Rhein-Neckar, 12. Oktober 2020. (red/pro) Die relativ neuen Begriffe “cancel culture” oder “Kontaktschuld” werden endlich ein öffentliches Thema, weil die beiden Autoren Milosz Matuschek und Gunnar Kaiser einen Appell für “frei eDebattenräume” gestartet haben, an dem selbst wirkmächtige Medien, die diese Debattenräume permanent einschränken wollen, nicht mehr vorbeikommen. Denn rund 16.000 Unterzeichner, durchaus unterschiedlicher Lager, sind nicht zu ignorieren. Was stört ist die Fokussierung auf bekannte Namen, denn “cancel culture” wirkt unterhalb der Wahrnehmungslinie von Prominenten deutlich heftiger, als diese notwendige Debatte auch nur ansatzweise beleuchtet.
Von Hardy Prothmann
Ich erinnere nur an zwei Vorkommnisse in meiner Region, ich könnte so viele nennen.
Eins vor ein paar Jahren, eines aktuell.
Nach der Kommunalwahl 2014 zogen an die 1.000 “Demonstranten” vor das Wohnhaus von Christian Hehl (NPD). Angeführt unter anderem vom Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier unter dem “Label” “Mannheim gegen Rechts”, unter dem sich auch die Interventionistische Linke als “Unterstützer” tummeln darf, um ihren Widerwillen gegen den “Nazi” auszudrücken.
Niemand, wirklich niemand außer das Rheinneckarblog hat sich kritisch mit dieser Sache beschäftigt. Ich habe damals kommentiert: “Wer sich gegen etwas “Schlechtes” einsetzt, tut nicht automatisch etwas “Gutes”, wenn die Wahl der Mittel zumindest politisch falsch ist.
Die Amtszeit des Neonazis Christian Hehl verlief komplett unspektakulär. Der Mann hat niemals für einen Eklat im Gemeinderat gesorgt, sondern, falls er anwesend war, sich am Büffet bedient und teils vollständig unverständlich seine Stimme per Handzeichen abgegeben.
Etwas anderes war auch nicht zu erwarten, denn Christian Hehl ist weder davor noch danach durch irgendeine inhaltlich zumindest diskursfähige Äußerung aufgefallen.
Tatsächlich hatte “Mannheim sagt Ja”, mit dem “fortschreitenden” Gerhard Fontagnier (Grüne) erst eine Bühne und eine Inszenierung in Szene gesetzt, die keinerlei Basis hatte.
2019 war die NPD raus und das Kapitel hatte sich erledigt. Niemand demonstrierte vor dem Wohnhaus von Christian Hehl, um ihm politisch “Lebe-Wohl” mitzuteilen.
Man stelle sich vor, 1.000 Neonazis hätten sich vor dem Wohnhaus von Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz nach dessen Wiederwahl 2014 vor dessen Haus versammelt, um dem “Sozen” mal zu zeigen, dass man den nicht will. Man stelle sich das vor. Alle, aber auch wirklich alle Medien Deutschlands hätten darüber berichtet, vielleicht hätte es sogar einen ARD-Brennpunkt gegeben.
Die Tatsache ist – es gibt gar nicht so viele Neonazis, um ein solches “Event” zu organisieren. Es gibt sie, es gibt viele, sie sind hochgefährlich in Teilen, aber angesichts der Masse der linksorientierten oder gar linksradikalen oder linksextremen oder nur linksideologischen Massenbewegung, sind sie eindeutig in der Unterzahl, obwohl man medial vermittelt denken müsste, hinter jeder Laterne stehe ein Nazi.
Das andere Beispiel betrifft die seit mindestens 2015 bestehenden Schwierigkeiten für die AfD, Veranstaltungsräumlichkeiten anzumieten. Das ist für die Partei fast unmöglich und wo es möglich ist, muss es entweder rechtlich durchgesetzt werden oder die Vermieter müssen mit extremen Sanktionen oder Sachbeschädigungen rechnen.
