen formaler Fehler einen Freispruch erreicht hätten?
Herr Endler entgegnete, man habe “zu keinem Zeitpunkt den Pfad des Angemessenen übertreten”, gerade Polizisten könne man ruhig etwas härter angehen – “die vertragen das schon”. Er fügte hinzu, dass es für eine gelungene Verteidigung essenziell sei, alle Formfehler anzugehen:
Wir vertreten den Grundsatz, dass auch der schlimmste Verbrecher eine gute, engagierte und pflichtbewusste Verteidigung braucht. Es reicht nicht nur, zu wissen wer schuldig ist – es muss ihm auch im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit nachgewiesen werden können. Nehmen wir an, einziger Beweis für einen Verbrechen ist ein Geständnis, das bei der Polizei abgelegt wurde. Es enthält eindeutiges Täterwissen – aber es wurden formale Fehler gemacht und die Aussage darf nicht in der Hauptverhandlung verwendet werden. Dann müsste der Täter freigesprochen werden, obwohl alle wissen, dass er schuldig ist. Sicher wäre das sehr unbefriedigend – aber es wäre auch rechtsstaatlich.
Am 17. Juni werden die Schlussvorträge der Verteidigung zu hören sein. Auf einen Freispruch werden sie nicht plädieren können, bei einer derart offensichtlichen Beweislage und nach dem Geständnis des Mords. Eine lebenslange Freiheitsstrafe ist so gut wie sicher. Wahrscheinlich wird die Verteidigung versuchen, die Anordnung der Sicherheitsverwahrung zu verhindern – aus rechtsstaatlichen Gründen.