Mannheim, 13. Mai 2014. (red/ld) Rund die Hälfte der Einwohner Mannheims beteiligen sich nicht an der Stadtpolitik, hat der Mannheimer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Jan van Deth herausgefunden. Mit Zufriedenheit hat diese Enthaltung nicht unbedingt zu tun, sagt er. Wie man Menschen dazu bringt sich zu beteiligen, diskutierte er am Donnerstag auf Einladung des Sozialdemokratischen Bildungsvereins mit ca. 35 Interessierten im Jüdischen Gemeindezentrum.
Von Lydia Dartsch
Wie gut es Mannheims Politik geht und wie zufrieden die Menschen mit der Stadtpolitik sind, hat Prof. Jan van Deth bereits im vergangenen Jahr in seinem Demokratie-Audit vorgestellt: Es gibt viele Möglichkeiten, sich einzubringen und rund die Hälfte der Mannheimer Bürger/innen beteiligen sich an Unterschriftenaktionen, Demonstrationen, mit Leserbriefen oder sogar durch die Mitarbeit in einer Bürgerinitiative oder Partei, geht aus seinem 107 Seiten dicken Bericht hervor.
Am interessantesten sei die Gruppe der Menschen, die sich nicht beteiligt, sagt Prof. van Deth, als er am Donnerstagabend die Diskussionsrunde in der Jüdischen Gemeinde eröffnet. Diese Menschen weisen eine Kombination der Merkmale aus jung, niedrig gebildet, nicht in Vereinen organisiert und Migrationshintergrund aus. “Wir wurden nicht gefragt”, sei die häufigste Antwort derjenigen gewesen, die er und sein Team für die Untersuchung befragt hatten.
Rund 35 Besucher sind am Donnerstagabend in die jüdische Gemeinde gekommen, um zu diskutieren, wie man Menschen in verschiedenen Situationen dazu bringt, politisch aktiv zu werden. Die Diskussionen zu Partizipation von Jugendlichen, Menschen mit Migrationshintergrund, in Betrieben und Partizipation auf einer sprachlichen Ebene finden parallel an Gruppentischen statt.
Die Diskussion zur Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund wird geleitet von Petar Drakul, SPD-Gemeinderatskandidat und Sprecher des Neuinländerstammtisches. Die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Heidrun Kämper (SPD), die ebenfalls für den Gemeinderat kandidiert, leitet die Gruppe, die darüber sprach, worauf die heutige Beteiligungskultur aufbaut. Klaus Stein von der IG-Metall Mannheim diskutierte über politische Teilhabe in Betrieben und Wolfgang Berger, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, sprach mit den Besuchern über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.
“Informationsdurst über Strukturen wird kaum gestillt”
Am Diskussionstisch von Petar Drakul scheint der in Heilbronn geborene Politiker interessanterweise der einzige zu sein, der als Sohn jugoslawischer Einwanderer einen Migrationshintergrund hat. Doch die Besucher an diesem Tisch diskutieren rege darüber, wie man Menschen besser ansprechen kann. Der Informationsbedarf, wie man sich beteiligen kann, sei “ungeheuerlich groß”, sagt ein Besucher von seinen Erfahrungen mit den Teilnehmern von muttersprachlichem Unterricht. Dieser werde aber nur selten befriedigt: “Da hört man dann: Ich bin beim Jobcenter angemeldet. Da kann ich doch keinen Verein gründen”, sagt er.
Eine Besucherin spricht die Vereine im Jungbusch an, in deren Arbeit man auf die Mitglieder zugehen, ihnen Möglichkeiten aufzeigen kann, ihre Interessen zu vertreten und ihre Situation zu verbessern. Eine andere Besucherin schlägt vor, Kinder und Eltern im Schulunterricht zum Mitmachen aufzufordern und die demokratischen Vorgänge in der Stadt bereits dort zu erklären. Dort fehle häufig der Überblick über die Strukturen in der Stadtverwaltung, sagt sie.
Buntere Verwaltung könnte Vertrauen schaffen
“Brauchen wir eine buntere Verwaltung?”, fragt Petar Drakul und meint damit, dass man auf den Ämtern stärker darauf achten sollte, Menschen unterschiedlicher Herkunft einzustellen. Auch dieser Vorschlag findet Zustimmung bei den Diskutanten: So könne man mehr Vertrauen in die Verwaltung herstellen und Enttäuschung abbauen, wenn man mit einem Vorhaben dennoch scheitert, sagt eine Besucherin: “Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Migrant/innen zum Teil frustriert reagieren und sich diskriminiert fühlen, wenn etwas nicht klappt”, sagt sie. Als weitere Möglichkeit nennen die Teilnehmer, das Quartiermanagement besser auszustatten und zu professionalisieren.
Um Jugendliche stärker zu beteiligen, sei es wichtig, Jugendliche als Multiplikatoren zu gewinnen, die deren Freunde und Altersgenossen ansprechen und einladen, mitzumachen, sagt Wolfgang Berger. Dass das politische Interesse aber abnehme, wie er vermutet, kann Prof. van Deth nicht bestätigen: “Die Arten der Beteiligung haben sich geändert”, sagt er und zählt Protestformen wie Urban Gardening und Flashmobs auf. Wahlbeteiligung sei kein guter Indikator für politisches Interesse.
“Alle sollten sich beteiligen können, nicht müssen”
Dagegen sei die demokratische Beteiligung in den Betrieben sehr hoch, berichtet Klaus Stein nach den Diskussionsgruppen von seinem Tisch: Es gebe einen sehr großen Anteil junger Funktionärinnen, sagt er. Zudem seien die Mitgliederzahlen der IG Metall steigend. Letztlich gelte jedoch, dass die Beteiligung umso stärker ist, je konkreter das Thema und je direkter die Ansprache sei, sagt er.
“Sind Demokratien nur dann gut, wenn alle Menschen, sich einbringen?”, fragt der Moderator des Abends Dr. Bernhard Boll, der die Bürgerinitiative 48er Platz gegründet hat. Die Antwort von Prof. van Deth ist eindeutig: “Nein!” Wer sich nicht beteiligen will, sollte es nicht müssen. Es gehe vor allem darum, die Hürden für demokratische Beteiligung abzubauen.