Mannheim, 21. September 2015. (red/hmb) Am Freitagabend, den 18. September, fand die ausverkaufte Premiere des Musicals „Hair“ im Capitol statt. Hochkarätige Musicaldarsteller und jede Menge musikalische Höhepunkte ließen die Aufführung zu einem vollen Erfolg werden. Das Publikum war hin und weg.

Foto: Capitol Mannheim.
Von Hannah-Marie Beck
Das Musical „Hair“ spielt im Jahr 1968 in den Vereinigten Staaten von Amerika. Claude Bukowski (Sascha Kleinophorst) wird in den Vietnamkrieg eingezogen und kommt aus der konservativen Provinz nach New York. Dort freundet er sich mit einer Gruppe von Hippies an und begeistert sich für deren Lebensstil.
Claudes neue Freunde verbrennen ihre Einberufungs-Bescheide, doch er ist hin- und hergerissen, kann sich nicht vollständig von seinen traditionellen Werten lösen – und zieht schließlich in den Krieg.
Pressegespräch mit dem Ursprungscast

Reiner Schöne, Su Kramer und Ron Williams wirken wie aus einer Zeit.
Vor Beginn der Vorstellung stoße ich im Casino des Capitols auf Claude und zwei seiner Freunde. Natürlich sind sie es nicht wirklich, sondern vor mir sitzen drei Mitglieder des Ursprungscast der deutschen Erstaufführung, welche 1968 stattfand.
Sie tragen bunte Hippie-Hemden und Armee-Jacken. Seltsam fehl am Platz wirken die Drei – als kämen sie aus einer anderen Zeit und seien direkt dem Stück entsprungen.
Damals wurde das Ensemble von der Straße zusammengesammelt, es waren jede Menge Naturtalente: Viele von ihnen hatten noch nicht einmal eine gesangliche Ausbildung. Das Stück wurde dann an die Schauspieler angepasst – nicht die Schauspieler an das Stück,
erzählt Ron Williams, der einen der Hippies gespielt hat und später sogar selbst Regie führte.
Wir waren Freigeister – jede Aufführung war anders: Das Stück war nur teilweise einstudiert, überwiegend lebten wir einfach auf der Bühne,
ergänzt Musicaldarstellerin, Gudrun „Su“ Kramer, mit verträumten Augen. