Rhein-Neckar, 09. April 2014. (red/ms) Die Stimmenvergabe bei einer Kommunalwahl ist wesentlich komplexer als etwa bei der Bundestagswahl: Ein Mannheimer darf zum Beispiel 48 Kreuze machen, muss sich dabei aber an bestimmte Vorgaben halten. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass Bürger besonders präzise für genau diejenigen Vertreter stimmen können, die ihnen am besten geeignet erscheinen – allerdings gehen wegen des komplizierten Systems bei jeder Kommunalwahl landesweit mehrere 100.000 Stimmen verloren. Mancher Wähler gibt sogar Stimmen an die „falschen“ Bewerber, weil man nicht verstanden hat, wie es funktioniert. Dieser Artikel soll helfen, eventuelle Unklarheiten zu beseitigen.
Von Minh Schredle
Die Regelungen zu Gemeinderatswahlen sind von Bundesland zu Bundesland teilweise stark unterschiedlich: Im benachbarten Bayern dauert eine Wahlperiode beispielsweise sechs Jahre und nur Volljährige haben ein Wahlrecht.
In Baden-Württemberg dauert eine Periode nur fünf Jahre. Außerdem wurde am 11. April 2013 vom Landtag beschlossen: Bei Kommunalwahlen können künftig auch schon 16- und 17-Jährige abstimmen. Das ist nicht der einzige Unterschied zur Bundestagswahl: Denn nicht nur deutsche Staatsbürger haben auf kommunaler Ebene ein Stimmrecht. Alle Bürger der EU, die seit mindestens drei Monaten in einer Ortschaft wohnen, dürfen wählen.
Mehr als vier Million nicht am Ortsgeschehen interessiert?
Ganz gerecht ist diese Regelung nicht: In Mannheim wird so zum Beispiel der größten Gruppe ohne deutsche Staatsangehörigkeit, den knapp 20.000 Türken, die Möglichkeit genommen, sich an der kommunalen Demokratie zu beteiligen.
In Baden-Württemberg gibt es rund 8,5 Million Wahlberechtigte, darunter 600.000 EU-Bürger. Sie haben die Chance, das Geschehen vor Ort mitzugestalten. Auf einer Website der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB) heißt es:
Nirgends ist der Einfluss der Wählerinnen und Wähler so groß wie auf der kommunalen Ebene. Schätzungsweise 80 Prozent aller Angelegenheiten, die Bürgerinnen und Bürger mit dem „Staat“ in Kontakt bringen, werden von den Gemeinden erledigt, sei es die Wasserversorgung, die Straßenreinigung, die Müllabfuhr, das Schwimmbad, das Theater, die Schulen, der Kindergarten, das Ausstellen eines neuen Personalausweises usw.
Trotzdem nahmen bei den vergangenen Kommunalwahlen im Jahr 2009 gerade mal die Hälfte der Bürger ihre Chance wahr, die Politik über ihre Wahl mitzugestalten: Nach Angaben der LpB lag die Wahlbeteiligung bei den Gemeinderatswahlen bei 50,7 Prozent. Bei den Kreistagswahlen waren es „immerhin“ 51,4 Prozent. Haben mehr als 4 Millionen Menschen im Land kein Interesse daran, ihr Privilieg, Vertreter wählen zu dürfen, zu nutzen?
Komplizierte Stimmenvergabe
Vielleicht liegt dieses zurückhaltende Wahlverhalten aber auch ein bisschen an der relativ komplizierten Stimmenvergabe: Bei Gemeinderatswahlen hat man nicht eine, sondern mehrere Stimmen zu vergeben. Auch hier unterscheiden sich die Regelungen je nach Bundesland.
In Ost- und Norddeutschland hat man meistens drei Stimmen zu vergeben, in Hamburg und Bremen sogar fünf. Auf kommunaler Ebene wählt man keine Parteien, sondern direkt Einzelpersonen als Volksvertreter.
In Baden-Württemberg entspricht die Anzahl der Stimmen, die man vergeben darf, der Anzahl der freien Sitze im Gemeinderat. Sie ist somit von der Ortschaft abhängig, in der man wählen geht: Je nach Einwohnerzahl variiert diese zwischen acht Sitzen, beziehungsweise Simmen (bei weniger als 1.001 Bürgern) und 60 Sitzen (bei mehr als 400.000 Bürgern).
