Mannheim/Karlsruhe, 01. Februar 2019. (red/pro) Für die Sanierung des Hochwasserdamms XXXIX in Mannheim wird eine Fläche von insgesamt rund sieben Hektar am Damm baumfrei werden müssen. Möglicherweise lässt sich der Eingriff auf bis zu zwei Hektar etwas weniger drastisch vornehmen – bei sehr viel höheren Kosten und dem Risiko geringerer Stabilität, sagt ein Gutachten. Damit ist weiterer Streit programmiert.
Von Hardy Prothmann
Morgen für Morgen beginnen die Kettensägen zu kreischen. Wochenlang wird das so gehen. Immer, wenn eine aufhört zu kreischen, fällt ein Baum. Die Arbeiten werden als „Baummassaker von Mannheim“ in die Geschichte eingehen – tausendfacher Mord an unschuldigen Bäumen. Niedergemacht durch eine herzlose Bürokratie, die die Fällschergen losgeschickt hat, um ein Kleinod zu vernichten.
Morgen für Morgen gibt es Polizeieinsätze. Angekettete Baumschützer müssen weggetragen, Barrikaden geräumt werden. Seit Monaten gibt es Proteste vor dem Rathaus. Sitzstreiks behindern den Straßenbahnverkehr.
Sanierung als Wahlkampfthema
Kaum vorstellbar? Warten wir es ab. Wenn es um den Baum geht, wird der Deutsche böse und möglicherweise auch radikal. Und am Rheinhochwasserdamm XXXIX geht es sehr, sehr viele Bäume. Irgendwann kam die Zahl 1.000 auf, die Bürgerinitiative „Bürger-Interessen-Gemeinschaft“ (BIG) Lindenhof e.V. meint aktuell, es seien „tausende Bäume“. Wie viele Bäume es tatsächlich sind, weiß niemand. Man hat schon mobilisiert und 22.000 Bürger hatten eine „Petition zum Erhalt des Baumbestands“ gezeichnet.
Überreicht wurde sie Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD), doch der ist der falsche Adressat. Den erstens gehört der Damm dem Land Baden-Württemberg und damit ist das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständig, darüber Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) und zweitens hat die Stadt Mannheim so gut wie keine Einflussmöglichkeit auf die Sanierungsmaßnahme.
Das wird weder die BIG noch Parteien abhalten, die Rheindammsanierung als TOP-Wahlkampfthema für die bevorstehenden Kommunalwahlen zu setzen. Doch das ist ein gefährliches Spiel. Wenn sich Stadträte und Parteien für den Baumerhalt einsetzen, am Ende die Bäume aber fallen, haben sie zwar den Baumschützer gegeben, aber letztlich verloren. Und wer wählt schon Verlierer?
Prinzip Nimby
Die Bürgerinitiative BIG unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Bürgerinitiativen, wenn es um „not in my backyard“ (Nimby) geht. Man sieht eigene Interessen gefährdet und kämpft dafür oder dagegen, je nach Projekt. In diesem Fall dagegen. Die BIG unterscheidet sich von anderen Initiativen, weil es sie schon gut ein Vierteljahrhundert gibt und damit ein hoher „Professionalisierungsgrad“ erreicht wird. Wie alle Bürgerinitiativen ist man nicht wie Verwaltungen an Vorschriften gebunden und sucht sich für die eigene Position das, was dazu passt, den Rest ignoriert man erstmal.
So lobenswert bürgerschaftliches Engagement ist, es gibt auch die Schattenseiten. Staatlichen Behörden vertraut man grundsätzlich nicht. Man schürt Misstrauen und schnell bilden sich Verschwörungstheorien. Es werden Hoffnungen geweckt, die häufig Enttäuschungen weichen müssen. Das erzeugt viel Frust und am Ende steht der Staatsverdruss.
