Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar/Karlsruhe/Stuttgart, 06. Juni 2016. (red/ms) Die Unwetter der vergangenen Woche haben in ganz Baden-Württemberg für Verwüstungen gesorgt und schwere Schäden verursacht. Das Innenministerium will angeblich „unkomplizierte“ „Soforthilfe“ für Betroffene gewähren – doch die Hürden sind hoch. Die Behörden wirken unkoordiniert, ratlos, überfordert. Eine Dokumentation der Arbeitsschritte, die nötig waren, um elementarste Details zu klären.
Kommentar: Minh Schredle
Am Freitag veröffentlicht das Innenministerium Baden-Württemberg eine Pressemitteilung. Die Botschaft von Ministerpräsident Kretschmann (Grüne):
Wir wollen den Menschen helfen, die durch das Hochwasser am Wochenende ihr Hab und Gut verloren haben.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) führt aus:
Wir lassen niemanden alleine. Die Menschen erhalten unkomplizierte Hilfe.
Das sind ehrenwerte Ambitionen – in der Realität gestaltet sich die Krisenhilfe leider alles andere als unkompliziert.
Es geht um „lebensnotwendige Gegenstände“
Bis zu 2.500 Euro sollen pro Haushalt ausgezahlt werden, allerdings maximal 500 Euro pro Einzelperson. Das Geld solle laut Pressemitteilung dazu dienen, „zerstörte, aber für das Leben notwendige Gegenstände schnell wieder zu beschaffen“.
Dazu wird Herr Strobl bereits am Freitag folgendermaßen zitiert: Das Land schaffe die Voraussetzungen dafür, dass bereits im Lauf des Montags die Betroffenen diese Soforthilfe bei ihrer Gemeinde oder bei den Landratsämtern erhalten könnten. Die näheren Einzelheiten würden von den Landratsämtern zeitnah festgelegt.
Jetzt ist Montag – und unsere Redaktion bemüht sich, in Erfahrung zu bringen, wie die Soforthilfe konkret in Anspruch genommen werden kann und welche Voraussetzungen dafür erfüllt werden müssen – das Auskunftsverhalten der meisten Behörden ist allerdings verworren bis unwillig.
Schlechte Informationslage
Ein Anruf in den Morgenstunden, bei einem regionalen Landratsamt. Hier soll die Hilfe in Anspruch genommen werden können – allerdings weiß man dort noch über gar nichts Bescheid. Man werde sich erkundigen und zurückmelden.
Parallel geht die Anfrage an das Innenministerium raus. Ein Telefonat mit der Pressestelle – dann die Bitte die Fragen schriftlich zu formulieren. Man müsse die Anfrage an die zuständigen Fachbereiche weiterleiten.
Das Thema drängt – schließlich sollte „Soforthilfe“ so schnell wie möglich in Anspruch genommen werden. Wir setzen also eine Frist bis 14:00 Uhr und bitten um eine Rückmeldung, wenn eine Beantwortung bis dahin nicht möglich sein sollte. Drei Stunden später: Keine Rückmeldung.
Wenigstens ein paar Details
In der Zwischenzeit geht allerdings ein Rückruf vom Landratsamt ein: Es werde ein Antragsformular geben, das man ausfüllen müsse, um die Soforthilfe in Anspruch nehmen zu können.
Wer ledig ist und über ein Jahreseinkommen von mehr als 25.000 Euro verfügt und Familien, die im Jahr mehr als 50.000 Euro verdienen, haben keinen Anspruch auf Ersatz.
Außerdem müsse man glaubhaft versichern können, dass die Schäden durch das Unwetter verursacht worden sind und nicht von einer Versicherung abgedeckt werden.
Wie genau dieser Nachweis erbracht werden soll, bleibt unbeantwortet. Ebenso wie die Frage, wo man das besagte Antragsformular herbekommt.
„Stellen Sie Ihre Fragen bitte schriftlich“
Also folgt der Anruf beim Regierungspräsidium. Noch bevor ich die ersten Fragen gestellt habe, unterbricht mich der Pressesprecher:
Stellen Sie Ihre Anfragen bitte schriftlich. Es kann sein, dass ich das an Fachbereiche weiterleiten muss.
Ich bemühe mich zu erklären, warum das Thema dringlich ist und weswegen es wünschenswert wäre, zumindest die wesentlichen Fragen – also was jemand tun muss, um Hilfe zu erhalten – jetzt direkt zu klären. Ich schließe die Frage an, ob man unserer Redaktion nicht zumindest den Erlass zulassen kommen könnte, schließlich muss dieser ja zumindest ein paar wichtige Details enthalten. Die Antwort:
Nein.
Es sei „nicht üblich“, einen Erlass weiterzuleiten. Die Bitte:
Stellen Sie ihre Anfrage doch schriftlich, dann bearbeiten es die zuständigen Abteilungen.
Um 12:06 Uhr geht die Anfrage raus – nach zwei Stunden keine Rückmeldung. Um 14:42 Uhr erhalten wir allerdings eine Pressemitteilung, die nahezu wortgleich mit der vom vergangenen Freitag ist und die keine relevanten Neuigkeiten enthält. In der Mail versichert ein Pressesprecher, er werde sich „gleich“ melden.
Bitte haben Sie Verständnis…
Ein Schritt zurück: Um 14:04 Uhr klingelt das Telefon. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärt:
Eine Rückmeldung bis 14:00 Uhr wird nicht möglich sein.
Aha.
Immerhin: Man rechne damit, dass man die Fragen „irgendwann im Lauf des Nachmittags“ beantworten werden könne. Bis jetzt (Stand 16:32 Uhr) ist das nicht passiert.
Es fällt schwer, in Situationen wie diesen professionell zu bleiben. Ich dränge darauf, dass man mir doch bitte mitteilen möge, was genau Menschen, die betroffen sind, die „für das Leben notwendige Gegenstände“ schnell ersetzen müssen, tun müssen, damit ihnen geholfen wird. Die Antwort:
Bitte haben Sie Verständnis, dass auch die Behörden in solchen Situationen Zeit brauchen.
Dass Krisen Chaos verursachen, kann man niemandem zum Vorwurf machen. Aktuell wirkt die Koordination aber einfach nur katastrophal.
Wo ist denn jetzt die unkomplizierte Soforthilfe?
Die schwersten Schäden entstanden bereits zwischen dem 27. und 30. Mai. Was noch eine Woche danach noch „Soforthilfe“ sein soll und wie die Betroffenen in der Zwischenzeit ohne „lebensnotwendige“ Gegenstände ausgekommen sind, bleibt unbeantwortet.
Das Innenministerium und Ministerpräsident Kretschmann versprechen, es werde niemand allein gelassen und es gebe unkomplizierte Hilfe. Bislang ist eher das Gegenteil der Fall.
Gegen 15:00 Uhr erreicht unsere Redaktion ein Anruf aus dem Regierungspräsidium, der endlich Klarheit schafft – gerade einmal fünf Stunden nach Beginn der Recherche, wie man „Soforthilfe“ beanspruchen kann. Lesen Sie dazu diesen Text.