Berlin, 07. Dezember 2015. (red) Mit überwältigender Mehrheit hat der Bundestag am vergangenen Freitag entschieden, in den Krieg zu ziehen. Nicht nach reiflicher Überlegung – per Eilbeschluss. Große Teile der Grünen-Fraktion und alle Abgeordneten der Linken stimmten dagegen. Von 184 Mandatsträgern der SPD sagten nur 28 „nein“ zum Kriegseinsatz – einer davon ist Lothar Binding aus Heidelberg. Warum er die Beteiligung für undurchdacht hält, lesen Sie in unseren Montagsgedanken. Wir dokumentieren seine Stellungnahme.
Dokumentation der Erklärung von Lothar Binding (SPD) zum Einsatz der Bundeswehr in Syrien:
„Ziel des Terrors ist es, Angst zu schüren, um so die Überlegenen zu unüberlegten Reaktionen zu verleiten. Daher auch der Name „Terrorist“. Terroristen haben nicht die Macht, in eine offene Konfrontation zu treten. Der Gegner ist ihnen militärisch haushoch überlegen. Ihre einzige Hoffnung besteht darin, den Gegner so zu reizen, dass er sich unüberlegt in schwieriges, unübersichtliches Gelände begibt.
Erst dann haben die Terroristen eine Chance, da im darauffolgenden Chaos die überlegenen Kräfte beziehungsweise Mächte eigentlich nur verlieren können. Genau dies passiert gerade in Syrien.
„Bomben sind keine Lösung“
Der IS könnte keinen offenen Kampf gegen „den Westen“ führen. Er kann aber dafür sorgen, dass wir uns unüberlegt verhalten und keinen kühlen Kopf bewahren. Die Terroranschläge in Paris haben Angst und Schrecken verbreitet und eine unüberlegte Reaktion hervorgerufen – die westlichen Kräfte werden immer stärker in den Bürgerkrieg hineingezogen. Dieser Logik möchte ich mich nicht unterwerfen.
Bomben sind keine Lösung. Die Luftangriffe werden auch immer wieder viele unschuldige zivile Opfer fordern, die den Hass auf „den Westen“ weiter schüren werden. Der IS ist doch erst als eine Reaktion auf die Invasion in den Irak, der wir uns erfolgreich widersetzt hatten, entstanden. Dank Gerhard Schröder.
Die Invasionen in Irak und Afghanistan sollten damals schnell und sauber ablaufen. Diese Vorstellungen und Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Schon damals wurde als Reaktion auf einen Terrorakt unüberlegt in einen Krieg gezogen, der sich dann als nicht zu gewinnen herausgestellt hat.
Viele offene Fragen
Was wird aus unserem Einsatz in Syrien folgen? Ist eine Befristung denn wirklich realistisch? Wer weiß denn, wie sich die Situation in einem Jahr verändert hat? Woran erkennen wir, ob unser Einsatz erfolgreich war? Ist der IS besiegt? Das sind Fragen, die niemand beantworten kann …
Deshalb und aus den weiteren folgenden Punkten werde ich im Bundestag gegen eine Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien stimmen:
- Es besteht keine völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz. Rechtlich gesehen ist ein militärisches Eingreifen, wie in Syrien, ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Eine Legitimation kann nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geben. Wer hier auf ein UN-Mandat verzichtet, der darf dann zukünftig andere Nationen nicht belehren, wenn sie ohne Mandat in einen Krieg eintreten.
- Es gibt kein abgestimmtes Konzept oder eine klare Strategie. In diesem Krieg führen bereits 14 Staaten Krieg mit unterschiedlichen Zielen. Selbst der
Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat vor kurzem in einem Interview deutlich gemacht, dass die EU „immer noch keine
glaubhafte Syrien-Strategie“ hat.
- Auch führende Militärs kritisieren die Vorgehensweise und auch die Sprache dieses Einsatzes. Denn diese militärische Aktion ist ein Kriegseinsatz, der nach Expertenmeinungen lange andauern muss, wenn er die Chance haben soll, erfolgreich zu sein. Es wird verschwiegen, dass die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland dadurch steigt.