Misstrauen und Diskreditierung
So auch bei diesem Projekt. Die Fachplanung wird erheblich angezweifelt, das Gutachten des Instituts für Bodenmechanik und Felsmechanik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wird als „nicht unabhängig“ diskreditiert und insgesamt alle Beteiligten als wenig intelligent: „So wurden andernorts Dämme auf intelligente Weise saniert und dabei die Bäume erhalten“, heißt es in einem aktuellen Flyer der BIG. Heißt: Das, was bislang vorgelegt wurde, ist eben nicht intelligent, also dumm.
Man fordert seriöse Informationen und wenn das Gutachten nicht zur eigenen Position passt, will man selbst ein Gutachten in Auftrag geben. Das sei dann im Gegensatz zu anderen Gutachten natürlich „unabhängig“. Als Beispiel für eine „intelligente Weise“ wird der Berliner Landwehrkanal aufgeführt, was äußerst unseriös ist. Denn hier handelt es sich um ein technisches Bauwerk und nicht um einen Fluß wie den Rhein. Es gibt keinen Damm und der Streit um die Bäume ist längst nicht beendet. Es wird behauptet, dass „renommierte Ingenieure“ und „Baumexperten“ festgestellt hätten, dass in „vielen Fällen“ Baume mit ihrem Wurzelwerk die Stabilität eines Damms sogar „deutlich verbessern“. Dokumente dazu kann man jedoch nicht vorlegen. Es gibt genau einen Gutachter, der das behauptet, aber nicht belegen kann.
Wer etwas anderes vorträgt, ist aus Sicht der BIG eben nicht mehr „renommiert“ und schon gar kein Experte.
Die Bäume werden fallen
Aktuell wird betont werden, dass man durch Druck erreicht habe, dass die grundsätzliche Aussage, dass die Bäume gerodet werden müssen, eben nicht zutrifft. Das wird als Erfolg verkauft werden, ist aber keiner, weil die zusätzlichen Informationen weggelassen werden.
Die Bäume auf dem Damm an sich werden gerodet werden müssen, ebenso wird ganz überwiegend eine baumfreie Zone von zehn Metern beidseits des Damms entstehen. In einzelnen Abschnitten könnte man auf vier Meter zurückgehen – allerdings mit erheblich höheren Kosten durch das Einbringen von Spundwänden und einem höheren Risiko, dass der Damm nicht verteidigt werden kann, wenn Bäume infolge einer Hochwasser-Starkwind-Kombination umfallen sollten.
Armin Stelzer, zuständiger Referatsleiter im Regierungspräsidium Karlsruhe, sagt: „Die Bäume auf und neben dem Damm hätten dort nie stehen dürfen.“
Es geht um die Extremsituation
Die Erfahrungen der vergangenen Hochwassser an Oder oder Elbe haben gezeigt, wie Bäume Dämme bei Dauerbelastung instabil machen und sogar brechen lassen – mit katastrophalen Folgen. Viele Menschen kamen ums Leben, die materiellen Schäden gingen in die Milliarden. Diese Erfahrung berücksichtigt die maßgebliche DIN 19712. Und auch das Beispiel Rheindamm Neuss, dass die BIG anführt, ist nicht zutreffend. Der Orkan „Ela“ hatte 2014 rund 160 der 250 Neusser Rosskastanien beschädigt, 50 sogar sehr stark. Die Folge: Der Damm wurde geschädigt – welch ein Glück, dass kein Jahrhunderthochwasser hinzukam.
Wer nun argumentiert, dass die Bäume doch seit Jahrzehnten auf dem Damm stehen und die Stadt in jüngerer Vergangenheit sogar junge Eichen dort gepflanzt habe, hat den Sachverhalt nicht verstanden. Die Sanierungsmaßnahme erfolgt nicht, weil man mal mit Hochwasser rechnet, sondern man geht von einem Horrorszenario aus: Ein Jahrhunderthochwasser kombiniert mit Starkwind (Sturm), über einige Tage oder länger andauernd.
Es geht also um eine Extremsituation, der der Damm standhalten muss, notfalls auch, indem man in direkt „verteidigt“, sprich mit schwerem Gerät (Lkw) Material zum Abdichten und Verstärken heranbringt. Dafür braucht es freie Dammverteidigungswege. Zusätzlich muss der Damm überall einsehbar sein, um mögliche Schäden früh zu erkennen.
