Mannheim/Rhein-Neckar, 18. Juni 2014. (red/ms) Emil S. ist angeklagt, die litauische Studentin Gabriele Z. (†20) ermordet zu haben. Außerdem steht er wegen gewaltsamen Übergriffen auf eine Frau aus Speyer und zwei minderjährige Mädchen aus Grünstadt vor Gericht. Am 27. Juni wird das Urteil erwartet. Am Dienstag plädierten die Verteidiger des Angeklagten – und zwar gegen eine Verurteilung wegen Mordes. Von den anderen Tatvorwürfen müsse der Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden.
Von Minh Schredle
Gut dreißig Besucher sind gekommen, um sich die Plädoyers der Verteidiger anzuhören. Rechtsanwalt Maximilian Endler nimmt zu den Tatvorwürfen im Fall Gabriele Z. Stellung, seine Kollegin Inga Berg zu denen aus Grünstadt und Speyer.
Vor etwa einem Monat, am 22. Mai hat der Angeklagte Emil S. gestanden, die litauische Studentin Gabriele Z. getötet zu haben. Er äußerte sich allerdings nicht zu den genauen Umständen. Während die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes forderte, plädierte der Verteidiger des Angeklagten lediglich auf eine Haftstrafe für Raub mit Todesfolge.
Viele wichtige Fragen bleiben offen
Sicher ist, dass Gabriele ihrem Angreifer am 03. Oktober 2013 zwischen 21:45 Uhr und 22:00 Uhr begegnet sein muss und dass sie am Folgetag tot im Gebüsch entdeckt wurde. Emil S. strangulierte sie mit ihrem Schal und ejakulierte auf ihren reglosen Körper. Gabriele Z. erstickte, weil sie zu lange keinen Sauerstoff bekam. Das konnte die Beweisaufnahme zweifelsfrei feststellen.
Aber viele wichtige Fragen bleiben offen: Wie lange hat Emil S. die 20-Jährige stranguliert? Gab es einen Kampf zwischen den beiden? Lebte Gabriele noch, als sich der Angeklagte vor ihrem regungslosen Körper befriedigte? Gab es eine Penetration? All diese Fragen wären für die Urteilsfindung relevant. Allerdings werden sie wohl nie mit Sicherheit beantwortet werden können: So lange der Angeklagte schweigt, muss darüber spekuliert werden.
Die Tat muss schnell abgelaufen sein, denn das Zeitfenster ist knapp: Um 22:21 Uhr kaufte der Angeklagte eine Fahrkarte an einem Automaten im Mannheimer Hauptbahnhof. Der Fußweg vom Tatort bis zum Bahnhof dauert bei normalen Gehen knapp 20 Minuten.
Setzte sich Gabriele zur Wehr?
Die Arbeitskollegen des Angeklagten berichteten im Zeugenstand übereinstimmend, dass Emil S. am Abend der Tat mit einer Fingerverletzung zurück nach Grünstadt kam. Eine Gerichtsmedizinerin, die den Angeklagten nach seiner Festnahme untersuchte, sagte aus, dass eine solche Verletzung von einem Kampf stammen könnte, etwa indem der Finger nach hinten gebogen wird.
Rechtsanwalt Endler schloss daraus, die Verletzung müsse entstanden sein, als Gabriele sich zur Wehr setzte:
Die Gerichtsmedizinerin schilderte, dass bei einer kräftigen Strangulation mit einem Schal die Bewusstlosigkeit binnen weniger Sekunden eintritt. Gabriele hätte also gar keine Zeit gehabt, sich zu wehren, wenn der Angeklagte sie direkt gewürgt hätte. Außerdem würde sie in diesem Fall wohl kaum die Hand des Angreifers attackieren, sondern versuchen, ihre Hand zwischen Hals und Schal zu bekommen.
Demnach habe es einen Kampf geben müssen, bevor Emil S. begann, die Studentin zu strangulieren. Herr Endler rekonstruierte den Tathergang folgendermaßen: Der Angeklagte habe Gabriele mit ihrer Handtasche vorbeilaufen sehen und spontan den Entschluss gefasst, sie zu berauben.
Bei der jungen Frau mit der zierlichen Gestalt habe er aber nicht mit Gegenwehr gerechnet und geglaubt, der Überraschungseffekt reiche aus, um die Handtasche in seinen Besitz zu bringen.
„Tötungs- und Vergewaltigungsabsicht nicht unterstellen!“
Zu diesem Zeitpunkt habe er weder die Absicht gehabt, Gabriele zu töten, noch sich sexuell an ihr zu vergehen. Überraschenderweise sei es ihm dann nicht gelungen, Gabriele ohne Umstände zu berauben. Sie setzte sich zur Wehr, wobei sie seinen Finger verletzte und womöglich schrie.
