Mannheim/Rhein-Neckar, 26. Juni 2013. (red/ae) Am Sonntag fand im Rahmen der 17. Internationalen Schillertage im Mannheimer Schnawwl die Doppelvorstellung „Mit den Augen der Anderen“ statt – ein internationales Kooperationsprojekt des Schnawwls mit dem ägyptischen Alexandria. Aufgeführt wurden die Stücke „Ein erster Schritt“, eine Interpretation von Schillers “Wilhelm Tell“, und „König Hamed und das furchtlose Mädchen“.
Von Alina Eisenhardt
Es ist ein Projekt, das Kulturen zusammenführt. Das Kooperationsprojekt mit dem Teatro Alexandria und I-Act ist das zweite internationale Theaterprojekt des Schnawwls. Seit Anfang 2012 beschäftigten sich beide Theater mit dem Thema „Freiheit“. Am Sonntag kamen rund 70 Zuschauer zusammen, um das Ergebnis der Zusammenarbeit zu betrachten.
„Mit den Augen der Anderen“ – der Titel ist Programm. Beide Theater bearbeiteten eine Inszenierung aus dem Kulturgut des Partnerlandes und interpretierten es neu. So konnte sowohl Deutschland als auch Ägypten, ein national-bedeutendes Stück mit den Augen des Anderen betrachten.
Ein erster Schritt: Wilhelm Tell auf arabisch
Der deutsche Autor des Stücks „Wilhelm Tell“, Friedrich Schiller, war Dichter, Philosoph und Historiker. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dramatiker und Lyriker. Theaterstücke wie „Die Räuber“, „Don Carlos“ und „Kabale und Liebe“ gehören zum Standardrepertoire der deutschsprachigen Theater. So auch „Wilhelm Tell“.
Mit dem Stück „Ein erster Schritt“ erzählte das Teatro Alexandria auf arabisch, die durch Schillers Drama bekannt gewordenen Legende von Wilhelm Tell.
Die Inszenierung kam sehr gut bei den Zuschauern an. Obwohl das Stück in arabischer Sprache aufgeführt wurde, verfolgten die Zuschauer gespannt die Handlung. Zentral im gesamten Stück ist das Thema Freiheit. Besonders durch den arabischen Frühling erhält das Stück für die Ägypter eine ganz besondere Bedeutung.
Was ist Freiheit?
In Uris Hauptort Altdorf soll eine habsburgische Zwingburg zum Ende der alten Reichsfreiheit der Innerschweizer Orte errichtet werden. Der Hut des Vogtes Hermann Gessler wird dort auf eine Stange gesteckt. Alle sollen diesen Hut ehren, wie den Landvogt selbst.
Wilhelm Tell bricht mit seinem Sohn Walter nach Altdorf auf, um die Tyrannei zu beenden. Als sie an der Zwingburg vorbeikommen, ehrt Tell den Gesslers Hut nicht. Er wird von Gesslers Ordnungshütern verhaftet. Ihm und seinem Sohn droht die Todesstrafe.
Zur Rettung beider Leben und für Tells Freilassung verlangt Gessler von Tell, einen Apfel vom Kopf des eigenen Kindes zu schießen. Tell nimmt zwei Pfeile aus seinem Köcher und trifft den Apfel beim ersten Schuss. Gessler will wissen, wofür der zweite Pfeil bestimmt war. Als Tell ihm antwortet, der zweite Pfeil sei für Gessler bestimmt gewesen, hätte er seinen Sohn getroffen, lässt Gessler ihn einkerkern.
Doch Wilhelm Tell kann fliehen. Er lauert Gessler in der hohlen Gasse bei Küssnacht auf und erschießt ihn mit einem Pfeil. Das Treiben des Vogtes hat ein Ende.
Wie gefährlich kann Freiheit sein? Wie weit darf man gehen, um frei zu sein? Ist Freiheit immer postiv? Zu Beginn sind die Zuschauer skeptisch. Wie kann ein Ensemble, dass das Stück noch dazu in einer völlig fremden Sprache aufführt, ein so tiefsinniges Drama verständlich für uns Deutsche inszenieren?
International verständlich
Doch die fünf Darsteller Abeer Ali, Simone Oswald (Erzählerin), Essam Ali, Mohamed Ameen und Ahmed Ezzat konnten in ihren Rollen überzeugen. Kaum einer der Besucher verstand ein Wort. Nur die wichtigsten Stellen wurden übersetzt. Dennoch konnte man der Handlung mühelos folgen. Die Darsteller beeindruckten durch ihre Körpersprache und ihr Talent.
Ganz im Sinne des Themas nahmen sich die Darsteller immer wieder die Freiheit, während der Vorführung in zahlreiche Diskussionen zu verfallen. War Wilhelm Tells Tyrannenmord richtig, oder ist Mord keine Lösung? Muss nur der Hut vom Stab? Endet das Stück gar ganz ohne den Tod des Tyrannen? Das Ensemble kann sich kaum einigen.
