Mannheim, 23. Mai 2014. (red) Sie ist Wissenschaftlerin und zum Judentum konvertiert – Prof. Dr. Heidrun Deborah Kämper. Er ist als Migrantenkind ein Vorzeigemensch in Sachen Integration: Petar Drakul, gelernter Betonbauer, Fachjurist und Referatsleiter beim Integrationsministerium.
Beide setzen auf Bildung als wichtigem Element für Integration. Beide haben gute Chancen, in den Gemeinderat zu kommen.
Interview: Hardy Prothmann
Frau Professor Kämper, Herr Drakul, Sie kandidieren beide zum ersten Mal?
Prof. Dr. Heidrun Deborah Kämper: Ich habe vor zehn Jahren schon einmal kandidiert. Damals war klar, dass ich nicht in den Gemeinderat komme. Deswegen zählt das für mich nicht.
Sie kandidieren auf Platz 10. Warum wollen sie in den Gemeinderat?
Kämper: Die Aufgabe dort ist sehr interessant. Ich habe ja viel mit Bildung und Berufsleben zu tun und Bildungspolitik ist einfach so wichtig und zentral in unserer Gesellschaft.
Wie ist es bei Ihnen, Herr Drakul? Was ist Ihre Motivation?
Petar Drakul: Ich bin schon einige Jahre in der SPD in der Innenstadt und im Jungbusch aktiv – auch darüber hinaus. Meine Themen waren Vielfalt, Bildung, Beteiligung. Jetzt möchte ich mich gerne mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen im Gemeinderat einbringen.
Arbeit, Wirtschaft, Integration
Herr Drakul, Sie arbeiten seit 2011 im Landesministerium für Integration. Ist es eine Voraussetzung für diese Stelle, dass Sie Jurist sind?
Drakul: Eigentlich nicht. Aber in der Verwaltung ist es immer sehr praktisch eine juristische Ausbildung zu haben.
Vorher hatten Sie als Rechtsanwalt einen freien Beruf. Jetzt sind Sie verbeamtet. Verdient man da weniger, aber dafür sicherer?
Drakul: Ich habe als Anwalt zwar mehr verdient, aber auch vom zeitlichen Umfang wesentlich mehr gearbeitet. In einem Ministerium ist die Arbeit sehr intensiv und komprimiert, aber der Feierabend ist früher und die Wochenenden sind frei. Es war zwar nie meine Vorstellung, in die Landesverwaltung zu wechseln. Ich war gerade erst Partner in einer Kanzlei geworden. Aber es war dann doch eine einmalige Gelegenheit: Erstmals eine grün-rote Landesregierung, ein neues Integrationsministerium, meine Themen – Arbeit, Wirtschaft, und Integration, – das musste ich machen.
Sie haben seit 2004 die deutsche Staatsbürgerschaft. Heißt das, Sie haben die ganze Einbürgerungsprozedur durchgemacht?
Drakul: Ich habe das normale Einbürgerungsverfahren durchlaufen. Auf den Sprachtest wurde verzichtet, da ich in der Schule Deutsch als Leistungskurs hatte. Ich musste den Allgemeinwissenstest ablegen. Das war ganz witzig, weil ich die zuständige Beamtin über ihr unbekannte, neue Ministerin aufklären durfte.
Migrationshintergrund
Welche Staatsangehörigkeit hatten Sie davor?
Drakul: Mein Vater kommt aus Bosnien. Meine Mutter aus dem Kososvo. Wir hatten kriegsbedingt dann die bosnische und die serbische Nationalität. Um das Einbürgerungsverfahren zu beschleunigen, habe ich die bosnische dann abgegeben und die serbische behalten. Ich habe also die doppelte Staatsangehörigkeit.
Wie passt das von der religiösen Seite? Die Serben sind überwiegend orthodox und die Bosniaken überwiegend muslimisch?
Drakul: Die Bosniaken sind Muslime. Bosnien besteht ja aus zwei Entitäten, der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska. Es ist ein ganz armes Land, das zersetzt ist von Korruption. Die Menschen im Land hoffen seit 20 Jahren auf eine Besserung, aber es passiert nichts. Viele sind arm und die, die Arbeit haben, werden ausgebeutet. Das ist wirklich dramatisch. Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien war für mich auch eine Motivation mich mehr zu engagieren.
