Rhein-Neckar, 02. Februar 2015. (red/pro) Die Medien waren voll davon – Facebook ändert seine „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“. Und die Botschaft ist überwiegend eindeutig: So geht das ja mal gar nicht. Die wollen unsere Daten. Skandal. Die wollen alles über uns wissen. Großer Skandal. Die haben auch noch die Möglichkeit dazu. Absoluter Skandal. Wenn man wieder Luft holt, um nachzudenken, ist die „Wahrheit“ eine andere – sie ist einfach, aber nicht besser.
Von Hardy Prothmann
Diese email erreichte uns am Freitag:
Good bye facebook!
Dear friends, dear colleagues, dear facebook!
This is definitely my last post on facebook. I am going to leave the service after the new facebook terms of service came into force in Europe today. They don‘t care about German an European law. As former Federal German Data Protection Commissioner I will not and I cannot accept the company‘s continued disregard for data protection and user‘s privacy which are core values of the European people enshrined in Art. 8 of the EU Charter of Fundamental Rights.
Nevertheless: There are other platforms to stay in contact. You can find me via the European Academy of Freedom of Information and Data Protection – www.eaid-berlin.de.
See you again – but not in Facebook!
Yours
Peter Schaar, 30 January 2015.

Peter Schaar war von 2003 bis 2013 Bundebeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. In seinem Buch „Überwachung total“ schildert er seine Einblicke in die NSA-Affäre. Er hat mit „Facebook Schluss gemacht“ – das ist auch vollkommen ok. Er will aber auch gerne sein Buch verkaufen – auch das ist ok.
Die Botschaft ist klar. Der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte macht Schluss mit Facebook. Er hat seinen Account gelöscht und ist nicht mehr auf Facebook? Stimmt nicht. Er ist weiter auf Facebook, wenn auch nicht mehr aktiv.
Alle sammeln Daten – vor allem die, die sich aufregen
Die Aufregung über die Datensammelwut bei Facebook, Google oder anderen Diensten ist richtig und wichtig. Aber sie ist auch komplett verlogen – zumindest, wenn es die Politik und viele Medien angeht.
Haben Sie „Kundenkarten“, die bei jedem Einkauf über den Scanner gezogen werden? Sammeln Sie Punkte bei Reiseunternehmen? Haben Sie eine Karte von irgendjemandem sonst, gerne auch Zeitungen und anderen Medien, die über Werbepartnerschaften „Vorteile“ versprechen?
Alle, die solche „Service“-Angebote machen, sammeln Ihre Daten, werten sie aus und verwenden sie geschäftlich. Peter Schaar regt sich über Facebook auf, weil man dort auch einstellen kann, welche Werbung man nicht möchte – das Argument ist nachvollziehbar, denn auch das ist eine Information über den Facebook-Nutzer, die man in Verbindung mit anderen Informationen… Sie wissen schon.
Blick hinter die Kulissen der Kritik
Herr Schaar hat Recht. Moralisch aber nicht mehr, seit er kein hauptamtlicher Datenschützer mehr ist. Aktuell will er sein Buch verkaufen. Seine Kritik erfolgt nicht ohne Eigennutz. Die Medien, die über die Datensammelwut berichten, haben Recht – man muss das gesetzlich klären und Regeln aufstellen, wie wer wann und mit welchem Zweck Daten erhebt und auswertet. Aber moralisch? Insbesondere klassische Medien wie Zeitungen „kotzen“ – nicht, weil Facebook Daten erhebt, sondern weil das Daten sind, die die Zeitungen nicht haben und Facebook Geschäfte macht, die Zeitungen nicht machen können, weil sie eben nicht Facebook sind.

You are wachting facebook – facebook is wachting you.
Wenn Sie häufiger den Arzt wechseln, erheben die auch Daten über sie. Zur jeweiligen Krankheit – wegen des Datenschutzes weiß der eine Arzt aber nichts von den Behandlungen des anderen wegen irgendwelcher Krankheiten. Ein verantwortlicher Arzt hätte aber gerne alle Daten, damit er die auswerten und die beste Behandlung anwenden kann. Darf er aber nicht ohne Ihre Zustimmung – Datenschutz. Das ist auch gut so. Sie bestimmen selbst, wie der Arzt sie behandelt.
Selbstverständlich hat der Arzt als Dienstleister ein hohes Interesse an allen verfügbaren Daten, die ihm bei seiner Diagnose nützlich sind. Ebenso alle anderen Dienstleister. Aber es hat den Arzt nicht zu interessieren, wenn Sie sich dich Nase haben richten lassen und aktuell wegen Nierenproblemen eine Behandlung brauchen. Es hat auch niemanden zu interessieren, wo sie im vergangenen Jahr in Urlaub waren, wenn ein Reisebüro Ihnen ein Angebot vorschlagen möchte.
Denn es kann sein, dass Sie wieder dorthin urlauben möchten, aber vielleicht haben Sie auf was ganz Anderes Lust? Keine Sorge, auch das berechnen die Algorithmen – aus unglaublich vielen Daten von anderen und von Ihnen.
Alle sind hinter Ihren Daten her – Sie liefern sie selbst
Wer liefert diese Daten? Vor allem Sie selbst. Jedesmal, wenn Sie eine Postkarte ausfüllen, um ein Auto zu gewinnen. Jedes Mal, wenn Sie beim Drogeriemarkt Ihre Karte durchziehen lassen – also jedes Mal, wenn Sie Daten erzeugen.
Früher, beim gelernten Buchhändler, konnte es einem passieren, dass man ab und an zum Buch kaufen ging, der Buchhändler seinen Eindruck (Daten) sammelte und beim nächsten Besuch sagte: „Ich glaube, dieses neue Buch wird Ihnen sehr gefallen.“
Damals waren „Daten“ noch menschliche, sympathische Dienstleistungen, heute sind sie computergeneriert. Aber deswegen grundsätzlich nicht „schlecht“.

Chefredakteur Hardy Prothmann nutzt weiter Facebook und weiß um die Probleme – vielleicht beenden wir auch unsere Facebook-Accounts irgendwann. Das ist eine Abwägungssache. Foto: sap
Kein Mensch muss Facebook nutzen. Niemand muss Auto fahren. Jeder hat das Recht, statt email Briefe zu schreiben. Aber Auto ist flexibler als ÖPNV, email billiger als Briefe, Facebook direkter als Telefon. Aber alle sollten ihren „Führerschein“ machen, wenn sie etwas nutzen und wissen, was sie wie, wann, warum, wo und mit wem nutzen.
Ein Informationsfreiheitsgesetz – also, das, was die Grünen in Baden-Württemberg versprochen haben – liefert Daten. Herr Schaar ist Grünen-Mitglied und die grün-rote Landesregierung ist im Begriff das schlechteste Informationsfreiheitsgesetz aller Zeiten zu schaffen, weil nicht differenziert genug. Darüber hat Herr Schaar noch kein Buch geschrieben…
Einfach ist nicht immer besser – das bleibt die Lehre der Geschichte, aber besser ist auch nicht immer einfach.
Machen Sie was draus.
Herzlichst