Rhein-Neckar, 24. November 2014. (red) Die Süddeutsche Zeitung hat ihre Online-Kommentare eingeschränkt. Bei Zeit.de oder Spiegel.de können nur registrierte Benutzer kommentieren. Tagesschau.de prüft ebenfalls eine „Neuausrichtung“ der Kommentarmöglichkeiten. Warum? Alle Redaktionen haben sogenannte „Shitstorms“ erlebt – teils wutentbrannte Kommentare von Nutzern, die bis hin zum Aufruf zur Gewalt gehen. So wichtig Meinungsfreiheit ist – so wichtig ist auch Zensur. Allerdings nur bei klaren Regeln.
Von Hardy Prothmann
Die lächerlicher Pseudojournalist, Harry Brothmann. Glaubst Du, einer liest deinen linken Scheiß? Ja, ja, du kleiner Arsch, jetzt erfährst du mal, was ich von dir halte. Vermutlich zensierst du meine freie Meinung. Egal, ich weiß, das du sie gelesen hast. Armes Deutshcland, dass wir solche schmierenfinken wie du einer bist haben.
Solche und ähnliche „Kommentare“ gehen quasi täglich auf unseren Blogseiten ein. Ist das eine freie Meinungsäußerung, die in Deutschland grundgesetzlich garantiert ist? Ja, schließlich hat niemand den Kommentator gezwungen, sich so zu äußern, das tut er aus „freier“ Motivation. Und Nein: Der „kleine Arsch“ ist eine Beleidigung, die eben nicht grundgesetzlich garantiert ist, sondern das Persönlichkeitsrecht verletzt.
Muss man alle Kommentare freischalten?
Müssen wir solche Kommentare freischalten, wenn wir die Meinungsfreiheit nicht beschränken wollen? Nein, müssen wir nicht, denn Meinungsfreiheit heißt, dass es keine staatliche Zensur gibt – außer, wenn andere Rechtsgüter verletzt werden. Die Holocaust-Leugnung beispielsweise wird zensiert und als Straftat auch vom Rechtsstaat verfolgt.
Private Zensur muss allein schon deshalb erfolgen, weil wir als Medium einer „Verbreiterhaftung“ unterliegen. Das heißt, wir sind auch verantwortlich für andere Inhalte, wenn wir diese zulassen. Auf die zu unseren Artikeln verfassten Kommentare heißt das: Wenn dort Beleidigungen erscheinen, könnte es sein, dass wir eine Mitverantwortung tragen, weil wir die Kommentare nicht automatisch freigeben. Dies können wir nur umgehen, wenn wir alle Kommentare ohne Prüfung freischalten würden. Doch das wollen wir unseren Leser/innen nicht zumuten.
Shitstorms haben nichts mit Meinungsfreiheit zu tun
Die Kommentare, ob im Blog oder bei Facebook sind für uns Journalisten nicht mehr ganz neu, aber die zunehmende Fülle stellt uns vor neue Herausforderungen. Als wir beispielsweise zu Xavier Naidoos Besuch bei den Reichtsbürgern in Berlin berichtet haben, erlebten wir einen „Shitstorm“ auf unserer Facebook-Seite. Dort hagelte es Drohungen und Beleidigungen. Wir haben innerhalb von vier Tagen 140 Nutzer blockiert, innerhalb einer Woche gut 180. Und zwar nicht, weil wir „andere Meinungen nicht zulassen“, wie manche behauptet haben, sondern weil wir Beleidigungen gegen uns oder Dritte nicht zulassen. Ebenso wie wir falsche Tatsachenbehauptungen nicht zulassen.
Wir zwingen auch niemandem unsere Meinungen auf, sondern erarbeiten Inhalte, die wir anbieten. Wer diese Inhalte durch kritische Kommentare, ob zustimmend oder ablehnend erweitern möchte, sich also mit einbringen möchte, ist dazu herzlich eingeladen. Auch mit Meinungen, die wir nicht teilen. Schreibt also jemand: „Man muss auch sehen, was Herr Naidoo für Mannheim getan hat“, dann ist das ein Argument, das zulässig ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden wir das aber auch kommentieren: „Das ist sicherlich zutreffend. Nur schadet Herr Naidoo aktuell Mannheim, wenn er sich mit Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen gemein macht, indem er bei solchen Veranstaltungen auftritt.“
Diskurs heißt Rede und Gegenrede
Dieser Ablauf hieß früher mal „Diskurs“. Man setzt sich in Rede und Gegenrede mit etwas auseinander. Dass es diese Möglichkeit heute in einem viel größeren Umfang gibt als früher, begrüßen wir ausdrücklich. Wenn diese Möglichkeit aber missbraucht wird, um zu beleidigen oder zu hetzen, ist es kein Diskurs mehr, sondern nur noch Krawall. Wer diesem Krawall Freiraum gibt, wird unterm Strich erleben, dass sich alle vernünftigen Menschen abwenden, weil sie zu recht keine ehrabschneidenden oder wutentbrannte Hasskommentare lesen möchten. Viele Tageszeitungen lassen insbesondere auf Facebook fast alle Kommentare zu – das Kalkül ist: Je heftiger, desto mehr Schaulust bei den anderen. Dabei wird übersehen, dass sich viele aber enttäuscht und angeekelt abwenden, weil sie diese Abgründe ablehnen.