Wenn ich das anführe, geht es mir nicht darum, Partei für die AfD zu ergreifen (Herr Fontagnier und Konsorten, ersparen Sie sich die Kontaktschuld-Aggression), sondern darum, dass ich mir die Frage stelle, wie das aufgenommen würde, wenn die AfD massiv und in der Mehrheit (was sie nicht ist), grüne oder linke Veranstaltungen mit ähnlicher Verve zu verhindern versuchte?
Was wäre dann?
Würde das als “normales demokratisches” Verhalten goutiert und medial unterstützt oder wären alle vollständig entsetzt? Denken Sie mal drüber nach.
Weil ich solches Verhalten und solche Zustände diskursiv in Frage stelle, gelte ich nicht nur in linksradikalen Kreise als “Nazi”. Kontaktschuld eben. Wer auch nur ansatzweise gegen die “Moral” der neuen Apostel argumentiert, ist kein Kritiker, sondern halt ein Nazi. Mindestens ein “Rechter”, was in der Bedeutungswelt dieser Linken gleichbedeutend ist mit Nazi, Rassist, Sexist und so weiter.
Diskurs findet nicht mehr statt, sondern nur noch Standgericht ohne jegliche demokratisch-verfasste Grundlage und eine ordentliche Gewaltenteilung. Bist Du nicht links, biste halt ein Nazi. Punkt.
Das erschüttert mich wenig. Intellektuell unfähige Menschen brauchen einfache Feindbilder. Was mich erschüttert, ist, wie angeblich dem intellektuellen Spektrum zugehörige Menschen wie Journalisten, diesen Blödsinn wie bekloppt triggern.
Vermutlich habe ich Vorurteile. Ich dachte immer, dass Journalisten (so wie ich), gut gebildet sind, recherchieren, Fakten prüfen, nachdenken und dann publizieren.
In dem von Milosz Matuschek und Gunnar Kaiser angestoßenem Appell, freie Debattenräume zu ermöglichen, ergeben sich sehr interessante Perspektiven.
Die erste Reaktion, beispielsweise bei der Süddeutschen Zeitung, waren vorhersehbar – hier erfolgte umgehend der Versuch, die Initiatoren und alle Unterstützer irgendwie “rechts” zu vernorden, also zu canceln. Bäh.
Doch dann kamen anderen Stimmen auf, aktuell bei Zeit online, wobei der Autor Jan Freyn sich intellektuell gibt, wen er alles an bedeutenden Persönlichkeiten angeblich gelesen hat und natürlich zitiert. Hoho, was für ein belesener Bursche. Da könnte ich als studierter Germanist und Philosoph ja auch mal was zu schreiben, um zu zeigen, wie groß meine intellektuellen Eiereien so sind.
Lisa Eckhart, Dieter Nuhr und wie sie alle heißen, werden als “prominente” Vertreter genannt, die “gecancelt” worden sind, zumindest ein Bisschen, aber weiterhin ganz gut verdienen dürften.
Das sind aber nur Spotlights einer cancel culture, die vor allem überall in der Provinz seit Jahren schon wirkt. Ein falsches Wort, eine Kritik, die dem überwiegend linken oder mindestens politisch-korrektem Mainstream nicht gefällt und das Fallbeil rauscht herab.
Ich habe das über die vergangenen zehn Jahre sehr, sehr häufig erlebt. Rund 60 juristische Verfahren (mit über 70.000 Euro Kosten, obwohl ich mich zu 95 Prozent erfolgreich wehren konnte), die Kündigung von Anzeigenschaltungen (hier sei besonders prominent der Luisenpark Mannheim und Herr Költzsch erwähnt, der einen Vertrag nicht verlängert hat), massive Kampagnen gegen meine Personen und solche aus meinem Umfeld in asozialen Medien bis hin zu körperlichen Angriffen von Linksradikalen gegen meine Person.