Sie sind von der Religion her orthodox erzogen, oder hat das keine Rolle gespielt?
Drakul: Ich habe eine gewisse Distanz zu der serbisch-orthodoxen Kirche, auch wenn ich gläubig bin. Nach meiner Erfahrung fing Religion erst dann an eine Rolle zu spielen, als der Krieg begann. Für mich als junger Mensch war das damals unglaubwürdig.
Als der Krieg 1992 begann waren Sie 19 Jahre alt. Mussten Sie selbst kämpfen?
Drakul: Gott sei Dank nicht. Ich wurde zwar mit 15 oder 16 Jahren gemustert, aber nicht eingezogen. Ich lebte schon immer in Heilbronn und war damals noch in meiner Ausbildung als Betonbauer. Dann habe ich gearbeitet und bin auf das Abendgymnasium gegangen. Der Gang über den zweiten Bildungsweg hat verhindert, dass ich eingezogen wurde.
Ihr erster Abschluss war die Mittlere Reife. Danach haben Sie alles nachgeholt. Warum haben Sie damals nur die Mittlere Reife gemacht? Keinen Bock mehr auf Schule gehabt?
Drakul: Es hat mich zwar viel interessiert, aber die Schule hat mich nicht angesprochen. Das änderte sich erst später, nach meiner Ausbildung.
Man sagt ja immer, dass es eine Rolle spielt, wenn man Ausländer ist. Wie war das bei Ihnen?
Drakul: Ich habe mich nie benachteiligt gefühlt und habe selber keine unmittelbare Diskriminierungserfahrung. Vielleicht lag es daran, dass wir als Kinder jugoslawischer Eltern nicht aufgefallen sind.
Also werden Migranten in unserer Gesellschaft nicht benachteiligt?
Drakul: In Baden-Württemberg ist ja zunächst alles gut. Wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit und eine gute wirtschaftliche Lage. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass irgendwas nicht stimmt. Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht seit vergangenem Jahr Daten mit dem Erhebungsmerkmal „Menschen mit Migrationshintergrund“. Daraus wird ersichtlich, dass ungefähr jeder zweite Arbeitslose im Land einen Migrationshintergrund hat, während der Bevölkerungsanteil ca. 26% beträgt. Noch deutlicher wird dies bei den Langzeitarbeitslosen. Von denen haben knapp 60% eine Zuwanderungsgeschichte. Viele haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das bedeutet, dass da strukturell etwas nicht stimmt.
Integration ist gerade ein Riesenthema. Alle reiten darauf herum. Sie wissen selbst wie kompliziert das ist. Was sagen Sie dazu?
Drakul: Die aktuelle Debatte wird dem Thema nicht gerecht. Klar ist: Wenn etwas nicht gut läuft, muss es angesprochen werden und gelöst werden. In Mannheim klappt vieles ganz gut. Die Menschen, die nach Mannheim kommen, die wollen hier arbeiten. Und dabei müssen wir sie unterstützen.
Wie stellen sich die Integrationsleistungen für Sie dar?
Drakul: Die zweitgrößte Migrantengruppe sind die Polen mit über 18.000 Einwohnern. Das merkt niemand, das weiß niemand. Weil es funktioniert. Ein anderes Beispiel: Die Yavuz Sultan Selim Moschee am Ring hat das Prinzip der offenen Moschee, jeder kann das Haus besuchen und erhält eine Führung. Da findet ein Austausch statt. Die Mitglieder der Gemeinde sind aber auch aktive Mitglieder der Stadtgemeinschaft: Sie gehen raus, gehen auf Veranstaltungen, zu Sitzungen und beteiligen sich. Gleiches gilt auch für viele andere Gruppierungen. Die sagen: “Wir sind Mannheimer”. Das ist doch großartig. Identifikation mit der Stadt funktioniert am ehesten über Beteiligung. Allerdings müssen wir da noch einiges leisten, um die Mannheimer mit Zuwanderungsgeschichte besser einzubinden.
Zu wenige Stadträte mit Migrationshintergrund
Ist die Stadt also doch nicht so weltoffen und liberal, wie sie sich gerne verkauft?
