Heidelberg, 10. November 2015. (red/cr) Etwas verrückt, manchmal witzig, immer unglaublich gefühlvoll – Sea + Air erzählen mit ihrer Musik eine Geschichte. Daniel Benjamin und Eleni Zafiriadou, ehemals Schlagzeuger und Sängerin der Punkband “Jumbo Jet”, sind seit 2011 als Sea + Air mit ihrem Indie-Pop unterwegs. Am vergangenen Samstagabend im Karlstorbahnhof spielten beide mehrere Instrumente gleichzeitig – unter anderem Cembalo.
Von Christin Rudolph
Wir klingen zu zweit ganz gut wie eine siebenköpfige Band.
Knapp zehn Instrumente und ein Musiker-Ehepaar auf der Bühne, circa 150 Leute davor. Eineinhalb Stunden Musik, um eine Geschichte zu erzählen. Mit Gitarren, Schlagwerk, Cembalo, Keyboard und ihren Stimmen erzeugen Sea + Air Lieder, die man auch ohne Text verstehen würde.
Mehr als Radio-Pop
Ihre Songs bestehen aus mehr als Melodie, Text und Begleitung. Die verschiedenen Instrumente verleihen Tiefe und spielen Rhythmen, die aufhorchen lassen. Wenn sich die Stimmen von Daniel Benjamin und Eleni Zafiriadou zu einem Duett zusammenfinden, werden Arenen voller Menschen still.
So einen Moment hatte das Ehepaar als Voract von Whitney Houston. Daniel Benjamin hatte seine Solokarriere 2003 begonnen. Außerdem war er bis zur Auflösung der Punkband “Jumbo Jet” 2009 dort Schlagzeuger, Eleni Zafiriadou die Sängerin. Zusammen mit ihr wurde er als Support für Bands wie die White Stripes, The Soundtrack Of Our Lives, John Grant und The Divine Comedy gebucht.
Doch seit den Auftritten bei den Konzerten von Whitney Houston war klar, dass Daniel Benjamin nicht länger ein Soloprojekt ist, bei dem seine Frau musikalisch aushilft. Sie und er änderten den Bandnamen in Sea + Air. Seitdem touren sie weltweit und haben 2012 ihr erstes Album, “My Heart´s Sick Chord” veröffentlicht.
Geschichte einer Reise
Das neue Album “Evropi”, auf deutsch “Europa” war in der ersten Woche nach Veröffentlichung auf Platz 49 der deutschen Albumcharts. Es erzählt von der griechischstämmigen Familie Zafiriadou. Von ihrer Reise von der Türkei aus über Griechenland nach Deutschland. Sehnsucht und Verlust, Heimatgefühl und Trost. Zeitlose Themen zu zeitloser Musik.
Auch ein Cembalo hat es in das Ensemble der Instrumente geschafft. Als Teil ihrer Songs ist es allerdings keine Extravaganz, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Es verleiht einigen Songs eine Schwermütigkeit, die den Mix von Sea + Air ausmachen. Aber daran klammern sie und er sich nicht fest.
Experimentierfreude vor Perfektion
Herumexperimentieren ist fester Bestandteil ihrer Musik. In manchen Songs ändert sich zum Beispiel schlagartig das Tempo. In einem ihrer bekanntesten Lieder, “Do animals cry?”, werden mittendrin die Instrumente gewechselt und damit auch das Tempo, von zuckersüßem Pop zu Rock, der in einer Ansammlung von Dissonanzen endet.
Das Publikum am Samstagabend im Karlstorbahnhof war offen für die Experimentierfreude der beiden Musiker. Auch der Support wurde gut aufgenommen.
Support passt perfekt
Der irische Sänger und Songschreiber Duke Special ist der perfekte Voract für Sea + Air. Mit Keyboard und Gesang deckt auch er sowohl inhaltlich als musikalisch alles von laut bis leise ab. Durch fast schon schauspielerische Ausgestaltung gibt er seinen Songs eine zweite dramatische Ebene. Musik beschreibt das Leben. Wenn das Leben nicht immer schön ist, muss es die Musik dazu auch nicht immer sein.