Das interessiert aber nicht, weil ich ja nur ein “Provinzjournalist” bin – obwohl in Hamburg und Berlin und Düsseldorf und München alle “lieben Kollegen” immer mitlesen, was der Prothmann so mitzuteilen hat und sich irgendwie daran orientieren.
Spätestens nach meinem experimentellen Versuch, endlich mal eine vernünftige Debattenkultur über Terror und den Umgang damit zu finden, war ich völlig gecancelt. Keine Vorträge mehr, keine Einladungen zu Diskussionsveranstaltungen. Prothmann = Bäh.
Seit nunmehr über sieben Monaten herrscht Panik im Land. Angst und Schrecken. Pleiten und zerstörte Existenzen. Wegen Corona – einer möglicherweisen realen, aber auch imaginären Gefahr, die stärker wirkt als jeder real-existierende Terror.
Und die Debatten darüber werden bislang nicht zugelassen. Wer widerspricht, wird systematisch fertig gemacht.
Ich habe davor keine Angst. Weil ich schon früh gelernt habe, mit Angst umzugehen. Angst hilft, aufmerksam zu sein. Aber Angst lähmt, wenn man nicht mit ihr umzugehen weiß.
Dieses Land und sehr, sehr viele Menschen, sind ängstlich gelähmt und wenn nicht, werden sie zur Räson gebracht. Debatten, gar offene, sind nicht erwünscht und wer zu frech wird, wird maximal bestraft.
Allerdings merkt die dominante Öffentlichkeit aus Politik und Medien, dass die Unruhe mehr und mehr wächst – und tut so, als würde man sich auf Debatten einlassen. Das ist bis jetzt nur ein Nebenschauplatztheater.
Ich glaube nicht daran, dass das ehrlich gemeint ist und einer inneren Überzeugung entspricht.
Die erste Redaktionsregel beim Rheinneckarblog ist (habe ich vom Kriegsberichterstatter Christoph-Maria Fröhder gelernt): Traue Keinem! Die zweite, die habe ich mir überlegt: Ohne Vertrauen ist alles Nichts.
Das ist aktuell die Lage. Sie ist vor allem von links extrem. Klar auch von rechts. Aber sie ist vor allem insgesamt ungesund, weil die Bereitschaft zur offenen Debatte fehlt ohne gleich links oder rechts markiert und ein- und damit aussortiert zu sein.
Muss ich mich jetzt noch erklären, dass die NPD für mich eine rechtsradikale, extremistische Partei ist? Oder dass ich die AfD seit spätestens 2015 sehr problematisch betrachte? Muss ich mich öffentlich eindeutig distanzieren?
Ok. Ich distanziere mich, eindeutig. Aber auch von “Mannheim gegen Rechts” und der “Interventionistischen Linken” und allen, die sich nicht davon distanzieren. Soweit ok?
Ich bin bereit mit allen zu debattieren, wenn es um Inhalte und Argumente geht.
Ich habe (keine) Angst.
Warum schreibe ich das so? Weil ich keine Angst habe. Aber viele verstehen kann, die Angst haben, weil sie anderen Zwängen unterworfen sind und wenig Möglichkeiten haben, auszuweichen und sogar davor Angst haben, ihre Meinung zu sagen, was sie verfassungsmäßig zwar “theoretisch” dürfen, im echten Leben dafür aber massiv abgestraft werden könnten.
Angst macht unfrei.
Wer behauptet, es gäbe keine #cancelculture, lügt.
Es gibt sie. Seit Jahren und sie wird immer massiver.
Man bekommt es halt erst jetzt hier und da bei “Promis” mit – im lokalen geht dieser Verhaltensteufel schon lange um und verbreitet Pech und Schwefel, wo er/sie/es kann.
Sie sollen auch keine Angst haben, müssen aber gewahr sein, dass das RNB irgendwann von mir eingestellt wird, wenn es zwar viele Tausende Menschen nutzen, aber für die Arbeit nicht zahlen.
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