
Hier lebte Emil S. seit etwa April 2013 in einer herruntergekommen Arbeiterwohnung. Das mittlere Bett war seins. Dahinter hat er Partybilder und „kleine Kränze“ an der Wand drappiert.
Mannheim/Grünstadt/Rhein-Neckar, 20. Oktober 2013. (red/pro) Die Menschen in der Region können aufatmen. Die Polizei hat den mutmaßlichen Mörder von Gabriele Z. gefasst. Vor allem in Mannheim ging die Angst um. Wie sich sich jetzt herausstellte, hat der 40-jährige Bauarbeiter auch Frauen in Speyer und Grünstadt angegriffen. Ob weitere Überfälle auf Frauen festgestellt werden müssen, werden die kriminalpolizeilichen Ermittlungen in den kommenden Tagen ergeben. Der tatverdächtige Mann lebte ein Leben am Rand der Gesellschaft und wird von der Polizei als „sehr, sehr gefährlicher Sexualstraftäter“ beschrieben.
Von Hardy Prothmann
(Sie lesen hier einen Vor-Ort-Reportage mit Bezügen auf frühere Berichte. Diese finden Sie am Ende des Artikels und als Suche hier. Zu den polizeilichen und staatsanwaltlichen Angaben lesen Sie bitte diesen Artikel.)
Vorne liegt eine Spielhölle, hinten ein „Restaurant“, dazwischen ein schmudelliger Treppenaufgang. Im Hof steht ein „fetter“ 350-er Mercedes. Das Treppenhaus ist heruntergekommen. Auf der Treppe zum zweiten Stock stehen rund ein Dutzend klobige Schuhe. Erdverkrustet.
Zwei Betten und ein Bettsofa stehen in dem 25 Quadratmeter großen Zimmer. Dazu zwei ausgediente Sofas und ein Tisch. Überall liegen Klamotten rum. Nichts ist schön hier. Es gibt keinen Schrank, nur ein zwei kleine Kommoden. Alles ist trist und freudlos. Drei Männer wohnen in diesem Zimmer. Im ganzen Haus eine Kolonne von Arbeitern – vor allem Bulgaren und Kurden, aber auch Deutsche.
Nur an der Wand hängen zwei „Gestecke“ – hier hat sich jemand Mühe gegeben. Unter den Gestecken sind Eintrittskarten zur Kaiserlauterner „Nachtschicht“ – einem Nachtclub. Am 05. Oktober wurde hier die „verbotene Früchte“-Party gefeiert. Auf der Facebook-Seite des Nachtclubs sind viele Mädchen zu sehen – viele davon reichlich sexistisch dargestellt und auf den Körper reduziert. „Frei zum Abschuss“. Auch „School out“-Partys werden hier gefeiert. Motto: Party, Alkohol, willige Weiber zum Abschleppen. War Emil S. Gast in der Disco, nachdem er in der Nacht zuvor Gabriele Z. gegen 22:00 Uhr brutal umgebracht und sexuell missbraucht hatte? Suchte er hier neue Opfer? Haben ihn solche Darstellungen von freizügigen Frauen zur Mordlust getrieben?
Muskulöser Oberkörper – kaputte Hände
Einer der Bauarbeiter, die hier zusammengepfercht leben, erzählt, dass Emil S. in Bulgarien mehrere Jahre geboxt habe. „Der hat echt einen krass-muskulösen Oberkörper mit Riesen-Bizeps“, sagt der Mann, der aus Norddeutschland kommt und hier mit dem 40-jährigen Bulgaren, der rund 1,70-1,75 Meter groß ist, zusammengewohnt hat.
Er ist komplett erschüttert: „Dass der das Mädchen umgebracht hat – und ich habe hier mit dem Mörder gewohnt“, sagte er und meint: „Der war immer ganz ruhig. Ab und zu sind wir spazieren gegangen. Wir können ja sonst hier auf Arbeit nichts anderes tun, kennen keinen Menschen. Zu mir war er immer hilfsbereit und hat sich gekümmert. Nur reden war schlecht, denn er konnte kaum deutsch.“
Auffällig seien seine Hände gewesen: „Einen Finger konnte er nicht mehr bewegen, der war irgendwie nach innen geklappt. Ein anderer kleiner Finger stand im rechten Winkel ab und nachdem ich hier am 05. Oktober angekommen bin, habe ich am Montag gesehen, dass er einen ausgekugelten Zeigefinger hatte. Warum, hat er nicht gesagt.“ Möglicherweise hat er sich beim Mord an Gabriele Z. verletzt.
Sah aus wie ein Rumstreicher – trotz feiner Klamotten
Die Polizei hat die Habseligkeiten des mutmaßlichen Täters mitgenommen. Viel war es nicht. „Er trug immer ‚feine Markensachen'“, sagt der Mann: „Das nütze aber nicht viel, er sah trotzdem aus wie ein Rumstreicher.“
Klar ist, dass die Beschreibung der 48-jährigen, die der mutmaßliche Täter am 10. August in Speyer überfallen hatte, eine falsche Täterbeschreibung geliefert hatte. Sie beschrieb ihn als gepflegt, rund 30 Jahre alt und etwa 1,80 Meter groß. Nur das Detail mit dem „Blaumann“ dürfte stimmen. Denn Blaumänner, also Arbeitskleidung“ gibt es in der Wohnung. Beim Angriff verlor die Frau, die schlecht sieht, ihre Brille.
