Mannheim/Rhein-Neckar, 28. August 2013. (red) Eigentlich hätte alles bis auf den Lärm der Nazi-Gegendemonstranten „geräuschlos“ abgehen können. Doch dann kam es zum Show-Down. Polizisten verfolgten Gegendemonstranten und ließen an der Kampfbereitschaft keinen Zweifel. Drei Personen wurden verhaftet. Die Begründung ist lächerlich – wenn man Vergleiche zieht. Und die müssen gezogen werden.
Kommentar: Hardy Prothmann
Als politischer Journalist hat man die Aufgabe, so exakt wie nur möglich zu recherchieren, Informationen einzuordnen und der Öffentlichkeit das Ergebnis ohne Rücksicht auf „Befindlichkeiten“ zu präsentieren.
Die Kurzfassung zum Polizeieinsatz bei der NPD-Kundgebung, die eine Gegendemonstraton auf den Plan gerufen hat, ist diese: Unverhältnismäßiger Aktionismus beschädigt Ruf der Mannheimer Polizei.
Unverhältnismäßigkeit
Die Langfassung ist differenzierter.
Am Sonntag gab es einen Großeinsatz der Polizei in Mannheim. Rund 150 Chaoten, die angeblich Waldhof-„Fans“ sein wollen, in Wirklichkeit aber asoziale Gewalttäter sind, haben als zerstörungswütiger Mob versucht, nach einem Fußball-Spiel die Fans der „Gegenseite“ Offenbach anzugreifen. Weil die Polizei das nicht zuließ, wurde die Polizei angegriffen. Es flog gezielt alles Mögliche. Steine, Flaschen, Rauchbomben. Chaos auf der Straße. Wasserwerfereinsatz. Sieben Polizisten wurden (leicht) verletzt. Geschätzte Kosten: Rund 700.000 Euro.
Festnahmen: 8.
Am Dienstag haben weit über 200 Gegendemonstranten eine angemeldete Kundgebung der rechtsextremen NPD niedergelärmt. Die allermeisten friedliche Bürger/innen. Zehn Neo-Nazis, darunter der NPD-Chef Holger Apfel zogen nach einer Stunde entnervt ab. Es flogen Tüten, Bierdeckel, Eier, Tomaten und angeblich auch eine (sic!) Wasserflasche (ob Glas oder Kunststoff wurde nicht mitgeteilt). Niemand ist verletzt worden. Personen- und Sachschäden: Null. Geschätzte Kosten: Keine Angabe.
Festnahmen: 3.
Die Bilanzen dieser Einsatze innerhalb von drei Tagen können nicht unterschiedlicher sein. Auf Nachfrage erklärt die Polizei, dass beim Einsatz gegen die Gewalt-Chaoten die „Gefahrenabwehr Priorität vor der Strafverfolgung“ hatte.
Ganz ehrlich? Geht’s noch? Heißt das im Umkehrschluss, dass je gewalttätiger Gruppen auftreten, desto eher keine Strafverfolgung zu „befürchten“ ist? Das wäre vollkommen absurd.
Kleiner Jagderfolg gefällt nicht
Verlangt die Polizei „Verständnis“ dafür, dass eine Horde von blindwütigen Gewalttätern außerhalb jeglicher politischer Motivation gegen 1.300 Polizisten machen kann, was sie will, während Demonstranten gegen eine rechtsextreme, fremdenfeindliche und demokratiebedrohende Partei mit der vollen Härte der „Exekutive“ rechnen müssen?
Oder brauchte die Polizei mal einen kleinen „Durchsetzungserfolg“ mit der Jagd auf ein paar Antifas? Zur Kühlung des Gemüts?
Der grüne Stadtrat Gerhard Fontagnier, stellvertretender Versammlungsleiter gegen die Nazi-Kundgebung, sagt:
Wir kennen die Polizei in Mannheim bisher als sehr besonnen und verhältnismässig – dies war leider fie gegenteilige Erfahrung. Wir werden ein Nachgespräch verlangen, denn wir wollen, dass die Anti-Nazi-Aktionen auch zukünftig friedlich ablaufen. Nur dann wird sich eine breite Mehrheit beteiligen.