Das heißt nicht, dass sie schlecht ist, oder dass seine harmonischen Songs inhaltslos sind. Er stellt beides nebeneinander, um ihm mehr Ausdruck zu verleihen. Einige Songtexte sind sehr persönlich, über Verzweifeln, Hoffen, Scheitern und Weitermachen.
Schwarzer Humor und Selbstironie lockern thematisch immer wieder auf. Die persönliche Ebene schafft Nähe zum Publikum. Bevor er Sea + Air die Bühne überlässt, erntet er stürmischen Beifall.
Einfach länger klatschen
Die bauen auf die gute Stimmung auf:
Dieses Lied haben wir als Vorband von Andreas Bourani im Stuttgarter Stadion vor 70.000 Menschen gespielt. Wir spielen das jetzt genauso, und ihr seid so laut wie 70.000 Menschen, ok?
Solche Sprüche sorgen nicht nur ein Lachen im Publikum, sie funktionieren. Wenn die Instrumente gewechselt werden müssen entstehen kleine Pausen. Das Ehepaar lässt das Publikum einfach eine Liedzeile in Dauerschleife wiederholen oder sagt dazu: “Bei uns müsst ihr immer ein bisschen länger klatschen. Aber das zeigt ja, dass wir noch Menschen sind.”
Echte Menschen
Menschlich – das trifft Sea + Airs Bühnenpräsenz gut. Daniel Benjamin leitet einige Songs ein, erzählt vom letzten Auftritt im Karlstorbahnhof, lässt sich auf Dialoge mit Konzertbesuchern ein. Seine Frau tanzt beim Musizieren und flirtet mit dem Publikum. Man spürt, dass er und seine Frau vor allem Spaß haben beim Musikmachen. Sie haben aber auch einen hohen Anspruch an sich selbst.
Nach den ersten Konzerten auf denen sie beide mehrere Instrumente gleichzeititg gespielt haben, erzählen sie, seien immer mindestens drei Leute zu ihnen gekommen und hätten sie gelobt – wie gut sie das mit all den Samples und Loops hinkriegen würden.
Leben erzählen wie es ist
Die Verwendung von “echten” Instrumenten und die ganze Übung für das Multitasking, das, was Sea + Air unter anderem auszeichnet, gehen also an manchen vorbei. Darüber waren die beiden Musiker so frustriert, dass sie aus Spaß beim Live-Konzert einen Song komplett Playback performten. Zur Musik von der CD machten sie übertriebene Gesten, die typische “Showauftritte” mit vielen Effekten parodierten.
Auch diese Comedy-Einlage war ein Stück Geschichten-Erzählen. Man muss wohl im Show-Business einfach darüber lachen können und Menschen suchen, die die eigene Arbeit wertschätzen, mit denen man lachen kann.
Kraft durch Zerbrechlichkeit
Solche Menschen haben sich an diesem Abend zusammengefunden. Sie sind zwischen 25 und 50 Jahren alt und wissen, was Sea + Air mit ihnen teilen wollen. Deswegen sind sie hier. Da wird nicht geredet und nicht aufs Smartphone geschaut und sich auch kein Getränk geholt. Einfach nur dasein und zuhören. Eine kleine Oase in einem Leben, in dem Musik meistens doch nur nebenbei läuft oder nichts taugt, wenn man nicht nach dem ersten Refrain mitsingen kann.
Virtuosität, um Klang zu erzeugen – nicht damit jeder weiß wie gut man Cembalo und Trommel spielen kann, wenn man gleichzeitig singt. Leise und trotzdem starke Töne, weil sie gefühlvoll gesungen oder gespielt werden. Selten sind 150 Menschen so still. Gerade wenn die Töne so leise sind, haben sie und er die größte Präsenz.