Mannheim, 25. Juni 2013. (red/ld) Johanna d’Arc, ein Bauernmädchen aus Dom Remis, ist die Hauptfigur in Schillers „Jungfrau von Orléans“. Und sie kann einem nur Leid tun. Denn in der Inszenierung von Georg Schmiedleitner und Volker Bürger gerät die Nationalheldin Frankreichs zur Marionette wilder Männerfantasien und verliert über diese Tatsache den Verstand. Entwickelt eine gespaltene Persönlichkeit. Als gebrochene Frau, nicht als Heldin, stirbt Johanna am Ende dort, wo alles angefangen hat.
Von Lydia Dartsch
Das Bauernmädchen Johanna d’Arc hört unter einer Eiche sitzend Stimmen, die ihr sagen, sie könne Frankreich von den Engländern befreien, wenn sie Jungfrau bliebe. Sie hält diese für eine göttliche Erscheinung. Johanna schwört, keinen Mann an sich heran zu lassen, überzeugt den König Frankreichs, der sich schon gar nicht mehr gegen die Engländer wehren will und verbreitet Angst und Schrecken unter den Engländern. Schließlich hat sie das Land befreit. Doch was dann?
Das Nationaltheater inszeniert das Drama um Jeanne d’Arc als Mauerschau: Sechs Schauspieler teilen sich die zwölf Rollen. Man könnte eher sagen: Sie erzählen sie. Die Bühne ist von schwarzen Vorhängen gesäumt und fast leer. Nur ein Barhocker steht in der Mitte. Noch während das Publikum miteinander spricht tritt Reinhard Mahlberg auf und setzt sich. Das Licht im Zuschauerraum bleibt an.
Guten Abend,
sagt der Schauspieler zu seinem Publikum, das ihm ebenfalls einen guten Abend wünscht.
Ein Bauernmädchen: Blond, barfüßig, im zarten Kleid
Augenblicklich ist es still im Raum und Reinhard Mahlberg fängt an, die Geschichte zu erzählen von dem Bauernmädchen aus Dom Remis, das Frankreich befreien sollte. Am Bühnenrand sitzt Johanna – blond, barfüßig, im zarten Kleidchen und sieht verträumt zu, wie Thorsten Danner auftritt. Er bringt einen Helm und erzählt weiter, wie es um das Land steht. Er erzählt vom Krieg. Nach und nach treten Andreas Helgi Schmid, Michael Fuchs, Jacques Malan und Matthias Thömmes auf. Sie bilden die Herrenrunde.
In diesem Moment tritt Johanna in Erscheinung,
verkündet Reinhard Mahlberg: Sie steht auf und sagt etwas, das man nicht versteht, weil die Männer sie in ihrem Gespräch übertönen. Sie läuft auf Thorsten Danner zu, nimmt den Helm und setzt ihn sich auf, stellt sich auf den Barhocker und fängt an, zu singen.
Was wird sie befallen?
fragen die Männer und es scheint, als wüssten sie bereits von dem Schicksal, das das Bauernmädchen ereilen wird: Sie wird verrückt und die Männer werden ihr dabei zusehen.
Es ist der Helm,
antwortet einer der Männer. Und tatsächlich! In dem Moment, als Johanna ihn sich aufsetzt wirkt sie wie verwandelt. Aus der zarten Frau wird eine „Kriegsgöttin, schön zugleich und schrecklich anzusehen“, heißt es im Text. Die Kriegsgöttin wird zur Männerfantasie, die keine Gnade kennt: Mit Helm, Jacke und schweren Schuhen. Sie tut das, was die Männer erzählen: Einem Soldaten, der um sein Leben bettelt, dreht sie mit einem erschütternden Knacken den Kopf herum. Die Männer erzählen weiter, wie sie die Lager der Engländer niederbrennt.
Kampf der Gegensätze
Sie erzählen von einem Engländer, der Johanna verführt. Sie wird schwach und nachdenklich. Die Gegensätze zwischen Heiliger und Frau beginnen in ihr zu kämpfen:
Gebrochen hab ich mein Gelübde,
sagt sie und auf ihr Kreuz gestützt, das sie auch als Schwert führt, betet sie und wippt dabei unablässig hin und her.
In ihren Monologen erzählt sie, dass sie nur ein Bauernmädchen sei. Ihr Fehltritt mit dem Engländer kommt ihr wie ein Verrat gegen ihren göttlichen Auftrag vor. Währenddessen erzählen die Männer von den Schlachten, in die sie die französischen Truppen führt und sie macht mit. Findet keinen Weg heraus aus der Geschichte. Mal ist sie die zerstörerische Kriegerin, mal das Bauernmädchen.
Zuflucht im Wahnsinn
Als der Sieg über England fast errungen ist, braucht auch der König keine Kriegerin mehr und bietet ihr Männer zur Heirat an. Sie versteht die Welt nicht mehr. Ist sie als Kriegerin hart, unnahbar und gnadenlos? Oder ist sie eine einfache Frau: Weich, den Männern gehorsam, eine, die als Mutter Leben schenkt, statt es zu nehmen?
Johanna „flüchtet“ sich in den Wahnsinn. Sie erfüllt weder die Rolle der jungfräulichen Kriegerin, die sie geschworen hat zu sein, noch will sie die Rolle der Frau erfüllen, die sie ist, die sie fühlt und die die Männer von ihr erwarten. Sie führt Zwiegespräche mit sich selbst: Die Arme verschränkt vor der Brust, wie in einer Zwangsjacke.
Patientin in der Psychiatrie
Das erreicht ihren Höhepunkt, als ihr Vater sie anklagt, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Sie wird aus Frankreich verstoßen, gefangen genommen und baumelt sich windend kopfüber von der Decke, als wäre sie mittlerweile Insassin einer Psychiatrie. Sie befreit sich, bricht aus und kämpft ihre letzte Schlacht. Am Ende kehrt sie auf die Bühne zurück. Sie ist blutüberströmt. England ist besiegt.
Sie setzt sich an den Bühnenrand, wo sie zu Beginn des Stücks saß und grinst. Die sechs Männer stehen wie am Anfang da. Das Licht geht aus. Stille.
Dann bricht das Publikum in Applaus aus. Bravo!-Rufe sind zu hören. Angesichts der schauspielerischen Leistung, dem minimalistischen Bühnenbild, der spärlichen Requisite und den sehr effektvoll eingesetzten Licht und Ton-Elementen absolut verdient.