Und mit dieser kurzen Analyse hat er Recht.
Niemand hat das Recht mit irgendwas zu werfen
Selbstverständlich hat niemand auf politischen Demonstrationen mit irgendwas auf irgendwen zu werfen. Und selbstverständlich hat die Polizei als legitimierte Institution das Recht und die Pflicht, die „Staatsgewalt“ gegen alle zu richten, die den Frieden bedrohen.
Wenn aber Fußball-Gewalttäter, die oft eher „nicht links“ sind, bei Straßenschlachten nicht verfolgt werden, dafür aber „linke“ Eier-Werfer, nachdem die „Konfrontation“ vorbei ist, muss sich die Polizei nicht wundern, wenn sie eigenverantwortlich ihren in Mannheim guten Ruf beschädigt.
Es ist absolut richtig, Eier-Werfer in ihre Schranken zu weisen. Die Frage ist nur, ob man das mit kampfbereiten Bereitschaftspolizisten bei einer vergleichsweise „ultra“-harmlosen Veranstaltung machen muss, während man gleichzeitig Hardcore-Gewalttäter ziehen lässt?
Missverständisse oder Missverhalten?
Die Verständnisfolgen sind fürchterlich: Anti-Nazis werden kriminalisiert, während echte Kriminelle „zugelassen“ werden. Brutale Gewalttäter dürfen alles, Antifaschisten nichts. Die Polizei schützt Nazis und verhaftet Gegendemonstranten. Schlägertrupps werden nicht angetastet.
Solche Interpretationen kann niemand wollen. Solche Interpretationen sind schädlich. Für das gute Ansehen der Polizei, für ihre wichtige Funktion innerhalb einer demokratischen Gesellschaft. Und ein vollkommen falsches Signal in alle Richtungen.
Ich habe den jungen Polizisten in die Augen geschaut. Ein Pups hätte die zum Explodieren gebracht.
So beschreibt Gerhard Fontagnier die Stimmung am Dienstag vor Ort. Er beschreibt weiter Provokationen. Schubsen, drängeln, massives Auftreten. Eben ein unverhältnismäßiges Handeln – vor allem durch die Polizei.
Das ist äußerst bedauerlich. Für den demokratischen Sinn der Gewaltenteilung, für die Mannheimer Stadtgesellschaft.
Ob der Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz dazu auch „klare Worte“ findet? Das wäre sehr zu wünschen.
Ich bin aus Überzeugung ein bekennender Unterstützer der Polizei – im Sinne ihres Auftrags im demokratischen Gemeinwesen. Ob bei Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung. Und weil ich die Aufgaben der Polizei so überaus wichtig finde, muss ich sie als politischer Journalist auch entsprechend kritisch begleiten.
Ohne Not den eigenen, sehr guten Ruf beschädigt
Hätte die Polizei am Sonntag die asoziale Gruppe der Gewalttäter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – auch harter Gewalt – verhaftet und der Iudikative übergeben, hätte man sie (die Verhältnismäßigkeit immer vorausgesetzt) dafür loben müssen. Doch das hat sie nicht.
Hätte die Polizei am Dienstag alle Störer (die Verhältnismäßigkeit vorausgesetzt) während der Veranstaltung entfernt, hätte man sie dafür loben müssen. Doch das hat sie nicht.
Wer sich differenziert mit solchen Einsätzen auseinandersetzt, weiß, dass es niemals „die eine Wahrheit“ gibt. Der weiß auch, das jeder Einsatz anders ist.
Aber der weiß auch, dass die Mannheimer Polizei (unter Beteiligung von Einsatzkräften von auswärts) ohne Not den eigenen seit vielen Jahren tatsächlich sehr, sehr guten Ruf beschädigt hat.