Herr Endler rekonstruiert die Tat weiter: „Um sie zum Schweigen zu bringen“, habe er dann begonnen sie zu strangulieren. Sekunden später habe die Bewusstlosigkeit eingesetzt. Da Gabriele in diesem Zustand keine offensichtlichen Vitalfunktionen gezeigt habe, habe der Angeklagte die junge Frau für tot gehalten und ihren Körper ins nahe liegende Gebüsch gezerrt. Dort soll er spontan den Entschluss gefasst haben, sich vor dem Anblick der vermeintlich Toten sexuell zu befriedigen. Laut Aussage einer Gerichtsmedizinerin müsse die Sauerstoffzufuhr für etwa zehn Minuten unterbrochen sein, bevor der Erstickungstod eintritt. Angesichts des sehr knappen Zeitfensters, sei es hochwahrscheinlich, dass Gabriele zu diesem Zeitpunkt noch am Leben war, sagt Endler.
Raub mit Todesfolge statt Mord?
Wenn sich der Vorfall so ereignet hat, wäre der Emil S. laut Verteidiger Endler nicht wegen Mordes und sexuellem Missbrauch zu verurteilen, sondern wegen Raubes mit Todesfolge sowie wegen Störung der Totenruhe. Zwar müsse man viel spekulieren – allerdings könne man dem Angeklagten nicht von Anfang an die Absichten unterstellen, die junge Frau zu töten und sich sexuell an dem Opfer zu vergehen, ohne dafür sichere Anhaltspunkte oder Beweise zu haben. Es gelte der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“, sagte er.
Bei einem Mord wirkt sich ein Geständnis nicht schuldmindernd aus – bei einem Raub mit Todesfolge dagegen schon. Das Strafmaß für eine solche Tat bewegt sich zwischen mindestens zehn Jahren Haft und einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Im Fall von Emil S. seien laut Herrn Endler 14 Jahre Freiheitsentzug für die Vergehen an Gabriele Z. angemessen.
14 Jahre Haft sollen angemessen sein?
Vielleicht hatte Emil S. ja wirklich nicht von Anfang an, die Absicht Gabriele Z. zu töten und sich sexuell an ihr zu vergehen. Vielleicht hat er sie tatsächlich schon für tot gehalten, als er sich vor dem regungslosen Körper befriedigte. Darüber kann nur spekuliert werden.
Fakt ist aber, dass der Angeklagte einem gerade mal 20 Jahre alten Mädchen das Leben genommen hat. Dass er sie ins Gebüsch gezogen hat und dort im Dreck liegen gelassen hat, nachdem er auf ihren entblößten Körper ejakulierte. Wie unmenschlich muss ein Raubüberfall mit Todesfolge denn nach der Rechtsauffassung des Verteidigers sein, um das volle Strafmaß und lebenslängliche Haft zu verhängen?
Mangelhafte Beweislast?
Die Rechtsanwältin Inga Berg behauptete, bei dem Vorfall in Speyer sei das einzige Indiz für die Täterschaft des Angeklagten dessen positive DNA-Spur. Das allein dürfe aber für eine Verurteilung nicht ausreichen. Sie verweist auf einen Fall aus Italien. Laut einem Gutachten sei dort ein Mann mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99,999 Prozent für eine DNA-Spur verantwortlich. Der Mann habe allerdings ein wasserdichtes Alibi – er war zu diesem Zeitpunkt schon seit über einem Jahrzent tot.
Die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes gebe ihr Recht, betonte die Rechtsanwältin. Eine DNA-Probe allein reiche nicht für eine Verurteilung. Und außer dieser gäbe es keine stichhaltigen Indizien für die Täterschaft ihres Mandanten.
Berechtigte Zweifel?
Problematisch ist die Argumentation der Anwältin deswegen, weil die DNA-Spuren, die an Gabrieles Leichnam festgestellt wurden mit denen aus Speyer identisch sind.
Frau Berg scheint ebenfalls zu ahnen, dass die Zweifel an der Zuverlässigkeit eines DNA-Gutachtens nicht für einen Freispruch ausreichen werden. Denn sie geht weiter darauf ein, dass es – selbst wenn ihr Mandant der Täter sein sollte – kein versuchter Mord gewesen wäre. Als solchen sieht die Staatsanwaltschaft das Verbrechen an.
Dafür gebe es laut der Verteidigerin aber keine sicheren Anhaltspunkte – dies sei lediglich der subjektive Eindruck der Geschädigten. Der Täter habe zwarsein Opfer mehrmals ins Gesicht geschlagen und einmal versucht ihren Kopf ruckartig zur Seite zu drehen, als wolle er das Genick brechen. Außerdem würgte er sein Opfer durchgehend mit einer Hand. Das habe er aber vermutlich nur getan, um sein Opfer ruhig zu halten. Die Anwältin sagte:
Wenn der Täter wirklich versucht hätte sein Opfer zu ermorden, hätte er beide Hände benutzt, um es zu würgen.
Insofern dürfe man hier nicht wegen versuchten Mordes, sondern lediglich wegen eines Raubes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung verurteilen. Sie fügte anschließend noch hinzu, dass dies aber alles nur „Hilfshypothesen“ seien, da man ihren Mandantan aus Mangel an eindeutigen Beweisen frei sprechen müsse.
