Mannheim, 26. März 2015. (red/cb) Im Rahmen des zweiten Bürgerbühnenfestivals präsentierte das Schauspiel Köln am Dienstagabend die Produktion „Die Lücke“. Im Jahr 2004 explodierte in der Keupstraße im Kölner Stadtteil Mühlheim eine Nagelbombe. Durchgeführt wurde dieser Anschlag, wie sich 2011 herausstellte, von dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Jahrelang wurden die Täter aber im Kreis der eigentlichen Opfer gesucht.
Von Carolin Beez
Es ist der 09. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln. Vor dem Friseursalon „Özcan“ wird ein Fahrrad abgestellt. 15:50 Uhr: Ein lauter Knall. Schaufenster zerspringen. Menschen beginnen zu schreien. Nägel schießen durch die Straße, die Autos und die Menschen. Im ersten Moment weiß keiner ,was passiert ist, viele denken, es wäre eine Gasleitung wäre explodiert. Dann sehen sie den Rauch, die Verletzten und das Blut.
Auf einmal wird ihnen klar, dass es eine Bombe gewesen sein muss. Fragen gehen ihnen durch den Kopf: Wird es noch eine Explosion geben? Ist noch irgendwo eine Bombe versteckt? Sind meine Kinder, meine Frau, mein Mann unverletzt? Wer war das? Warum tut jemand so etwas? Die Menschen der Keupstraße hatten Panik und Angst. 22 Menschen wurden unvermittelt verletzt, vier davon schwer. Ein unglaubliches Szenario, wie aus einem Horrorfilm, spielte sich hier ab.
Es geht nicht nur um die Bombe
Aber in „Die Lücke“ möchte Nuran David Calis, der Regisseur und Autor kein Drama mit einer Nagelbombe darstellen. Stattdessen macht er sich darüber Gedanken, wie es dazu kommen konnte, dass die Opfer des Anschlages sieben Jahre lang für die Täter gehalten wurden.
Er versucht ein Bild davon zu kreieren, welche Abgründe oder welche Lücken sich in unserer Gesellschaft befinden, die zu homophoben und fremdenfeindlichen Verhalten führen.
Auf der Bühne stehen zwei halboffene Kästen. Man könnte sie zusammenschieben und es ergäbe sich ein großer Raum. Doch das macht keiner. Stattdessen stehen die beiden Kästen einen Meter auseinander.
Es zeigt sich ein metaphorisches Bild unserer Gesellschaft und auch dieses Theaterstücks. Zahllose Fragen, aber auch angedeutete Antworten. Viel Trauer und doch auch etwas Hoffnung steckt in dieser Lücke zwischen den beiden Räumen.
In jedem Kasten sitzen jeweils drei Menschen. Die drei Schauspieler auf der linken Seite – Simon Kirsch, Thomas Müller und Annika Schilling – tragen Business Outfits, Anzug, Krawatte, gedeckte Farben. Laut und von oben herab unterhalten sie sich über die Keupstraße, die insgeheim als das Zentrum des türkischen Geschäftslebens in Köln Mühlheim bekannt ist.
Besonders realitätsnah – Türken aus der Keupstraße
Sie diskutieren darüber, wie schwer es für sie – dem typisch deutschen Mittelstand – sei, mit den Menschen von dort, sprich den Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, in Kontakt zu kommen. Man merkt deutlich, dass sie sich zu fein dafür sind, mit den Menschen auf der anderen Seite der Lücke zu kommunizieren.
Auf der anderen Seite, sitzen die drei türkischstämmigen Anwohner Ismet Büyük, Kutlu Yurtseven und Ayfer Sentürk Demir, zwei Männer und eine Frau. Alle tragen ihre Alltagskleidung, die Frau ein rosa Kopftuch. Alle drei sind keine ausgebildeten Schauspieler. Sie kommen aus der Keupstraße.
Die Konstellation aus Profis und Laien gibt dem Stück einen besonderen, realitätsnahen Charme. In insgesamt 18 Szenen wechseln sich improvisiert wirkende Diskussionen zwischen den Darstellern mit anderen, tiefgründigen Passagen ab. Die Themen: Sexualmoral, Frauenemanzipation, Religionsfreiheit und Gerechtigkeit. Nuran David Calis verlangt von seinen Zuschauern unentwegt eine Position zu beziehen ohne sich selbst dabei für eine Seite zu entscheiden.