Der Tyrann Gessler stirbt am Schluss zwar, die arabische Interpretation des Stücks ist dennoch eine andere als die deutsche. In ihren Augen ist Sohn Walter Tell der wahre Held, da er sich angstfrei dem Tyrannen entgegen stellt und somit einen ersten Schritt für die Revolution macht.
König Hamed und das furchtlose Mädchen
Die zweite Aufführung „König Hamed und das furchtlose Mädchen“ wurde direkt im Anschluss aufgeführt. Deutsche Darsteller beschäftigten sich mit dem arabischen Märchen und interpretierten es neu.
König Hamed kehrt nach acht Jahren erfolgreich aus dem Krieg. Er freut sich sehr auf seine Frau. Doch er findet die Königin in den Armen eines Anderen. Aus Wut verbannt er alle Frauen aus dem Königreich. Nur eine Frau darf bleiben: Seine Mutter. Er verhängt ein Todesurteil über jede Frau, die sein Reich betritt.
Prinzessin Sherifa will wissen, wie ein Land ohne Männer aussieht. So wird aus der Prinzessin Sherifa der Prinz Sharif. Sie macht sich auf den Weg zu König Hamed. Der König verliebt sich in die Prinzessin. Er ahnt, dass Prinz Sharif eine verkleidete Frau ist.
Der König sucht Rat bei seine Mutter. Diese empfiehlt, den Gast mit etlichen Prüfungen zu testen. So stellt Hamed Prinz Sharif unter anderem auf dem Markt vor die Wahl zwischen Schmuck oder Waffen und reicht ihm zu scharfes Essen. Doch Prinzessin Sherifa besteht alle Prüfungen. Der König ist verwirrt. Er ist überzeugt, dass Prinz Sharif eine Frau ist. Auch seine Mutter sagt:
Es muss eine Frau sein – sie ist gewitzter als du.
Schließlich will der König beim Baden im Meer einen Blick auf Prinz Sharifs Körper werfen. Die Prinzessin entkommt beim Baden aber auf ein Schiff, bevor der König einen Blick erhaschen kann.
Sharifa hinterlässt eine Botschaft, die sie ins Stadttor geritzt hatte:
Als Frau bin ich gekommen, als Frau geschieden, Dir, König Hamed bin Bathara, Trotz zu bieten.
König Hamed sucht die Prinzessin, um das Todesurteil zu vollstrecken. Als er Sherifa findet, kann sie ihn jedoch überzeugen, von seinem Vorhaben abzulassen. Schließlich lässt König Hamed alle Frauen in sein Reich zurückkehren und heiratet Prinzessin Sherifa.
Die Frau aus dem Mann bekommen
Man bekommt die Frauen aus der Stadt, aber bekommt man auch die Frauen aus den Männern? Was wäre die Freiheit ohne Gleichheit? Das waren die zentralen Frage des Stücks. Entsprechen wir wirklich den Klischees von dem starken Mann und der weichen Frau? Oder steckt in jedem Mann etwas Frau, und in jeder Frau etwas Mann? Kann man sich von den Vorurteilen befreien? Getreu dem Motto „Durch die Augen des Anderen“ wird das Geschlecht durch die Augen des jeweils anderen Geschlechts betrachtet.
Nicht zuletzt beschäftigt sich Andrea Gronemeyers Inszenierung des arabischen Volksmärchens mit der Frage der gesellschaftlichen Unterordnung von Frauen und Männern.
Kritik und Überspitzung
Die deutsche Interpretation des arabischen Märchens kam beim Publikum sehr gut an. Es wurde viel gelacht, laut geklatscht und gejubelt.
Umgesetzt wurde das Stück in einem rhythmischen Erzähltheater. Die Regisseurin Andrea Gronemeyer erbrachte mit ihrer Inszenierung eine hervorragende Leistung. Humorvoll räumte sie Typisch-Mann-, Typisch-Frau-Klischees auf. Als stilistische Untermalung der Grundbotschaft, stellten die drei männlichen Schauspieler sowohl Männer als auch Frauen dar.
Die Darsteller Peter Hinz, Cédric Pintarelli und Uwe Topmann konnten überzeugen. Besonders Uwe Topmann, der Prinzessin Sharifa alias Prinz Sharif und König Hameds Mutter darstellte, konnte mit seiner Vielseitigkeit beeindrucken.
Mit der Aufführung in Deutschland endet das Kooperationsprojekt zwischen Deutschland und Ägypten. Beide Länder lernten mehr über die Kultur der Anderen. Beide Länder lernten, mit den Augen der Anderen zu blicken. Das Ergebnis der Kooperation kann sich sehen lassen. Die Doppelaufführung „Mit den Augen der Anderen“ schafft es mit kritischer Diskussion und humorvoller Übertreibung sich mit dem Thema „Freiheit“ auseinanderzusetzen und das Publikum zum Nachdenken anzuregen.