Mannheim, 20. September 2013. (red/ld) Informationen zum Thema sind für eine Wahl nicht so wichtig. Viel wichtiger sind Informationen über den Wahlausgang: Ist das Ergebnis spannend, ist die Beteiligung hoch, steht es von vorneherein fest, bleiben die Wähler zuhause. Den Termin für den Bürgerentscheid findet der Politikwissenschaftler Prof. Jan van Deth “sehr vernünftig”. Seine Forschung zeigt aber auch: Vor allem ältere, gebildete und wohlhabende Menschen beteiligen sich am politischen Prozess.
Interview Lydia Dartsch
Beteiligung an der Stadtpolitik ist in Mannheim sehr wichtig. Das Demokratie-Audit, das Sie für die Stadt erstellt haben, hat ergeben, dass es viele Möglichkeiten für Beteiligung gibt. Was war an den Ergebnissen überraschend?
Prof. Jan van Deth: Wir haben gesehen, dass sich diejenigen, die am meisten von politischer Partizipation profitieren würden, am wenigsten einbringen.
Was meinen Sie damit?
van Deth: Gerade bei der jüngeren Gruppe der Bevölkerung hält sich die Begeisterung für Politik in Grenzen; aber auch bei Menschen mit niedrigem Einkommen und mit Migrationshintergrund. Für diese Gruppen ist Kommunalpolitik wenig attraktiv. Das sehen wir nicht nur bei Bürgerentscheiden.
Sind es dann vor allem alte Menschen, die sich an Politik beteiligen? Muss man von einer Republik der Greise sprechen?
van Deth: Diejenigen, die sich vor allem an Politik beteiligen, sind vor allem höher gebildete Menschen, die in einer Kommune integriert sind.
Zeit, Geld, Intelligenz und soziale Kontakte
Was macht die Gruppe der Älteren aus, die hauptsächlich am politischen Prozess teilnehmen?
van Deth: Drei Dinge: Erstens verfügt diese Gruppe über die Ressourcen, sich einzubringen.
Was für Ressourcen sind das?
van Deth: Geld, Freizeit und die Kompetenzen, Informationen zu sammeln und zu verarbeiten. Zweitens sind sie motiviert, sich sozial und politisch zu engagieren. Sie haben das Gefühl, dass sich ein zivilisierter Mensch beteiligen sollte. Und drittens sind diese Menschen eingebunden in soziale Netzwerke: Dazu gehören Sport- und Kulturvereine, aber auch ein der Rotary Club.
Was macht diese soziale Integration so wichtig?
van Deth: Sie treffen dort andere Leute, die auch der Meinung sind, etwas tun zu müssen. Dort wird das Engagement mobilisiert. Wer keine soziale Kontakte hat, wird auch nicht gefragt, etwas zu tun oder bekommt keine Info-Flyer von Kollegen.
Was ist mit sozialen Netzwerken im Internet? Spielen die bei der Mobilisierung von Menschen eine Rolle?
van Deth: Die bringen wenig. Die Forschung dazu zeigt deutlich, dass sich die Internetgemeinde hauptsächlich mit dem Internet beschäftigt. Man kann dort eine Petition unterschreiben, aber es führt nicht dazu, dass man deswegen auf eine Demonstration geht, oder Veranstaltungen besucht.
Wenn hauptsächlich ältere, gebildete und sozial integrierte Menschen politisch aktiv sind, kann man da nicht von einer Republik der Greise sprechen? Ist das noch demokratisch?
van Deth: Solange jeder die gleichen Chancen hat, sich zu beteiligen, ja.
Nichtwähler kein Zeichen für Zufriedenheit
Die Frage ist: Was sind gleiche Chancen?
van Deth: Aus institutioneller Sicht reicht es, wenn jeder einen Wahlschein bekommt und wählen gehen darf. Materiell muss das nicht der Fall sein: Wenn man niedrig gebildet ist, und es viel mehr Zeit und Mühe kostet, Informationen zu sammeln, als jemanden mit einem hohen Abschluss, dann haben die beiden nicht die gleichen Chancen. Derjenige wird sich eher nicht beteiligen, könnte aber am meisten profitieren.
Vielleicht sind die Menschen, die sich nicht beteiligen auch einfach zufrieden mit der Situation?
van Deth: Das stimmt vielleicht für einen Teil. Das würde bedeuten, dass die Wahlbeteiligung in den wohlhabenderen Gebieten niedriger ist, als in ärmeren Vierteln. Wir haben aber genau das Gegenteil festgestellt.
“In Mannheim polarisiert jedes Thema sofort”
In Mannheim ist ein Streit entbrannt über die Bundesgartenschau 2023. Bürgerinitiativen haben sich gebildet und veranstalten Protestaktionen, die Bürger sollen in Planungsgruppen mitarbeiten, es werden Artikel geschrieben und Leserbeiträge veröffentlicht. Dabei war der Gemeinderat am Anfang doch geschlossen für das Projekt. Wie bewerten Sie die Situation?
van Deth: In einer Stadt wie Mannheim führt jedes Thema sofort zu einer Polarisierung und Politisierung. Das hängt mit der alten Tradition als Industrie-, Arbeiter- und SPD-Stadt zusammen. Die Menschen sind eher linkspolitisch ausgerichtet. Menschen, die eher links stehen, bringen sich auch eher politisch ein.
