Mannheim/Karlsruhe, 16. Juli 2018. (red/pro) Die teils aggressiv ablehnende Haltung vieler Bürger gegenüber der Sanierung des Rheinhochwasserdamms XXXIX zeigt ein ernstes politisches und soziologisches Problem auf: Viele misstrauen grundsätzlich staatlichen Behörden, ganz egal, wie die Faktenlage ist. Welche Ursachen hat der Unfrieden in der Bürgerschaft und welche Folgen hat das? RNB-Redaktionsleiter Hardy Prothmann kommentiert schwierige Zeiten und eine noch schwierigere Zukunft.
Kommentar: Hardy Prothmann
Die Situation ist folgende: Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat analysiert, dass der Rheinhochwasserdamm XXXIX im Mannheimer Süden dringend sanierungsbedürftig ist. Die Hauptgründe: Der Damm ist marode und im Fall eines Dammbruchs ist das Schadenspotenzial erheblich, sogar “fatal”. Der Damm soll als technisches Bauwerk nach den neusten Erkenntnissen und Vorschriften ertüchtigt werden. Das Problem: Über Jahrzehnte hat sich am und auf dem Damm eine baumreiche Auenwaldlandschaft entwickelt, ein Naherholungsgebiet von hohem emotionalem Wert in der Bürgerschaft. Weil über 1.000 große und vermutlich insgesamt zwei oder drei Mal so viele Bäume gefällt werden müssen, kocht der Volkszorn.
Die Planer stellen sich das Worst-case-Szenario vor: Ein “200-jähriges Hochwasser” inklusive einem Starkwindereignis, das Bäume entwurzelt und umreißt. Stehen diese zu nah oder sogar auf dem Damm, würden die Wurzelteller Löcher in den Damm reißen, die Bäume könnten auf den Damm stürzen, weiter Wasser aufstauen und Wirbel erzeugen, aber noch viel schlimmer, Zufahrtswege versperren oder sogar das Leben von Arbeitern gefährden, die den Damm verteidigen wollen.
Bräche der Damm, würden Niederfeld, Neckarau, Teile von Linden- und Almenhof bis zu vier Meter hoch im Wasser stehen. Der Schaden wäre gigantisch und ginge in die Milliarden. Wann es zu einem solchen Szenario kommen könnte, weiß niemand. Dass es andernorts dazu gekommen ist, ist belegt.
-Anzeige- |
Mehr als erstaunlich ist, dass Bürger nicht zugänglich für Fakten und Argumente sind. Noch erstaunlicher ist, dass vielen Bürgern Bäume wichtiger sind, als der Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums.
Richtig ist, dass der Waldpark ein beliebtes und wichtiges Naherholungsziel ist. Richtig ist aber auch, dass der Rheinhochwasserdamm ein technisches Bauwerk ist, das in die Jahre gekommen ist und dringend erneuert werden muss, bevor der mögliche “schlimmste Fall” eintritt.
Falsch war, dass man in der Vergangenheit zugelassen hat, dass am und auf dem Damm sich eine Waldlandschaft entwickelt hat. Falsch war auch, dass man von Seiten der Stadt Mannheim sogar aktiv Bäume dort gepflanzt hat. Wenn die Bürger sich nun empören und meinen, warum Bäume denn weg müssten, wenn doch immer wieder und auch erst in jüngerer Zeit welche gepflanzt worden sind, dann gibt es eine Antwort: Das war nach den Erfahrungen der vergangenen Hochwasser von Elbe und Donau ein Fehler, der nun korrigiert werden soll.
Die Forderung, möglichst viele Bäume zu erhalten, der sich die Parteien und Wählerlisten “volksnah” anschließen, zeigt den ewigen Wettstreit zwischen Individualinteressen und Gemeinwohlinteressen, der immer bitterer geführt wird: “Not in my backyard”. Man kann alles mögliche machen, aber nicht, wenn es mich betrifft. Betroffen sind aktuell die Anwohner und alle, die den Waldpark nutzen.
Armin Stelzer, verantwortlicher Fachbereichsleiter beim Regierungspräsidium Karlsruhe, hat die undankbare Aufgabe umzusetzen. Glaubt wirklich irgendjemand, dass der Fachmann aus Lust und Laune mal eben ein paar tausend lieb gewordene Bäume fällen lassen will? Glaubt jemand wirklich, dass ihm der Stress mit ärgerlichen bis zornigen Bürgern Spaß macht?
Tatsache ist, dass der Geschäftsführer des Landesbetriebs Gewässer, Verantwortung trägt: “Wenn der Damm aufgrund unsachgemäßer Sanierung bringt, klingelt der Staatsanwalt bei mir persönlich”, sagt Herr Stelzer.
Tatsache ist auch, dass die betroffenen Stadtteile eigentlich nie hätten errichtet werden dürfen. Das Land, wo man idyllisch in der Nähe des Waldparks lebt, gehört eigentlich dem Rhein. Der Damm muss dieses Land schützen. Vergleicht man den vermeintlichen Schaden der Rodungen mit den Auswirkungen eines Dammbruchs, dann wirkt das wie ein Kratzer im Vergleich zu einem Totalschaden eines Superluxusautos.
