Rhein-Neckar, 26. Februar 2017. (red/pro) Ein Polizeieinsatz ist am Samstagnachmittag von einem Passanten aufgenommen und unmittelbar danach auf Youtube veröffentlicht worden. Es kam zum Schusswaffeneinsatz durch einen Beamten. Die Aufnahmen liefern wertvolle Hinweise auf den Ablauf des Ereignisses – trotzdem sind sie hochgradig problematisch. Wir erklären, warum.
Von Hardy Prothmann
Viele Medien setzen auf Aktualität. Sie wollen die ersten sein, die ein Ereignis berichten.
Wir setzen auf Relevanz – wir wollen das Medium sein, das Ereignisse einordnet, über gesicherte Hintergründe und Zusammenhänge informiert. Auch, wenn wir nicht die ersten sind.
Alle Medien haben heutzutage eine Konkurrenz und die heißt „Handy-Besitzer“.
Kein Medium hat in Sachen Aktualität heutzutage den Hauch einer Chance gegen Leute, die ein Mobil-Phone mit Kamera haben. Egal was auf dieser Welt passiert, die Menschen, die aktuell vor Ort sind, holen das Handy raus, halten drauf.
Ruckzuck wird der Inhalt über Whatsapp, Facebook, Twitter oder was auch immer veröffentlicht und weiterverteilt. Es gibt keinen rasenden Reporter, der schnell genug sein könnte, um schneller als die Privatleute mit dem Handy zu sein.
Diese Privatleute veröffentlichen ohne jede Prüfung. Ohne jeden Check. Ohne jede Kontrolle. Und ohne eine Ahnung davon, warum Checks und Kontrollen wichtig und notwendig sind, bevor man Öffentlichkeit herstellt.
Journalisten unterliegen der „Sorgfaltspflicht“. Die ist in den meisten Pressegesetzen geregelt und verpflichtet Journalisten, vor Veröffentlichung von Informationen diese eben sorgfältig zu prüfen.
Polizeieinsätze im öffentlichen Raum dürfen aufgenommen und berichtet werden – das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Geklagt hatte ein Zeitungsverlag – um journalistische Berichterstattung zu ermöglichen.
„Journalismus“ als Beruf ist an keine Regelung gebunden, sondern basiert auf Artikel 5 Grundgesetz – danach kann jeder Journalist sein. Ist das wirklich so? Ja. Jeder kann öffentliche Quelle sein,
Aber jeder Journalist ist auch an andere Rechtsgüter gebunden und kann nicht auf Teufel komm raus Öffentlichkeit herstellen, wie er will. Journalismus ist ein Beruf und nicht jeder, der sich so nennt, weiß, was der Unterschied zwischen privat und öffentlich ist.
Jeder Journalist fängt mal an – auch der Filmer der Einsatzszene in Heidelberg könnte zum ersten Mal journalistisch tätig gewesen sein. Aber damit muss er jede Menge rechtliche Fragen klären. Das unterscheidet ihn nicht vom Hähnchen-Griller oder Waschsalon-Betreiber. Jeder Beruf hat Rahmenbedingungen, die geregelt sind und eingehalten werden müssen.
Es gibt kein Recht in Deutschland, das jedem die Aufnahmen von Personen im öffentlichen Raum und die spätere Veröffentlichung im Internet grundsätzlich erlaubt. Um es anders verständlich zu formulieren: Nur weil jemand ein Gerät hat, das Foto- oder Video-Aufnahmen ermöglicht und dieses Gerät einen Zugang zum Internet hat, leitet sich daraus nicht ab, dass Foto- und Videoaufnahmen dort auch veröffentlicht werden dürfen.
Hier hat der Gesetzgeber bislang vollständig versagt, weil eigentlich die Sachlage klar ist, aber die öffentliche Information nicht.
