Heidelberg, 31. Oktober 2016. (red/cr) Das Enjoy Jazz-Festival präsentiert „Jazz und Anderes“. Am Freitagabend war mit John Kameel Farah in der Jesuitenkirche eine klanggewaltige Mischung aus Barock, Elektro, arabischen Einflüssen und Neuer Musik von der Sorte „ganz anders“ zu hören. Der junge Komponist und Pianist passte seine Stücke eigens für die Kirche an. Mit Flügel, Synthesizer und Orgel, aber auch mit seiner authentischen Art spielte er sich in die Herzen des Publikums – zumindest in die meisten.
Von Christin Rudolph
Der gesamte Raum der Jesuitenkirche ist in Schwingung. Tiefes Grollen erfüllt den Raum, kleine Motive der Orgel prasseln mit hoher Geschwindigkeit auf die Zuhörer herab. Die sitzen in den Kirchenbänken und lauschen. Manchmal andächtig, manchmal mit Staunen, nur unterbrochen vom dröhnenden Applaus.
Ein Mann jedoch ist in ständiger Bewegung. Zwischen Flügel und Orgel mit Synthesizer eilt er hin und her. Nimmt stumm neue Loops auf und schichtet sie an unerwarteter Stelle auf den bestehenden Klangteppich. Die Zuhörer können ihn zwar sehen. Doch bei all den verschiedenen Tonspuren, die dieses Ein-Personen-Orchester kombiniert, lässt sich kaum unterscheiden, was alles gleichzeitig geschieht.
I think I lose 2.000 calories by running between the piano and the organ.
Komponist und Pianist John Kameel Farah hatte mit seiner authentischen Art das Publikum schon für sich gewonnen, bevor er den ersten Ton erklingen ließ. Am Freitagabend spielte er im Rahmen des Enjoy Jazz-Festivals in der Heidelberger Jesuitenkirche.
Zukunftsmusik
Als Sohn palästinensischer Eltern wuchs er im Einwandererland Kanada auf. So kam er früh mit der Musik unterschiedlicher Kulturen in Kontakt. In seiner Heimatstadt Toronto studierte er Komposition und Klavierspiel. Schon damals erhielt er erste Preise.
Doch bei der klassischen Ausbildung beließ er es nicht. Mittlerweile lebt er in Berlin und bezeichnet seine Musik selbst als eine Mischung aus Barock, Elektro, arabischen Einflüssen und Neuer Musik.
Like a science-fiction author!
Nur, dass er statt Worten Musik sprechen lasse. Wer seine elektronischen Stücke kennt, fragt sich sofort „Wie soll das in einer Kirche wirken?“.
Elektro in der Kirche?
Die Jesuitenkirche in Heidelberg kommt schätzungsweise auf fast vier Sekunden Hall. Doch Herr Farah sieht das nicht als Problem, sondern als Chance. Für ihn ermöglicht der Kirchenraum eine spirituelle Erfahrung der Musik.
Zu Beginn des Konzerts bedankte er sich für die Möglichkeit, in der Kirche zu spielen. Zugegeben sei es recht schwer in einem Raum mit so viel Hall seine Musik zu präsentieren. Daher habe er speziell für diese Kirche seine Stücke neu arrangiert.
Und das konnte man hören und fühlen. Vor allem bei den reinen Klavier-Abschnitten: Mit viel Gefühl schlug der Pianist die Tasten an, wartete immer wieder, bis die Harmonien verklungen waren, um mit neuen das Stück fortzusetzen. So erzeugte er eine intime Atmosphäre.
Persönlicher Zugang zur Musik
Die elektronischen Parts waren etwas zurückgefahren. So kamen teilweise Beats zum Mitnicken auf. Doch nichts im Vergleich zu Farahs tanzbaren Stücken. So zeigte das Set weniger die Bandbreite seiner Musik, sondern mehr ihre Anpassungsfähigkeit an den Raum.
An den Raum angepasst war auch die Performance. Immer wieder gab der Musiker zwischen den Stücken Erklärungen.
Jedoch keine musikwissenschaftlichen Ausführungen über sein Genie. Nein, er erzählte ganz konkret und bescheiden aus seinem Leben, was ihn persönlich bewegt: Wie die Musik von Johann Sebastian Bach seine Begeisterung für Musik weckte und warum er als nächstes ein Stück von William Byrd spielen wird.
Ein kosmischer Ansatz
Und von den Freunden seines großen Bruders, die Astrophysik studiert haben. Unter anderem zu deren Simulationen über das Universum hat John Kameel Farah Musik komponiert. Der Kosmos beschäftigt ihn als Künstler. So wie das Universum sich ausdehnt und möglicherweise irgendwann wieder zusammenzieht, so fühle es sich für ihn an, für Publikum zu spielen.
Mit dieser Metapher im Hinterkopf erschlossen sich neue Verbindungen zwischen den Stücken des Konzertprogramms. Zwischen rasend schnellen Trillern und Motiven und den langsamen Klavierphrasen, die wie Atemzüge wirkten. Zwischen minimalistischen Arrangements und dröhnender Orgel in Verbindung mit anderen, teils verfremdeten Instrumenten.
Unabhängig von der Interpretation ist eines klar: John Kameel Farah spielt keine Unterhaltungs-Musik. Er bedient sich nicht nur gegenläufiger Rhythmen und Dissonanzen.
Einzelne Tonspuren befanden sich mit Tönen und Melodie an der Grenze des Erträglichen. So verließen im Laufe des Konzerts fast ein Dutzend Zuhörer die Kirche.
Publikumsnaher Musiker
Diejenigen hingegen, die blieben, applaudierten am Schluss begeistert, Einzelne sogar stehend. Herr Farah schien gerührt und bedankte sich. Anschließend bildete sich eine große Menschentraube um den Komponisten.
Sehr viele wollten CDs erhaschen, signieren lassen und vor allem Fragen stellen. Der Musiker hörte allen zu und ging auf Sonderwünsche ein. Als sich die Kirche schließlich langsam leerte, war er sichtlich überwältigt von den vielen positiven Rückmeldungen:
Der ältere Herr vorhin hat gesagt, er sei während des Konzerts zehnmal gestorben. Aber ich glaube, er hat es im positiven Sinne gemeint.