Mannheim, 24. September 2015. (red/ms) Sechs Grundschulen in Mannheim, die de facto schon jetzt Ganztagsgrundschulen sind, werden bald beantragen, auch formal zu welchen zu werden. Das sorgte im Bildungsausschuss für eine Grundsatzdebatte, die schnell in kontraproduktive, bisweilen unverschämte Partei-Plänkelei ausartete.
Von Minh Schredle
Aktuell unterrichten sechs von insgesamt 33 Grundschulen in Mannheim im Ganztagesbetrieb: die Astrid-Lindgren-Schule, die Jungbuschschule, die Hans-Christian-Andersen-Schule, die Johannes-Kepler-Schule, die Uhlandschule und die Vogelstangschule – die Schulen haben allesamt Bezüge zu Bezirken, die von der Stadtverwaltung als “sozial problematisch” eingestuft werden.
Bei Mannheims Ganztagsgrundschulen handelt es sich bislang noch um “Modellversuche” – es gibt im gesamten Stadtgebiet formal noch keine Ganztagsgrundschule nach dem neuen Landesgesetz, das im Juli 2014 in Kraft getreten ist. Die veränderte Rechtslage könnte ab dem kommenden Schuljahr Auswirkungen auf Zuschüsse des Landes und auf zusätzliche Lehrerwochenstunden haben.
Formalitäten und Bürokratie
Bei Lehrerwochenstunden handelt es sich um die Gesamtzahl an Stunden, die pro Woche an einer Schule unterrichtet werden kann. Wie Bildungsbürgermeisterin Dr. Ulrike Freundlieb betonte, würden bereits im kommenden Jahr drei der sechs Schulen zahlreiche Lehrerwochenstunden verlieren, wenn sie nicht zügig beim Staatlichen Schulamt einen Antrag für die Aufnahme des Ganztagsbetriebs nach Paragraph 4a des Schulgesetzes stellen würden. In der öffentlichen Vorlage zur Sitzung heißt es dazu:
Da es sich um erhebliche Personalressourcen für die Schulen handelt, ist aus Sicht der betroffenen Schulen eine fristgerechte Antragstellung unumgänglich. Der Wegfall der Stunden würde andernfalls zu einer Einschränkung der Qualität führen.
Was das Handeln so dringlich macht: Anträge für das kommende Schuljahr müssen dem Staatlichen Schulamt spätestens bis zum 01. Oktober dieses Jahres vorgelegt werden. Der Bildungsausschuss stand in seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch also unter Zugzwang – das hielt in jedoch nicht von Grundsatzdebatten ab.
Politisches Schmierentheater
Die CDU-Stadträte Nikolas Löbel und Rebekka Schmitt-Illert äußerten Kritik an der öffentlichen Vorlage der Verwaltung: Aus der Darstellung werde nicht vollständig ersichtlich, welche Auswirkungen die formelle Umwandlung der sechs Ganztagsgrundschulen auf den Haushalt der Stadt haben würde. Es gehe außerdem nicht eindeutig hervor, zu welchen Leistungen die Stadt Mannheim verpflichtet sei und was darüber hinaus nur freiwillig geleistet werden müsse. Frau Schmitt-Illert sagte dazu:
Der Gemeinderat hat sich noch nicht auf eine Rahmenkonzeption zur Zukunft von Mannheims Grundschulen geeinigt. Wir wollen jetzt auf keinen Fall Präzedenzfälle schaffen, die Schulen zusätzliche, freiwillige Leistungen der Stadt verschaffen, auf die andere Grundschulen dann ebenfalls einen Anspruch erheben.
Die CDU könne der Vorlage heute daher nicht zustimmen. Dirk Grunert, Fraktionsvorsitzender der Grünen, kommentierte das folgendermaßen:
Schade, dass wir von der CDU so eine Schmierenkommödie geliefert bekommen. Es geht gar nicht um Argumente, sondern nur darum, der Ganztagsgrundschule Steine in den Weg zu legen, weil sie nicht in die eigene Ideologie passt. So ein Faulspiel ist eine Oberunverschämtheit.
Daraufhin driftete die Diskussion stark von einer sachlichen Ebene ab und nahm eine unangenehme, bisweilen unverschämte Tonart an. Nikolas Löbel warf Herrn Grunert vor:
Herr Grunert, Sie haben im Kern überhaupt nicht verstanden, worum es geht. Und wenn hier jemand einen Preis für seine schauspielerischen Leistungen verdient hat, dann ja wohl sie. Unsere Kritik und unsere Rückfragen waren in allen Aspekten berechtigt. Die laufenden Kosten der Stadt Mannheim steigen ständig und das müssen wir bei den Haushaltsberatungen beachten.
Herr Grunert will etwas einwerfen, aber Herr Löbel lässt ihn nicht zu Wort kommen:
Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause.