Die Aufnahme von Fotos oder Videos im öffentlichen Raum sind möglich – aber nicht immer und schon gar nicht pauschal. Die Veröffentlichung solcher Aufnahmen macht jeden zum „Medium“ – und jeder unterwirft sich damit den Pressegesetzen. Ist das so? Hier fehlt eine klare Regelung.
Warum ist die Veröffentlichung des Einsatzvideos ein Problem? Diese Frage hat so viele Hintergründe, dass wir die hier nicht darstellen können. Aber so viel: Der Veröffentlicher hat kein Impressum und ist unbekannt. Es könnte zu massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen gekommen sein. Derjenige, der das Video aufgenommen und veröffentlicht hat, hat nur seine „Perspektive“ , aber keine recherchierten Hintergründe. Es ist mehr als fraglich, ob der Aufnehmer überhaupt versteht, was er gefilmt hat.
Leute, die Fotos und Videos von Ereignissen veröffentlichen, tun das häufig ohne jede Ahnung, welche Folgen daraus erwachsen können. Es scheint so einfach – aber so einfach ist es eben nicht.
Private Aufnahmen sind häufig Quellen wildester Spekulationen. Sie fachen die Gerüchteküche an. Sie wirken „authentisch“, sind es aber meistens nicht. Sie zeigen nur die jeweilige Perspektive ohne jede Einordnung in einen Zusammenhang.
Beim Video zum Polizeieinsatz in Heidelberg sieht man nicht viel – nur, dass ein Polizeieinsatz läuft und Dienstwaffen gezogen und in Anschlag gebracht sind. Wie sich der Tatverdächtige verhält, sieht man nicht. Nur, dass ein Beamter schießt und dann hört man Schreie und Stöhnen. Mutmaßlich durch die Person, die angeschossen worden ist.
Wer unser Berichterstattung verfolgt, weiß, dass wir „polizeifreundlich“ berichten. Wer uns genau verfolgt, weiß auch, dass wir immer kritisch sind. Auf dem Video auf Youtube ist nicht zu sehen, dass die Schussabgabe zwingend notwendig war. Was das bedeutet, können wir aufgrund des Videos nicht beurteilen, das ist Sache der Ermittlungsbehörden.
Es hat den Anschein, dass der Beamte Distanz hergestellt und letztlich geschossen hat, weil er angegriffen worden ist – auf dem Video sieht man das nicht. Deswegen wird es wie immer bei Schusswaffengebrauch durch Polizeibeamte ein Verfahren geben. Das ist Standard und gut und richtig so in einem Rechtsstaat – das Verfahren richtet sich nicht gegen den Beamten. Es wird offen geprüft, ob und warum eine Schussabgabe notwendig war.
So tragisch die Vorkommnisse sind – ein 73 Jahre alter Mann ist verstorben – es obliegt dem Rechtsstaat, die Zusammenhänge zu prüfen und zu klären.
Wer wenige Stunden nach diesem „Ereignis“ schon Resultate fordert, weiß oder hält nichts vom Rechtsstaat. Der braucht immer Zeit, um Sachverhalte zu klären. Das entscheidet ihn fundamental von „Hängt-ihn-höher“-Rufern.
Gescheiter wäre es, wenn der Filmer das Video der Polizei als Ermittlungsbehörde zur Verfügung gestellt hätte und den Medien, damit sich diese wie die Polizei einen Eindruck verschaffen können.
Polizei und Medien kennen das Video. Es ist hochgradig problematisch und wäre von uns im Gegensatz zur RNZ nie veröffentlicht worden.
Es ist für uns eine Quelle – die wir checken, sofern das möglich ist.
Der Aufnehmer hat Öffentlichkeit hergestellt. Nichts gecheckt. Nichts analysiert.
Es ist besser, solche Aufnahmen insbesondere den Ermittlungsbehörden zugänglich zu machen – und Medien und eben nicht der Öffentlichkeit.
Die Gerüchteküche kocht gerade, was zeigt, wie wenig so sorgsam eine unprofessionelle Öffentlichkeit ist.
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