Komplizierte Sonderregelungen
Es gibt aber auch Ausnahmen von diesen Vorgaben, die entsprechend in der Ortssatzung verankert sind. So kommt es manchmal vor, dass eine Kommune mal mehr oder mal weniger Gemeinderäte bestimmt als von der Richtlinie vorgesehen wurde.
Etwa in Weinheim: Bei gut 40.000 Einwohnern sollte es dort eigentlich nur 32 Gemeinderäte geben. Tatsächlich gibt es zur Zeit aber 43. Das liegt an einer Sonderregelung, die nur in manchen Kommunen Baden-Württembergs Anwendung findet: Der Unechten Teilortswahl. Diese soll dafür sorgen, dass räumlich voneinander abgetrennten Ortsteilen eine bestimmte Mindestanzahl an Sitzen im Gemeinderat zugeteilt wird.
Laudenbach hat gut 6.000 Einwohner, gewählt werden 18 Gemeinderäte. Mannheim wählt mit 310.000 Bürgern 48 Stadträte. In Laudenbach stehen dem Wähler also 18 Stimmen zur Verfügung, in Mannheim 48.
Viele Möglichkeiten
Wie die Stimmen vergeben werden, ist dem Wähler relativ frei überlassen: Ein Mannheimer darf zum Beispiel seinen 48 favorisierten Kandidaten jeweils eine Stimme geben. Er darf aber auch kumulieren – das heißt einem Kandidaten mehrere Stimmen geben.
Allerdings ist das in Baden-Württemberg nur begrenzt möglich: Während ein Hamburger beispielsweise alle fünf Stimmen einem einzelnen Kandidaten geben darf, ist hier festgelegt, dass ein Bewerber maximal drei Stimmen erhalten darf.
Ein Laudenbacher kann demnach sechs verschiedenen Kandidaten seine Maximalanzahl an Stimmen geben, ein Mannheimer dagegen jeweils 3 Stimmen an 16 Kandidaten – der relative Vorteil für einen Bewerber, alle drei möglichen Stimmen zu erhalten, nimmt also ab, je mehr Sitze zu vergeben sind.
Wie werden die Sitze verteilt?
Obwohl für einzelne Personen abgestimmt wird, handelt es sich bei der Kommunalwahl trotzdem um eine Verhältniswahl: Bei der Ermittlung der Ergebnisse werden die Stimmen für die einzelnen Kandidaten einer Liste ausgezählt und zu einer Gesamtzahl addiert.
Anschließend werden die Gesamtergebnisse der verschiedenen Listen in einer Tabelle gegenübergestellt. Mit jeder Zeile nach unten wird die Ausgangszahl an Stimmen durch eine höhere Zahl geteilt: Zuerst durch drei, dann durch fünf, sieben, neun, elf und so weiter.
In der Tabelle wird nun nach den höchsten Zahlen gesucht: Diesen werden die freien Sitze zugeordnet. Demnach erhält die höchste Zahl den ersten freien Platz, die zweithöchste Zahl den zweiten freien Platz, solange bis alle Sitze zugeordnet sind. Zum besseren Verständnis ist in der folgenden Tabelle ein Beispiel dargestellt.

In diesem Beispiel sind zwölf Sitze im Gemeinderat zu vergeben. Zur Wahl sind nur die Listen A, B und C angetreten. Liste A erhielt 12.000 Stimmen und bekommt also fünf Sitze zugeordnet, Liste B vier Sitez, Liste C werden mit drei Sitze zugeordnet. Die Zahlen in den Klammern repräsentieren die Reihenfolge der Sitze im Gemeinderat, in der sie vergeben wurden.
Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, kommt diese Sitzverteilung insbesondere den kleineren Listen zu Gute: Obwohl die Liste C nur die Hälfte der Stimmen von Liste A erhalten hat, werden ihr drei Sitze zugeordnet. Liste A erhält nur fünf, obwohl es nach Verhältnis der abgegebenen Stimmen eigentlich sechs sein müssten. Damit sind kleinere Fraktionen auf kommunaler Ebene oft etwas überrepräsentiert.