Herr Grunert wirkt ein wenig fassungslos – zumindest bleibt er erst mal eine Weile still. Herr Löbel fährt währenddessen unbeirrt fort: Man müsse den Eltern in Mannheim echte Wahlfreiheit lassen und flexible, vielfältige Grundschul-Angebote zur Auswahl stellen. Wenig später sagt Reinhold Götz (SPD) dazu:
Wahlfreiheit, Wahlfreiheit – ich kann das nicht mehr hören. Es gibt 33 Grundschulen in Mannheim. Jetzt sollen sechs davon zu Ganztagsschulen werden – da gibt es doch noch genügend herkömmliche Schulen, für die Eltern sich entscheiden können. Und was die “zusätzlichen freiwilligen Leistungen” angeht: Da geht es nicht um Geschenke, die verteilt werden – wir halten damit eigenlich nur den Status Quo aufrecht.
Darauf nimmt wiederum Volker Beisel (FDP) Bezug:
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Herr Götz als Sozialdemokrat grundsätzlich nicht viel von Wahlfreiheit hält.
Inhaltliche Argumentation findet zwischenzeitlich kaum noch statt – und das für beinahe eine halbe Stunde lang.
Insgesamt dauerte die Sitzung des Bildungsausschuss mehr als fünf Stunden. Da hätte man gerne auf diese vollkommen überflüssige, fürs Konstruktive kontraproduktive Partei-Plänkelei verzichten können.
Grundsatzdebatte mit Kompromissbereitschaft gefragt
Sachlicher fielen die Wortbeiträge von Roland Weiß (Mannheimer Liste) und Thomas Trüper (Die Linke) aus. Laut Herrn Trüper gebe er der CDU recht, dass man bei den städtischen Finanzen Prioritäten setzen müsse. Allerdings sei Bildungsgerechtigkeit eines der obersten Ziele, die die Stadt überhaupt verfolgen könne. Daher könne die Linke es gutheißen, wenn die Stadt über ihre gesetzlichen Pflichten zusätzliche Angebote schafft, auch wenn das Kosten für den Haushalt verursachen würde. Herr Weiß sagte:
Ich denke, die Debatte hat deutlich gemacht, dass es noch großen Diskussionsbedarf gibt. Wir müssen unsere inhaltlichen Differenzen aufarbeiten und ein Rahmenkonzept schaffen, mit der eine breite Mehrheit im Gemeinderat leben kann. Das ist aber keine Aufgabe für heute.
Spannend wird diese Diskussion auch vor dem Hintergrund der Haushaltsberatungen, die zum Ende des Jahres stattfinden: Denn der erdrückende Großteil der städtischen Finanzen muss für laufende Kosten aufgewendet werden. Seit Jahren kündigt die Stadt an, hier bei freiwilligen Leistungen mehr einsparen zu wollen – doch sind die Fraktionen und Gruppen im Gemeinderat sich in vielen Fällen nicht einig, was entbehrlich ist und worauf man verzichten kann.
“Soziale Folgekosten vermeiden”
Dr. Freundlieb vertritt als Bürgermeisterin die Position, auch freiwillige Investitionen in das Schulwesen würden sich lohnen, insbesondere wenn sie eine intensivere Kinderbetreuung ermöglichen würden. Durch frühe Präventionsarbeit könnten krimminelle Laufbahnen und soziale Folgekosten reduziert und vermieden werden.
Nach langer Diskussion wurde über die Beschlussvorlage der Verwaltung in zwei Schritten abgestimmt: Teil eins umfasste, dass die Verwaltung ermächtigt wird, beim Staatlichen Schulamt die Aufnahme des Ganztagsbetriebs zu beantragen – dem stimmten alle anwesenden Stadträte zu, auch die der CDU.
Auch der zweite Teil des Beschlussvorschlages konnte eine Mehrheit finden, wenn auch eine knappe: “Die genannten Ganztagsschulen werden mit den dargestellten kommunalen Ressourcen unterstützt.”
Dagegen stimmten die Stadträte Eberhard Will (ALFA), Roland Weiß (Mannheimer Liste), Nikolas Löbel (CDU) und Konrad Schlichter (CDU). Rebekka Schmitt-Illert (CDU) enthielt sich. Reinhold Götz (SPD), Lena Kamrad (SPD), Nazan Kapan (SPD), Dirk Grunert (Die Grünen), Elke Zimmer (Die Grünen), Volker Beisel (FDP) und Thomas Trüper (Die Linke) stimmten zu.
Wie Dr. Freundlieb mitteilte, werde die Verwaltung wegen des Zeitdrucks den Antrag beim Schulamt “unter Vorbehalt eines Gemeinderatbeschlusses” stellen, um die Frist zu wahren. In der Gemeinderatssitzung am 06. Oktober könnten die Beschlüsse also theoretisch noch gekippt werden und die zusätzlichen kommunalen Ressourcen gestrichen werden – ob es dazu kommen wird, darf allerdings bezweifelt werden. Zumindest würde das Verhältnis der Stadt zu ihren Schulen darunter leiden.