Also war dieser Streit für Sie gar nicht überraschend?
van Deth: Mich hat viel mehr überrascht, dass sich der Gemeinderat gleich zweimal über dieses Thema einigen konnte: Einmal über die Machbarkeitsstudie zur BUGA und über die Frage des Bürgerentscheids.
Was erwarten Sie am Sonntag, wer sich vor allem am Bürgerentscheid beteiligt? Die Jungen oder die Älteren?
van Deth: In Mannheim leben besonders viele junge Leute, die hier studieren zum Beispiel, die aber nicht wirklich integriert sind in die Gesellschaft und sich auch nicht integrieren wollen, weil sie nicht wissen, ob sie hier bleiben. Deshalb ist die Beteiligung der Menschen unter 35 Jahre sehr niedrig. Das wird auch am Sonntag zu sehen sein.
Welche Rolle spielen Informationen für die Wahlentscheidung?
van Deth: Man sollte die Rolle von faktischen Informationen nicht übertreiben. Wenn es um parteipolitische Fragen geht, hängt die Wahlentscheidung ohnehin von der parteipolitischen Linie ab. Also weil man beispielsweise CDU wählt, wird man auch den Standpunkt der CDU folgen. Da sind andere Information viel wichtiger.
Welche denn?
van Deth: Zum Beispiel die Information, wie ungewiss das Ergebnis ist. Das hat einen großen Einfluss auf die Beteiligung. Wenn man das Gefühl hat, dass das Ergebnis klar ist, kann man auch zu hause bleiben. Eine hohe Wahlbeteiligung gibt es immer dann, wenn es spannend wird.
“Der beste Termin”
Manche Politiker hätten sich einen späteren Termin für den Bürgerentscheid gewünscht, um mehr Informationen anbieten zu können. Wie sehen Sie das?
van Deth: Wir haben am Sonntag eine ganz besondere Situation, weil der Bürgerentscheid mit der Bundestagswahl zusammenfällt. Das ist die beste Methode, um die Beteiligung zu erhöhen. Die ist in großen Städten ja eher gering – etwa 30-35 Prozent.
Das Quorum in Baden-Württemberg liegt bei 25 Prozent. Wie wahrscheinlich ist es, dass es erreicht wird?
van Deth: Viele Bürgerentscheide in Großstädten sind daran gescheitert. Aber, wenn man am Sonntag schonmal einen Stimmzettel für die Bundestagswahl ausfüllt, ist es wahrscheinlicher, dass man auch gleich einen Wahlzettel für den Bürgerentscheid ausfüllt.
Warum ist das Quorum in Baden-Württemberg so hoch?
van Deth: Damit soll vermieden werden, dass nur kleine Teile der Bevölkerung etwas entscheiden, was diesen Teil sehr interessiert.
Wie sieht es in Weinheim und Hirschberg aus? Da gibt es am Sonntag ja auch Bürgerentscheide.
van Deth: In kleinen Städten ist es viel einfacher, das Quorum zu erreichen. Da liegt die Beteiligung an den Entscheiden im Schnitt bei 60-70 Prozent.
“Bürgerentscheide so früh wie möglich!”
Die Vorschläge für die späteren Termine wurden im Gemeinderat damit begründet, dass mehr Information zur Verfügung stehen und es weniger Unsicherheit über die Pläne gebe. Wie sehen Sie das?
van Deth: Man sollte Bürgerentscheide so früh wie möglich im Entscheidungsprozess machen und gar nicht so lange vor sich her schieben. Je länger das dauert, desto mehr Fakten werden geschaffen.
Was ist das Problem wenn man länger wartet?
van Deth: So können die Bürger entscheiden, ob eine BUGA überhaupt stattfinden soll. Das legt den Rahmen fest und von dort aus kann man weiter arbeiten – natürlich unter weiterer Beteiligung der Bürger- und Interessengruppen.
Also hätte man den Bürgerentscheid sogar noch früher durchführen müssen?
van Deth: Ich sage es mal so: Auf keinen Fall später. Die Frage, die am Sonntag gestellt wird, ist schon zu konkret, indem sie das Spinell-Gelände und die Feudenheimer Au einbezieht. Wofür soll denn der Wähler stimmen, der zwar für eine BUGA ist, aber die Feudenheimer Au nicht dabei haben will? Zu lange Diskussionen führen zu noch mehr strittigen Klauseln.
Sie sagten am Anfang ja auch, dass Informationen gar nicht so wichtig sind, bei dieser Entscheidung.
van Deth: Die meisten Leute werden zur Vorbereitung ein paar Artikel in der Presse lesen. Manche werden die Informationsbroschüre lesen und der Ein oder Andere noch auf eine Veranstaltung gehen. Das war’s.
Das war’s?
van Deth: Es wird sich kaum jemand zwei Stunden Zeit nehmen, und alles genau durchrechnen und Vor- und Nachteile abzuwägen. Diesen Bürger hat es nie gegeben.