Ist bestimmt worden, welche Liste wie viele Plätze zugesprochen bekommt, werden die Sitze innerhalb der Partei oder Wählergemeinschaft verteilt. Dabei muss nicht unbedingt der Kandidat mit dem Listenplatz Nummer 1 zum Zug kommen: Entscheidend ist hier nur die Anzahl der Stimmen, die der jeweilige Kandidat für sich gewinnen konnte – es kann also auch der Listenletzte auf Platz 1 gewählt werden. Bei Stimmengleichheit erhält die Person mit dem niedrigeren Listenplatz den Vorzug.
Viele Stimmen gehen verloren
Unbedingt ist zu beachten, dass man nicht mehr Stimmen vergibt, als zur Verfügung stehen – ansonsten ist der Wahlzettel ungültig. Bei Kommunalwahlen können im Durchschnitt gut 3 Prozent der abgegebenen Stimmzettel nicht gewertet werden – das macht in Baden-Württemberg jedes Mal deutlich mehr als 100.000 Wahlzettel aus, die einfach verloren gehen.
Wer sich mit den Kandidaten im Einzelnen nicht auskennt oder aus irgendeinem anderen Grund lieber nur eine Partei oder Wählervereinigung geben will, kann die Liste ohne weitere Kennzeichnung abgeben – dann erhält jede Person, die aufgeführt ist, eine Stimme. Aber Vorsicht: Wenn weniger Kandidaten aufgelistet sind als freie Plätze vorhanden sind, verschenkt man so einen Teil seines Wählerpotenzials – man könnten nun die noch übrigen Stimmen anderen Kandidaten auf anderen Listen zukommen lassen.
Eigene Liste erstellen?
In allen Bundesländern gibt es nämlich die Möglichkeit zum so genannten Panaschieren: Man muss sich nicht auf eine einzelne Liste festlegen, sondern darf „mischen“. Das kann auf zwei Wege geschehen: Entweder gibt man mehrere, einzelne Listen ab, die zusammen alle Kandidaten umfassen, für die man Stimmen abgeben möchte.
Oder man sucht sich die Liste mit den meisten Sympathisanten heraus und ergänzt diese handschriftlich um weitere Kandidaten von anderen Listen. In beiden Fällen ist es ratsam, die Anzahl der vergebenen Stimmen nachzuzählen. Regel: Vergibt man nicht alle Stimmen, bleibt der Wahlzettel gültig – nur eine Stimme zuviel macht ihn ungültig.
„Mehr als 3 Prozent der Stimmen sind durchschnittlich ungültig. Mindestens genau so viele gehen auf anderen Wegen verloren“, schätzt Karl-Ulrich Templ, der stellvertretende Direktor der Landeszentrale für politische Bildung. Die Gründe können verschieden sein: Zu wenig Stimmen wurden vergeben, ein Wähler wusste nicht, dass er auch für Kandidaten von verschiedenen Listen stimmen durfte und mehr.
Warum so kompliziert?
Warum also ein dermaßen kompliziertes System? Herr Templ sagt dazu:
Sicher ist es bedauerlich, dass so viele Stimmen verloren gehen. Andererseits bietet das System den Bürgern die Möglichkeit, sehr differenziert und sehr präzise für diejenigen Vertreter abzustimmen, die einem für das Amt geeignet erscheinen.
Die Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg sind die direkteste Form repräsentativer Demokratie in Deutschland. Um sein volles Potenzial als Wähler auszuschöpfen, ist notwendig, sich umfassend zu informieren. Das sollte man aber nicht als Last, sondern als Chance sehen: Man kann über die Parteien hinweg auch Kandidaten wählen, die man persönlich für geeignet hält, eine gute Kommunalpolitik zu machen – auch wenn diese nicht in der „richtigen“ Partei sind.
Anm.d.Red.: Dieser Artikel soll dazu dienen, unklare Fragen zur Wahl zu beantworten. Sollten Sie sich trotzdem noch bei etwas unsicher sein, zögern Sie bitte nicht, in den Kommentaren nachzufragen – was Sie interessiert, interessiert bestimmt auch andere Leser.