Drakul: Ja, das sagen wir in Mannheim gerne, dass wir weltoffen und liberal sind. Trotzdem haben es bei der Kommunalwahl 2009 exakt 0 Personen mit Zuwanderungsgeschichte in den Gemeinderat geschafft. Bei einem Migrantenanteil von 38 Prozent spiegelt das nicht die Welt da draußen wider. Da können wir besser werden. Wir müssen aber auch die Verwaltung stärker öffnen, da benötigen wir eine bessere Repräsentanz. Und zwar auch bei den Führungskräften, auch weil die Verwaltung Vorbildcharakter hat.
Minderheiten müssen mitgenommen werden
Gibt es tatsächlich so viele Sorgen in der Stadtgesellschaft beim Thema Zuwanderung oder ist das nur eine kleine Gruppe von Menschen, die das Thema hochhält und Unerfahrene damit kirre macht?
Drakul: Ich kann verstehen, wenn manche ihre Stadt teilweise nicht mehr wiedererkennen. Meiner Erfahrung nach sind Vorbehalte oder Ängste bei Menschen in den äußeren Stadtteilen ausgeprägter. Unsere Aufgabe ist es, diese Ängste abzubauen. Denn wir werden aufgrund des demografischen Wandels älter, weniger und bunter werden und noch mehr Einwanderung benötigen. Und die Neumannheimer müssen wir stärker beteiligen. Beim Bürgerentscheid zur BUGA sind wir gezielt in die Migrantenvereine gegangen und haben informiert und für ein positives Votum geworben. Da bekamen wir eine gute Resonanz.
Aber das ist doch auch eine Gruppe von Bürgern, die dagegen Stimmung macht.
Kämper: Es kann nicht sein, dass die Demokratie nur nach Mehrheiten schaut. Die Minderheiten müssen mitgenommen werden. Die Gegner der BUGA machen das zum Kommunalwahlthema mit unsachlichen Argumenten, die über Emotionen gehen. Da werden dann Schlaglöcher und die BUGA 2023 vermischt und eine Pseudoargumentation aufgebaut. Das Gleiche gilt für die maroden Schulen. Das fatale daran ist, dass Argumente nicht gehört werden.
Nochmal zur Integration: Gibt es diesen Druck, der immer behauptet wird, durch den Zuzug von Bulgaren und Rumänen?
Drakul: Wir haben im April Zahlen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gesehen: Da stand, dass 15.000 neue Beschäftigungsverhältnisse bei den bulgarischen Zuwanderern bestehen. Es sind aber nur 9.000 zugewandert. Die übrigen 6.000 wurden wohl vorher hier als billige Arbeitskräfte ausgebeutet . Seit diesem Jahr genießen diese Menschen die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit und melden sich jetzt als reguläre Arbeitnehmer an. Das zeigt wieder, dass die Menschen kommen um zu arbeiten und dies dann auch machen. Wir müssen diese Menschen unterstützen und dafür sorgen, dass sie deutsche Sprachkenntnisse und berufsspezifische Sprachbildung bekommen. Dies erleichtert die Integration über den Arbeitsmarkt.
Dieser Integrationskindergarten in der Neckarstadt-West: Kann das ein Weg sein? Oder ist eine muslimische Betreuung anzubieten nicht eher kontraproduktiv?
Kämper: Der Kindergarten ist für alle Konfessionen offen. Und ich bin überzeugt, dass die Kinder dort in einem wirklich offenen Geist erzogen werden.
Auch der Wohnungsmarkt in Mannheim ist problematisch. Da gab es in den vergangenen 10 bis 20 Jahren große Versäumnisse. Kann Konversion bei der Lösung eine Rolle spielen?
Drakul: Wenn auf den Konversionsflächen neuer Wohnraum entsteht, muss man darauf achten, dass auch Wohnraum für Leute entsteht, die sich nicht die großen Hütten leisten können. Gleichzeitig kenne ich viele Familien die wegziehen, weil sie gerne in einem Häuschen leben möchten, was in Mannheim auch zu teuer ist. Es geht also um eine gute Mischung. Das „Münchner Modell“ wäre ein gangbarer Weg.
Es kommt auf Prinzipien an
Welche Rolle spielt dabei die GBG?