„Auch bei dem Vorfall in Grünstadt muss freigesprochen werden“
Ähnlich sei das bei dem Tatvorwurf, die beiden minderjährigen Mädchen in Grünstadt überfallen zu haben. Hier habe nicht einmal der DNA-Test ein verlässliches Ergebnis geliefert. Die beiden Mädchen schilderten im Zeugenstand, der Angreifer habe ihnen auf Deutsch zugesprochen:
Es ist alles gut. Wir sind Kollegen.
Das passe überhaupt nicht auf den Angeklagten – weil dieser kein Deutsch sprechen könne, wie man eindeutig aus der Vernehmung eines Polizisten entnehmen haben könne. Die beiden Opfer konnten den Angeklagten nicht mit absoluter Gewissheit als Täter identifizieren: Bei einer Lichtbildvorlage bekamen die beiden unabhängig von einander acht Bilder vorgelegt. Beide zeigten auf Emil S., als sie gefragt wurden, ob sie eine der Personen als Täter wiedererkennen. Einmal mit einer Sicherheit von 50 Prozent und einmal mit einer Sicherheit von 80 Prozent.
Ergebnisse der Lichtbildvorlage wertlos
Diese Lichtbildvorlage habe aber laut der Verteidigerin absolut keinen Beweiswert. Die Mädchen gaben eine Täterbeschreibung ab, die als einzig auffälliges Merkmal einen markanten Schnurbart beinhaltete. Von den acht Personen, die bei der Lichtbildvorlage gezeigt wurden, habe lediglich der Angeklagte einen markanten Schnurbart gehabt – somit sei von vornherein klar gewesen, dass er als Täter benannt wird.
In der Mülltonne vor der Wohnung des Angeklagten wurden private Gegenstände der Opfer gefunden. Allerdings sei auch das höchstens ein Indiz:
Wie die Beweisaufnahme ergab werden diese Mülltonnen nicht nur von allen Mitbewohnern des Hauses, sondern auch von einem angrenzenden Restaurant genutzt. Außerdem wird der Hof, in dem sich die Mülltonnen befinden, nicht abgeschlossen, somit sind diese jedermann zugänglich.
Es klingt abwegig. Aber zumindest theoretisch ist halbwegs denkbar, dass ein Mann, der dem Angeklagten zum Verwechseln ähnlich sieht, in den Hof eingedrungen ist, um dort einen Sack voll mit privaten Gegenständen der Opfer zu entsorgen. Aber selbst wenn dieses ziemlich absurde Szenario der Wahrheit entsprechen sollte – wie konnte die Polizei in einem Schrank des Angeklagten eine Speicherkarte finden, die einem der Opfer gehört?
Diese Frage kann die Verteidigerin nicht plausibel beantworten. Dennoch folgert sie:
In beiden Fällen konnte die Beweisaufnahme die Täterschaft nicht mit der Sicherheit nachweisen, die für eine Verurteilung notwendig ist. Hier muss der Angeklagte also freigesprochen werden.
Nach Ansicht der Verteidigung könnte der Angeklagte somit nur für die Vergehen gegen Gabriele Z. verurteilt werden. Damit würde laut Herrn Endler auch die Grundlage für eine Anordnung der Sicherheitsverwahrung fehlen.
Letzte Worte: „Ich bereue alles“
Als der vorsitzende Richter Dr. Ulrich Meinerzhagen den Angeklagten nach seinen letzten Worten fragt, antwortet dieser:
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bereue es. Ich bereue alles.
Der Richter sieht gespannt auf. Was hat „alles“ zu bedeuten? Meint der Angeklagte vielleicht auch seine bereits verbüßten Verbrechen aus Bulgarien? Oder dass er einer jungen Frau das Leben unter diesen Umständen genommen hat? Oder ist es ein Hinweis auf seine Täterschaft in Grünstadt und Speyer?
Richter Meinerzhagen fragt nach, ob der Angeklagte dem noch etwas hinzuzufügen hat. Aber der antwortet nur mit:
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Vielleicht hat der Angeklagte mit diesen letzten Worten eine große Chance vergeben. Wenn er wirklich aufrichtiges Bedauern zum Ausdruck hätte bringen wollen, hätte er lange genug Zeit gehabt, sich etwas mehr als diese drei aussageschwachen Phrasen auszudenken. So wirkt seine angebliche Reue nicht sonderlich überzeugend.
Urteil am 27. Juni
Dass er von den Tatvorwürfen in Grünstadt und Speyer freigesprochen wird, erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Wenn bei Richter Meinerzhagen noch Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen würden, hätte er wohl kaum die Beweisaufnahme wohl kaum früher als in der Planung vorgesehen beendet. Entlastende Umstände gibt es kaum.
Möglich ist, dass Emil S. nicht wegen Mordes verurteilt wird. Die genauen Umstände der Tat konnten nicht geklärt werden, somit könnte zu Gunsten des Angeklagten von einem Raub mit Todesfolge ausgegangen werden. Wenn das allerdings eine lebenslange Freiheitsstrafe verhindern würde, würde mich das sehr verwundern. Das Urteil wird am 27. Juni um 13:00 Uhr verkündet. Bis dahin pausiert der Prozess.