Mannheim/Rhein-Neckar, 28. Juni 2013. (red/ms) Plump. Provokant. Redundant. Geschmacklos. Mit diesen vier Worten ist bereits das Meiste zu Jonathan Meeses „Generaltanz den Erzschiller“ gesagt. Das Stück ist eine Auftragsarbeit im Rahmen der Schillertage – mit Schiller hat es aber nichts zu tun. Stattdessen provoziert der umstrittene Schauspieler das Publikum mit Hitlergrüßen und Hakenkreuzen.
Von Minh Schredle
Sauber. Eigentlich zähle ich mich nicht zur Gruppe der Erzspießer. Meese hat’s geschafft, dass ich mich so fühle. Weil General Meese gerne schillern wollte und doch nur penetrant auf den Nerven herumtanzt.
Das Publikum um mich herum ist auffällig jung. Die meisten haben auf Hemd, Anzug oder Abendkleid verzichtet und sind sehr locker gekleidet. Bei ein paar Wenigen ist die Kleiderwahl dermaßen extravagant ausgefallen, dass sich einem das Gefühl aufdrängt, sie wollten Jonathan Meeses Exzentrik noch übertreffen.
Keinerlei Schamgefühl
Meese trägt einen Sportanzug, hat sich Absperrband um den Bauch gewickelt und rennt über eine Bühne, deren Kulisse zum Großteil wie willkürlich zusammengetragener Müll wirkt. Das Stück beginnt ohne einen Anfang, denn schon während man den Saal betritt, läuft „You“ (Elektropop der Achtzigerjahre-Band Boytronic) und Meese dreht seine Runden um die Bühne.
Die ersten zwanzig Minuten der Vorführung redet er kein Wort, außer dass er nach jedem Durchlauf des Songs fordert: „Nochmal bitte!“. Dann wird das Lied wiederholt und er macht damit weiter, einfach nur in großen Kreisen über die Bühne zu laufen. Gelegentlich greift er sich einige seiner Requisiten. Er springt zum Beispiel Seil mit einer Würstchenkette. Er schnappt sich eine Alienpuppe, malt ihr einen Seitenscheitel und einen Schnurrbart auf, nimmt sie auf die Schultern, stellt sich vor sein Publikum und vollführt den Hitlergruß. Später deutet er an, mit der Puppe Oralsex mit ihr zu haben.
Wirklich entsetzt ist niemand im Publikum. Die Provokation ist einfach zu plump, zu offensichtlich, fast schon ein wenig abgedroschen. Für mich steht außer Frage, dass Meese damit keine rechtsradikalen Ambitionen zum Ausdruck bringen will. Vielmehr vergewaltigt er seine beiden Lieblingsstilmittel: Ironie und Provokation.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt wird eines klar: Meese spielt nicht für sein Publikum Theater, er spielt Theater – mit seinem Publikum. Und er mutet seinen Zuschauern Einiges zu. Wie seine Vorstellung bei den Gästen ankommt, scheint ihm dabei vollkommen egal zu sein.
Abstruse Thesen und verworrene Gedanken
So dauert es eine geschlagene Stunde, bis zum ersten Mal die Musik wechselt. Bis dahin sind schon etliche Zuschauer aufgestanden und haben entnervt die Vorführung verlassen. Gut 20 Minuten nach Beginn fängt Meese an, seine „Thesen“ zu verkünden:
Aliens haben mir mitgeteilt, dass sie die Erde nicht besuchen, weil sie Demokratie scheiße finden.
Geifernd gibt er seinen Wirrsinn wieder und wirkt dabei wie ein pöbelnder Betrunkener, der diskussionswütig ohne Sinn und Verstand irgendwelches Zeugs von sich gibt:
Die Kunst wird alle Parteien aus Deutschland verbannen und die Republik wird zum Kein-Parteien-Staat
oder:
Wagner ist das allergeilste auf der Welt. Ja, jetzt habe ich das Rätsel gelöst. Wagner ist sogar geiler als Wagner. Das geilt mich auf.
oder auch:
Ich fordere die Diktatur der Kunst!
Dabei treibt er die ironisierte Provokation unter Einschluss seiner selbst voran. Er wettert gegen Demokratie. Freies Denken findet er scheiße und Individualismus ist das Allerschlimmste – er ist der allerschlimmste Indivualist und ironisiert seine Ironie. Und widerspricht sich selbst am laufenden Band. Sein Wirrsinn erzeugt die eigenwilligsten Gedanken und Meese himself ist der größte Exzentriker im Raum. Zumindest das dürfte unumstritten sein.
Das hätte wunderbar amüsant werden können, wenn Meese nicht fest entschlossen wäre, sein Publikum zu vertreiben. Manche Szenen sind dermaßen ironisch, dass ich laut lachen muss – und das, obwohl die Vorführung wirklich sehr anstrengend ist. Womöglich, weil hier kein Stück, sondern das Publikum vorgeführt wird. Anderen hat es besser gefallen. Die waren quasi durchgängig am Lachen – keine Ahnung, was die sich vorher eingeworfen haben. Den Allermeisten war der Meese’sche Generaltanz einfach zu viel.
Gegen Ende der Vorstellung sind etwa zwei Drittel des Publikums vorzeitig gegangen. Oder eher geflüchtet. Wenn ich nicht beruflich dort gewesen wäre, hätte ich mich vermutlich angeschlossen. So warte ich bis zum Ende auf eine Pointe, die vielleicht das Chaos auflösen könnte. Ich warte vergeblich – Wahnsinn lässt sich nicht verstehen.
Mit Schiller hat die Aufführung so gut wie nichts zu tun. Zwar fällt der Name hin und wieder, dann aber nur in einem sehr oberflächlichen Kontext.
Nach stundenlangem Elektropop spielt Meese „Daddy Cool“ von Boney M. ein. Inbrünstig singt er seinen eigenen Text dazu:
Schiller, Schiller ist cool. Ja, Schiller ist so cool.
Das passt überhaupt nicht, ist wie das ganz Stück einfach taktlos und wiederholt sich trotzdem, ohne tiefgründiger zu werden. Redundanz war allgemein die größte Schwäche. Es ist wirklich schwierig zu sagen, ob Meese ein Skript hat oder einfach alles improvisiert. Ein klares Konzept ist jedenfalls nicht ersichtlich. Irgendwie kommt er aus seiner selbstbezüglichen Schleife nicht raus.
Rechtfertigt Kunst alles?
Kunst ist und bleibt Geschmacksache. Mir hat „Generaltanz den Erzschiller“ nicht gefallen und ich kann dem Popanz von Meese nichts abgewinnen – nicht einmal mit gutem Willen. Es scheint eine Form des Humors zu sein, die ich nicht teile. Die Meese-Hardcore-Fans geben vor, sich köstlich amüsiert zu haben – worüber denn bitte? Wollen sie einfach nur so cool sein wie Schiller und Wagner und wie Meese das performt? Gründet sich deren Spaß nur darin, anders zu sein als die Anderen?
Kunst darf alles – sogar schmerzfrei bis zur Verblödung sein.