- Wir haben keine Lehren aus den vergangenen Militäreinsätzen gegen den Terror gezogen. In Afghanistan und im Irak wird zum Beispiel seit vielen Jahren ein sogenannter Krieg gegen den Terror geführt mit dem Effekt, dass die Extremisten stärker sind als je zuvor. Terror kann man nicht genauso bekämpfen wie diktatorische Regime.
- Gerade bei Luftangriffen muss man mit vielen zivilen Opfern rechnen. Die Familien und Freunde solcher Opfer treibt man so förmlich in die Arme der
Terroristen. Eine Spirale der Gewalt entsteht. Eine Abwägung wurde bisher nicht getroffen.
Krieg bleibt für mich, so wie Willy Brandt es einmal sagte, die „Ultima irratio“.
Diplomatie einzige Hoffnung
Deswegen unterstütze ich alle diplomatischen Bemühungen Frank-Walter Steinmeiers, alle Parteien, mit Ausnahme des IS, an einen Tisch zu bringen. Nur so gibt es eine Hoffnung für Syrien. Ich verstehe auch jene, die heute mit Blick auf die Rede von FrankWalter Steinmeier vor zwei Tagen zustimmen, weil seine Rede gezeigt hat, dass militärische Engagement allein keine Lösung darstellt und viele weitere politische, humanitäre und wirtschaftliche Aufgaben zu lösen sind.
Ich denke aber, dass wir die militärischen Mittel zu eilfertig einsetzen – dies erklärt sich ein wenig mit Blick auf die Rede der Verteidigungsministerin am Mittwoch dieser Woche.
Unterstützung unterbinden
Will man den IS wirklich bekämpfen, muss man mit Saudi Arabien hart ins Gericht gehen, das den IS unterstützt. Auch die Türkei (unser NATO Partner) gilt es an einer weiteren Unterstützung des IS zu hindern. Die Finanzierungsquellen des IS sind klar, hier gilt es mit aller Härte gegen ihn vorzugehen. Ohne zivile Opfer, die nur weiter neuen Terror schaffen und seinen Zulauf verstärken werden.
Doch wie entwickelt sich dadurch das Verhältnis zu unseren engsten Verbündeten Frankreich? Ich bin der Überzeugung, dass man einem guten Freund kein guter Freund ist, wenn man ihn in etwas unterstützt, was ihm nicht helfen wird. Ich bin der Überzeugung, ein guter Freund ist der, der einem klar sagt, wenn man falsch liegt, und trotzdem an seiner Seite steht. Für diese Beziehung gilt es zu kämpfen.
Versäumnisse eingestehen
Und das Wichtigste: Wir – Europäer – müssen unsere Versäumnisse eingestehen, die uns gedanklich auch zu den Ursachen führen, warum Flüchtlinge in Folge von Krieg und Terror ihre Heimat verlassen.
Als Indikator möge der langjährige Streit über ein Einwanderungsgesetz dienen – eine frühe Forderung der SPD, leider ohne Mehrheit.
Außerdem hätten wir im Libanon, in der Türkei, in Griechenland, in Italien, auf dem Mittelmeer, früher schon in Melilla, helfen können. Rechtzeitig, mit Geld. Auch durch eine bessere Unterstützung des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) und die Anhebung der ODA Quote wenigstens auf die versprochenen 0,7 % des BIP. Aber uns waren Haushaltskennzahlen wichtiger.
Gibt es keine anderen Wege, Solidarität zu zeigen?
Im Gegensatz zu diesen Überlegungen hat der Bundespräsident schon Anfang des Jahres auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert: „Deutschland muss international mehr Verantwortung zeigen, auch militärisch.“
Ob Freundschaft und Solidarität mit Frankreich nicht auch anders gezeigt und verwirklicht werden kann? Wir könnten auf vielfältige Weise unsere Solidarität leben ohne den nun vorgesehenen Waffengang!
Das sind die wesentlichen Gründe, warum ich im Bundestag gegen eine Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien stimme.“