Zeugen Jehovas-Heft: „Die Gewalt muss ein Ende haben.“
Die Polizei hat einen Teil seiner Kleidung nicht mitgenommen – auch nicht mehrere Hefte, die vermutlich die bulgarischen Ausgaben von Magazinen der Zeugen Jehovas sind: „Leute, wacht auf“ oder „Erwachtet“ ist der Titel das Magazins. Neben einem weiblichen Opfer und einem Mann, der die Frau gerade überfallen hat, steht: „Leute, die Gewalt muss ein Ende haben.“
Warum hatte Emil S. diese Hefte bei sich? War er Mitglied der Sekte? Oder plagten ihn Gewissensbisse? Hat ihm jemand, der von seinen „sexuellen Gewaltneigungen“ wusste oder etwas ahnte, die Hefte geschickt? Die Hefte im DIN-A5-Format sind geknickt, so, als seien sie mit der Post geschickt worden. Die Bibel, ebenfalls eine Ausgabe der Zeugen Jehovas (Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift) ist ungelesen. Darin ein grausiges Bild von einem dornengekrönten Jesus. Frisch eingeschweißt in Folie. War er Christ? „Ich glaube, der war Moslem“, meint der Arbeitskollege: „Ab und zu hat er ein Bier getrunken, aber nicht viel.“
Laut Polizei hat der Mann bereits in Bulgarien mehrere Jahre im Gefängnis gesessen. Wegen welcher Taten wurde nicht mitgeteilt. Hat er dort auch schon Frauen und Mädchen überfallen?
Der Bulgare türkischer Abstammung, den andere Ercan nannten, soll Frau und zwei Kinder in Bulgarien haben. „Vor ein paar Tagen hat er noch mit seiner Tochter telefoniert. Mit einem LG-Handy“, erfahren wir vor Ort. Hat ihn die Polizei deshalb geschnappt? War er so unvorsichtig, die Sim-Karte von Gabriele Z. zu benutzen? Konnte er deshalb geortet werden?
Draußen vor dem Haus und in der Spielhalle sammeln sich schnell Männer, die mich und meine Kollegin misstrauisch beäugen. Wer sind wir? Polizei? Was wollen wir hier? Die Polizei war doch erst gestern da?
Mindestens drei Opfer – zwei hatten Glück und haben überlebt
Bis Freitag hatte die Polizei zwar eine Verbindung zum Fall in Speyer – dass der Mann aber drei Tage zuvor, am frühen Donnerstagabend, zwei 13 und 17 Jahre alte Mädchen in Grünstadt überfallen hat, stellte sich erst nach der Festnahme am Samstag gegen 17 Uhr fest. Unter den sichergestellten Beweisstücken fanden die Beamten auch Speichermedien, die der 17-Jährigen gehören und damit eine Verbindung zu diesem Überfall.
Der Täter soll die Mädchen in der Unterführung des Grünstadter Bahnhofs in die Arme genommen und Richtung eines verwahrlosten Ausgangs gedrängt haben. Die 17-Jährige hatte wohl an eine Schere bei sich und wehrte sich gegen den Mann, der dabei leicht verletzt worden sein soll – zumindest hat die Polizei Verletzungen an dessen Körper festgestellt, die davon herrühren könnten. Wie die 48-Jährige konnte sich das Mädchen erfolgreich wehren. Gabriele Z. hatte keine Chance.
Die Handtasche des Mädchens in Grünstadt hat er geraubt, Handy und Bargeld an sich genommen. Die blaue Jeanstasche mit den Papieren des Mädchens, Schminkutensilien und Geldbeutel stopfte er zusammen mit Müll in eine Einkaufstüte von „Kaufland“ und diese in die Mülltonne vor der „Wohnung“. Die 17-jährige hatte einen Organspender-Ausweis bei sich sowie eine Informationskarte der Polizei Rheinland-Pfalz „Gemeinsam gegen Gewalt“.
(Anm. d. Red.: Danke an unsere Leser/innen, die uns nach unserem Facebook-Aufruf bei der Übersetzung geholfen haben.)

„Forbidden Fruits“ – verbotene Früchte, war der Titel der Party in der Kaiserslauterner Nachtschicht.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnhofs sind verwilderte Wege – wollte Emil S. hier die 17-Jährige ermorden? Der Tatort liegt 400 Meter von seiner Bleibe entfernt.

Diese Zeitschrift der Zeugen Jehovas fordert ein Ende der Gewalt – auf dem Foto ist ein weibliches Opfer zu erkennen, dahinter ein Täter, der wegläuft.

Diese ungelesene Bibel war auch im Besitz des mutmaßlichen Mörders – dazu ein gruseliges Jesus-Bild. Wusste jemand von seinen sexuellen Obzessionen und hat versucht, ihn zu bekehren?