Nach unserer Erfahrung sind Kommentare meist in Ordnung, wenn Personen unter Klarnamen identifizierbar sind. Dann überlegt man sich genau, wie man sich äußert. Schließlich können der Chef, Geschäftspartner oder Freunde mitlesen und erfahren so etwas über die „Meinung“ des Kommentators.
Nutzer mit Pseudonymen verstecken sich und lassen einen Rückschluss auf die Person nicht zu. Auch das kann in Ordnung sein, wenn man beispielsweise nicht möchte, dass der Chef oder andere eine kritische Haltung auf die eigene Person zurückführen können. Wer so wichtige Standpunkte oder Informationen übermittelt, die beispielsweise Mängel beschreiben, ist kein Feigling, sondern tut der Allgemeinheit unter Vermeidung von Nachteilen für die eigene Person etwas Gutes. Auch, wer die Anonymität nutzt, um mal so richtig vom Leder zu ziehen, kann durchaus etwas „Nützliches“ beitragen – man erkennt dann nämlich, was „wirklich“ gedacht wird. Und wir können Ihnen sagen: Das ist teils erschreckend. Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit, Neid, Missgunst, Hass – es ist alles dabei.
Kluge Meinungen sind häufig nicht einfach, sondern kompliziert
Wo Menschen sich äußern, menschelt es immer. Wenn jemand uns als „Schreiberlinge“ sieht oder meint, unsere Artikel wären nur „Geschmiere“, dann kann das jemand meinen und bei sich auf der Pinnwand posten. Aber eben nicht auf unseren Facebook-Seiten und auch nicht als Blog-Kommentar. Wenn jemand meint, die BUGA 23 wird für Mannheim zu teuer, dann ist das als Meinung zulässig, aber schöner wäre, man schreibt auch dazu, wie man das begründet. Und genau da sollte man in Sachen Meinungsfreiheit nachdenklich werden: Klar, kann man alles Mögliche meinen – aber ist es auch durchdacht? Hat man sich umfangreich und detailliert kundig gemacht, um seine Meinung auch zu prüfen?
Der Gesetzgeber hat in weiser Voraussicht die „Meinungsfreiheit“ nicht qualifiziert. Das heißt, auch die dümmste Meinung darf frei geäußert werden, wenn sie keine anderen Rechtsgüter verletzt. Und im Wettbewerb um die Meinung von anderen kann also die dümmste mit der klügsten Meinung zu jedem Thema konkurrieren. Wer davon ausgeht, dass die klügste Meinung sich immer gegen die dümmste durchsetzt – hat die Hoffnung nicht verloren, muss sich aber den Realitäten stellen.
Kluge Meinungen sind häufig kompliziert, weil sie versuchen, komplexe Zusammenhänge zu vertreten. Damit muss man sich beschäftigen. Einfache oder sogar dumme Meinungen reduzieren Komplexität, machen es sich einfach, man muss nicht viel nachdenken und fühlt sich durch „viele“ andere bestätigt. Wenn aber viele einer Meinung sind, heißt das noch lange nicht, dass das eine „gute Meinung“ ist, sondern nur, dass viele diese teilen. So wie gut ein Viertel aller Deutschen fremdenfeindliche Einstellungen hat, heißt das nicht, dass das eine „positive“ Meinung ist.
Gerne Gegenmeinungen – aber kein Müll
Wir können versichern, dass wir alle Kommentare freischalten, die sich inhaltlich begründet äußern – sofern sie nicht abwertend oder beleidigend sind. Wir lassen auch auf Facebook unter denselben Bedingungen Kommentare zu. Wer genau mitliest, erkennt das auch sehr genau. Die Meinungsfreiheit ist ein kostbares Gut, das man gut pflegen und nicht zur Müllkippe werden lassen sollte.
Meinungen, die unsere einfachen und nachvollziehbaren Regeln verletzen, schaffen wir nicht aus der Welt, indem wir sie löschen. Das ist uns bewusst. Aber wir beteiligen uns bewusst nicht daran, diese weiter zu verbreiten.