Die Vorplanung sieht vor, an einzelnen Stellen Spundwände einzubringen. Die aktuelle Entwurfsplanung ebenso, aber nicht, weil das eine „gute Möglichkeit“ ist – es ist eine Kompromisslösung, weil es örtlich bedingt an Platz fehlt. Sonst müssten private Grundstücke herhalten. Auch wäre Streckenweise eine Dammverlegung denkbar – durch Eingriff in bestehende Kleingärten. Doch diese Lösung scheidet aus, denn das Land hat keine Ausgleichsflächen. Die Stadt könnte versuchen, welche anzubieten – der Protest der Kleingärtner ist dann programmiert.
Hier wird ein anderer, wesentlicher Aspekt deutlich, der bislang in der Debatte überhaupt keine Rolle spielt: Es wurde einfach viel zu nah ans Wasser gebaut. Die schöne Wohnlage im Schwarzwaldviertel dürfte es eigentlich gar nicht geben. Und auch Neckarau ist dem Rhein viel zu nahe gekommen.
Im Gegensatz zu anderen Dämmen schützt der Klasse 1-Damm RHD XXXIX eine hochwertige Infrastruktur und das Leben von zehntausenden Menschen. In einer Extremlage würden vermutlich viele Menschen zu Tode kommen, die Schäden wären derart enorm, dass es die Stadt Mannheim im Mark erschüttern würde.
Wer meint, das sei Angstmacherei, „so was hat man ja noch nie erlebt“, der sollte sich zu anderen Hochwasserkatastrophen erkundigen. Bevor die eintraten, hatte man das dort auch „noch nie erlebt“.
Selbstverständlich ist es sehr schade um den Baumbestand an und auf dem Damm, wo ein idyllischer Spazierweg lockt. Aber dieses Idyll ist im Extremfall tödlich. Es geht hier nicht um ein „nice to have“, sondern ein „must have“. Im Vordergrund steht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Und staatliche Behörden handeln verantwortlich, wenn sie Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen. Alles andere wäre unverantwortlich.
Natürlich weiß niemand, wann eine Jahrhundertflut kommt – sie kann auch länger als 100 Jahre nicht auftreten oder innerhalb weniger Jahre mehrmals. Anders ausgedrückt: Mannheim hat seit sehr vielen Jahren Glück, nicht von einer Jahrhundertsturmflut getroffen worden zu sein. Es kann dieses Jahr passieren, kommendes Jahr oder auch viele Jahrzehnte lang nicht. Wenn es passiert, ist ein stabiler Damm der einzige Schutz.
Man kann das „Kahlschlag“ oder „Massenabholzung“ nennen, oder lebensschützende Ertüchtigung. Die Kosten trägt für die Abschnitte 1-5 das Land, Abschnitt 6 gehört der Stadt. Sollte die Spundwand-Lösung an einzelnen Stellen umgesetzt werden, muss allerdings das Gehölz gepflegt werden, damit es nicht zu wuchtig wird. Auch hier entstehen Kosten, bei denen noch nicht klar ist, wer diese übernehmen wird. Das Land könnte gut argumentieren: „Ihr habt das so bestellt, also zahlt es auch.“
Aktuell hat sich Bürgermeisterin Felicitas Kubala (Grüne) in die Pflicht nehmen lassen. Sie hat mehr oder weniger versprochen, dass auch die Stadt ein Gutachten erstellen lassen wird, wenn es „Zweifel“ an der Entwurfsplanung gäbe. Natürlich muss sie als Grüne für den Erhalt der Bäume sein, wie auch der grüne Minister – was aber ist mit dem Schutz der Menschen? Was wiegt schwerer?
Was die BIG tatsächlich erreicht hat, ist eine Verzögerung des Projekt. Aktuell ist man mindestens ein halbes Jahr aus dem Zeitplan. Und es könnte sich, beispielsweise durch Klagen weiter verzögern. Doch was, wenn dadurch Zeit verloren geht und die Extremsituation eintritt? Wer übernimmt dann die Verantwortung? Die BIG bestimmt nicht.