Drakul: Die GBG ist sehr wichtig für die Stadtbaupolitik und die Durchmischung in den Vierteln. Ein Beispiel: Auf der Hochstätt , in der viele türkisch- und russischstämmige Bewohner gelebt haben, hat die GBG in den vergangenen Jahren Studentenwohnheime hingesetzt. Das hat zu einer besseren Durchmischung geführt.
Wie sind Sie denn mit der Verkehrssituation in Mannheim zufrieden?
Kämper: Ich wohne im Almenhof und fahre jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit in R5. Vor fünf Jahren war Radfahren eine Katastrophe in Mannheim deutlich schlechter möglich. Aber es werden immer mehr Radwege gebaut, es werden mehr und mehr Straßen zu Fahrradstraßen. Da leisten die Bezirksbeiräte viel Arbeit. Dass die Straße am Lindenhof, den Rhein entlang Fahrradstraße geworden ist, ist deren Leistung.
Das klingt ja schon richtig grün. Gibt es da noch eklatante Unterschiede zwischen den Parteien oder sind es nur Nuancen?
Kämper: Man muss auf die Prinzipien und die Leitwörter achten: Es ist ein Unterschied, ob ein Sozialdemokrat auf soziale und Bildungsgerechtigkeit verweist oder ob ein Christdemokrat von „traditionellen Werten“ spricht.
Jetzt werde ich ein bisschen böse: SPD, das ist ja auch Hartz IV.
Kämper: Viele sagen, dass Gerhard Schröder hatte den Mut hatte, mit dieser Maßnahme den Staat zu erhalten. Das muss man ihm zugute halten. Er hat gesehen, dass wir uns den Sozialstaat so nicht erhalten konnten.
Polarisierende Sprache
Hochspannend ist gerade die Sprache in diesem Wahlkampf: Stadtrat Ralf Eisenhauer kritisiert die AfD als Nazis, weil diese Partei eine „Selektion der Einwanderer“ fordert. Wenn man das hört, denkt man zuerst “Oh Gott!” Frau Kämper, Sie als Professorin und Germanistin: Ist das wirklich Nazi-Sprache?
Kämper: Wörter wie „Selektion“ haben ein hohes Assoziationspotenzial. Die AfD sagt, das sei ein ganz normales Wort. Aber es ist natürlich eine Provokation. Selbstverständlich führt dieses Wort nicht zur Rampe in Ausschwitz, aber wer es in provokativer Weise verwendet, setzt auf das Wort als Chiffre. Deshalb ist es ganz wichtig, darauf hinzuweisen. Sprache wird hier in aggressiv-provokatorischer Weise instrumentalisiert und bezogen auf Menschen, die aus einer Notsituation heraus ihr Land verlassen. Kurz: Es ist kein Zufall, dass man dieses Wort gewählt hat. Darauf muss man reagieren. Da hat Herr Eisenhauer recht.
Sie sind beide berufstätig. Wenn Sie in den Gemeinderat gewählt werden, werden die nächsten fünf Jahre anstrengend. Ist ihnen das bewusst?
Kämper: Klar. Ich habe meinen Beruf bisher so ausgeübt: Die Tage zum Arbeiten, die Abende zum Arbeiten, die Urlaub. Alles war zum Arbeiten da. Jetzt, mit 60 Jahren bin ich an den Punkt gekommen, an dem ich in meinem Beruf nicht mehr erreichen kann. Jetzt möchte ich meine Erfahrung in Politik umsetzen. Es würde mich freuen, wenn ich dazu beitragen könnte, dass meine Vorstellungen, z.B. von Bildungsgerechtigkeit, in politisches Handeln umgesetzt werden.
Herr Drakul, Sie haben noch zwei kleine Kinder zu Hause.
Drakul: Ich engagiere mich bereits seit meinem 15. Lebensjahr ehrenamtlich. Trotzdem habe ich Respekt vor der Aufgabe eines Stadtrats, das ist nochmal eine andere Herausforderung, zeitlich und inhaltlich. Meine Frau ist als Anwältin berufstätig und wir haben zwei kleine Kinder, das wird schon schwierig. Aber es kann nicht sein, dass sich nur Menschen engagieren, die über viel Zeit verfügen. So ein Stadtratsmandat muss auch vereinbar mit Familie und Beruf sein. Das ist eine Herausforderung, aber ich habe eine Partnerin, die mich dabei unterstützt.