Dass die Bürger immer weniger bereit sind, staatlichem Handeln zu trauen, hängt mit vielen Faktoren zusammen. Unter anderem spielen “die Medien” eine große Rolle, also alle die Medien, die fast ausschließlich durch Skandalisierung staatlichen Handelns den Zweifel nähren und mehren. Hinzu kommen die (a)sozialen Neuen Medien, wo sich Wutgruppen in Echoblasen ihre und keine andere Sicht ständig bestätigen. Dazu kommt der durch das Internet schier unendliche Zugang zu Informationen, die mit vielen als Wissen verwechselt wird. Nicht nur der Hausarzt stöhnt, wenn der Patient übers Internet bereits “fachmännisch” die Diagnose und die Behandlungsmethode zu kennen glaubt.
Ja, auch der Staat macht Fehler. Und ja, Bürger können sich durch Beteiligung einbringen. Unser erster redaktioneller Grundsatz heißt: “Traue keinem!” Liegen die Bürger also richtig? Unser zweiter Grundsatz heißt: “Ohne Vertrauen ist alles nichts.”
Ja, der Staat ist verpflichtet, transparent zu handeln. Das macht das Regierungspräsidium Karlsruhe. Die Bürgerinformation ist mehr als umfassend. Alle Bürger haben die Möglichkeit, sich zu informieren und sich zur Sachlage kundig zu machen. Und ja, dabei kann man auch prüfen, wie andernorts Lösungen gefunden wurden. Dabei spielen aber alle Fakten eine Rolle und nicht nur die, die einem gerade zur eigenen Sicht passen. Ja, am Störkanal bei Schwerin stehen weiter Bäume auf dem Damm. Aber: Dort beträgt der Hochwassserabfluss 6 Kubikmeter in der Sekunde, beim Pegel Speyer sind es 5.400 Kubikmeter in der Sekunde. Wem das egal ist, dem ist nicht mehr zu helfen. Dann wird jede inhaltliche Auseinandersetzung absurd und vergeblich.
Tatsache ist, dass das Regierungspräsidium viel mehr Geld ausgibt, als es müsste – durch den Einsatz von Spundwänden, die die Kosten von 2.600 Euro für den Meter Damm um 2.000 Euro erhöhen. Dadurch ist ein schmaleres Profil möglich und der Eingriff in Grundstücke muss nicht erfolgen, denn das müsste sein, wenn man den Damm als Erdbauwerk ohne Rücksicht auf Verluste sanieren würde.
Aktuell erarbeitet das Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT, eine Technische Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft, ein geologisches Gutachten. Das sei aber kein “Baumgutachten” meinen die Kritiker und fordern ein “unabhängiges” Gutachten, denn dem vom KIT sei “nicht zu trauen”. Oha. Bevor man also das Ergebnis und den Inhalt kennt, weiß der Wutbürger bereits, dass gelogen wird. Das ist eine Form von destruktivem Misstrauen, dass jedes vernünftige gesellschaftliche Miteinander ad absurdum führt.
Absurd ist auch, wie in vielen anderen Fällen, dass man dem Staat grundsätzlich misstraut, dann aber die Gerichtsbarkeit bemüht, um Vorhaben zu verhindern, was meist eben nicht erreicht werden kann, aber wenigstens in die Länge gezogen wird. Häufig erhöhen sich dadurch die Kosten, in diesem Fall verminderte sich über Jahre die Sicherheit von Menschen, Eigentum und Infrastruktur. Doch das nimmt der Bürger, der alles besser weiß als die Fachleute, in Kauf. Denn er hat sich ja schlau gemacht und wird in seinen sozialen Netzwerken durch andere Schlaubürger bestätigt, ebenso wie durch gewisse Medien, die lieber den Volkszorn bedienen, als den Verstand.
Es wird also vermutlich ein weiteres Gutachten geben. Auch hier ist der Streit schon programmiert, denn die Bürger-Interessen-Gemeinschaft (BIG) Lindenhof will bei der Vergabe mitwirken. Dabei ist es deren Mitgliedern vollständig egal, dass sie dazu nicht legitimiert sind. Wenn sie politische Teilnahme wünschen, sollen sie zur Kommunalwahl 2019 antreten und versuchen, Gemeinderatsmandate zu erlangen. Dann haben sie eine politische Vertretung und möglicherweise kommt man dann zur Einsicht, dass es nicht darum geht, was “Einzelinteressen” wollen, sondern man immer das Gemeinwohlinteresse abwägen muss.
Es gilt das Gutachten abzuwarten und zu prüfen. Sollten weitere Zweifel bestehen, kann man weitere Aufklärung verlangen. Aber nur konkret in der Sache mit allen Argumenten und nicht nur denen, die einem passen.
Anm. d. Red.: Das Rheinneckarblog ist als kritisches Medium bekannt, dass immer dann, wenn gegeben, politische Abläufe als Problem darstellt und die Fakten benennt. Wir schreiben niemandem nach dem Mund und schon gar nicht gegen irgendeine Bezahlung. Unsere Arbeit ist durch Recherche, Analyse und Berichterstattung geprägt, die sich mal für, mal gegen politische Akteure stellt. Im vorliegenden Fall verteidigen wir nicht das Regierungspräsidium Karlsruhe, obwohl uns dessen Handeln als zutreffend erscheint, sondern gegen Bürger und deren Uneinsichtigkeit.