Angst und Misstrauen
Nuran David Calis sprach im Vorfeld mit vielen Menschen, die in der Keupstraße lebten und arbeiteten. Er wollte wissen, wie sie einen solchen Anschlag und die Zeit danach empfunden haben.
Doch immer wieder wurde er daran gehindert, wenn Menschen aus Angst oder Misstrauen nicht mit ihm sprechen wollten. Erst nach vielen Jahren erfuhr er den Grund dafür und bekam viele verschiedene Geschichten zu hören.
Nach dem Anschlag begannen in der Keupstraße die Ermittlungen der Polizei. Dabei wurden, obwohl es in den Jahren vor dem Attentat immer wieder Anschläge auf ausländische Ladenbesitzer in Deutschland gegeben hätte, ein rechtsterroristischer Hintergrund schon nach kurzer Zeit „kategorisch“ ausgeschlossen. Stattdessen gerieten die Anwohner selbst in das Visier der Polizisten – wie wurden verhört und überwacht.
Die Polizei bekam keine Namen von Verdächtigten aus der Keupstraße, denn es gab keine. Wir waren uns von Anfang an sicher, dass es Nazis gewesen sind. Keiner aus der Keupstraße würde seine eigene Familie und seine Freunde dermaßen in Gefahr bringen,
sagt einer der Betroffenen. Doch als er das der Polizei mitteile, habe der Polizist ihm gedroht.
2011, erst sieben Jahre nach dem Terroranschlag, stellte sich heraus, dass die Nagelbombe von den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auf dem Gepäckträger eines Fahrrades deponiert wurde. Beweismittel dafür lieferte eine Überwachungskamera, durch die der Vorgang aufgezeichnet wurde.
Außerdem wurden zwei Polizisten befragt, die in dem Gebiet Streife fuhren. Das geschah allerdings erst im Jahr 2013. Der Prozess des Attentats läuft zur Zeit am Oberlandesgericht in München – 11 Jahre nach dem Attentat.
Einer der Augenzeugen berichtet, dass er durch die Bombe am Ohr verletzt wurde. Doch er traute sich nicht mehr zum Arzt. Er war einer der Zeugen, der alles mitansah, äußerlich jedoch kaum verletzt wurde. Genau deshalb wurde er von der Polizei zum Hauptverdächtigen und wollte keine Aufmerksamkeit erregen, erzählt er.
Deutliche Fassungslosigkeit
Die Betroffenen auf der Bühne zeigen ihre Fassungslosigkeit deutlich. Warum hat ihnen niemand geglaubt, als sie damals sagten, dass sie es nicht waren? Wie kann es sein, dass unschuldige Geschäftsleute niedergeschossen werden und ihr Umfeld beschuldigt wird? Wie kann es sein, dass, obwohl es die Beweise gab, erst nach vielen Jahren später weiter ermittelt wird?
Es ist ein Stück, dass den Zuschauern nahe geht, weil es sich darin wiederfinden kann. Jeder von ihnen hat schon ähnliche – vermutlich unbewusst – fremdenfeindliche Situationen erlebt – ob als Opfer oder Beobachter. In dem Theaterstück „Die Lücke“ können sie über sich selbst sowohl lachen als auch entsetzt den Kopf schütteln und gehen zum Schluss vermutlich ein wenig beschämt aus dem Theatersaal.
Basis auf Fakten nicht auf Phantasie
Der Regisseur arbeitet hier nicht mit seiner Phantasie, sondern orentiert sich an Fakten, die das Leben geschrieben hat. Er zeigt Schicksale von Menschen, die eine Zeit der Entfremdung und des Terrors durchlebt haben und bringt das auf eine echte, teilweise improvisierte und trotzdem tiefgründige Art und Weise auf die Bühne.
Zum Schluss versteht der Zuschauer besser, wie kränkend das Nachspiel des Anschlags wirklich war. Wie tief der Rassismus in dem Rechtsstaat sitzt, den er selbst doch als demokratisch und multikulturell beschreiben würde.
Und es gibt lauten, nicht enden wollenden Applaus von den Zuschauern. Einige Besucher pfeifen laut – wie auf einem Rockkonzert.
Fünf Mal müssen die Darsteller auf die Bühne kommen, bis das Publikum sie entlässt.
Nationaltheater Manheim | ||||||||||||||
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