Mannheim, 16. Juni 2015. (red/ms) Wieder einmal Schillertage, wieder einmal „Die Räuber“ zur Eröffnung – diesmal unter der Regie des Spaniers Calixto Bieito, der das Stück in weniger als zwei Stunden abhandelt. Dabei hat seine Inszenierung das Potenzial, herausragend zu sein. Visuell ist es ein Augenschmaus. Doch das letzte bisschen zur Brillianz fehlte, weil die vielen guten Ansätze oft nicht angemessenen entfaltet wurden.
Von Minh Schredle
Sie schreiten durch Nebelschwaden. Das gleißend-weiße Scheinwerferlicht im Hintergrund macht ihre Körper zu schwarzen, schemenhaften Silhoutten. Die Räuber stürmen das Schloss. Und sie sind keine heruntergekommen Gauner in verissenen Klamotten. Sie tragen Anzug und Krawatte.

Visuell ist die Inszenierung sehr stark. Foto: Nationaltheater Mannheim/Hans Jörg Michel.
Am vergangenen Freitag eröffneten die 18. Internationalen Schillertage – auch im Jahr 2015 wieder einmal im ausverkauften Schauspielhaus mit einer Premiere von Schillers „Die Räuber“, uraufgeführt am 13. Januar 1782 im Mannheimer Nationaltheater. Diesmal ist der Spanier Calixto Bieito für die Inszenierung verantwortlich – und setzt auf aufwändigen Minimalismus voller Kontraste und Symbolik.
Ungenutztes Potenzial
Die spärliche Beleuchtung nimmt der Bühne ihre Farben. Sie schafft viel weiß, viel schwarz und noch mehr grau. Das Bühnenbild ist schlicht, aber ausdrucksstark: Das Schloss der Adelsfamilie von Moor wird dargestellt durch eine einfache weiße Hütte.

Das Schloss der Familie Moor ist gleichzeitig offen und geschlossen. Foto: Nationaltheater Mannheim/Hans Jörg Michel.
Nicht einmal zwei Stunden lang dauert die Aufführung. Viel wird ausgespart und nicht immer ist es leicht der Handlung zu folgen. Ohne Kenntnis des Originals würde man vermutlich kaum etwas verstehen. Ohne Kenntnis des Originals würde man vermutlich aber auch kaum die Vorstellung besuchen.
Beim Publikum sorgte das Stück für gemischte Gefühle. Einige waren sehr angetan, andere überhaupt nicht. Vor allem dürfte die Darstellung der Räuberbande polarisiert haben: Der eigentlich sehr komplexe Charakter Moritz Spielberg (Boris Koneczny) wird geradezu plump auf einen recht beliebigen Geistesgestörten ohne jeglichen Wiedererkennungswert reduziert. Auch die anderen Räuber bleiben gesichtslos und fallen höchstens durch plakativ wahnsinniges Gelächter auf, aber zu keinem Zeitpunkt durch charakterlichen Tiefgang.
Facettenreich und vielschichtig wird dagegen der Intrigant Franz von Moor verkörpert – Darsteller Sascha Tuxhorn lieferte hier in meinen Augen die beste Leistung des Abends ab.
Oft verkürzt
Die Figur wird in Bieitos Inszenierung stark in den Fokus gerückt: Der zweitgeborene Grafensohn Franz will seinem Bruder Karl um das Familienerbe bringen. Franz ist ein Getriebener, der sich von der Natur benachteiligt sieht und sein Handeln durch die Umstände, unter denen er zu leiden hat, rechtfertigen will.
Tuxhorn spielt mit Pathos, aber nicht pathetisch. Sein Stimmeinsatz ist intensiv, aber nicht übertrieben. Seine Figur, Franz von Moor, ist in Schillers Werk gleichzeitig Täter und Opfer – Tuxhorn gelingt es, diese Dualität darzustellen, ohne dass dabei allzusehr für eine der beiden Seiten Partei ergriffen wird.

Bieito lässt es auf der Bühne regnen, während Franz von der verlobten seines Bruders Amalia (Katharina Hauter) zurückgewiesen wird. Foto: Nationaltheater Mannheim/Hans Jörg Michel.
Sein Bruder Karl (David Müller), der durch Intrigen getäuscht den Glauben an Recht und Ordnung verliert, will jetzt ungehemmt „Freiheiten“ ausleben -was schnell zu grausamen Untaten führt und erst recht keinen Weg zur „wahren Gerechtigkeit“ eröffnet.
Leider wurde seine Wandlung vom rebellischen, aber im Grunde harmlosen Heranwachsenden zum gewissenlosen und brandschatzenden Mörder in wenigen Minuten abgehandelt und wirkte so nur wenig glaubwürdig und schon gar nicht nachvollziehbar.
Starke Symbolik
Die Stärken der Inszenierung lagen in der eindrucksvollen visuellen Aufbereitung voller Symbolbilder. Zwischenzeitlich werden beispielsweise immer wieder Projektionen an die Rückwand des Theaters geworfen, die ein Rehkitz zeigen. Mit dem Fortschreiten der Handlung wird das Tier – als Sinnbild für die Unschuld – geschlachtet und ausgenommen.
Metaphern und Allegorien wie diese eröffnen interessante Möglichkeiten, Schillers Motive in die Moderne zu übertragen, ohne abgedroschen oder altbacken zu wiken. Der schmale Grad zwischen Freiheit und Zügellosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle, Überschwang und Größenwahn, Verblendung und Enttäuschung, Sehnsucht und Wahnsinn – all das ist Bieitos Inszenierung inbegriffen.
Die schauspielerischen Leistungen sind überwiegend mehr als solide, aber – abgesehen von Tuxhorn als Franz – fehlt das letzte Bisschen, um wirklich brilliant zu sein. Insgesamt ist das Stück gut und gelungen – es leidet aber stark unter dem Eindruck, dass noch sehr viel mehr drin gewesen wäre, wenn man sich ein bisschen mehr Zeit nehmen würde. So sind viele exzellente Ansätze vorhanden, die nicht angemessen entfaltet werden.

Rein optisch hat Bieito Inszenierung der Räuber viel zu bieten – allerdings wird die Handlung an einigen Stellen so stark verdichtet, dass die Entwicklung der eigentlich sehr komplexen Charakter oft zu kurz kommt. Foto: Nationaltheater Mannheim/Hans Jörg Michel.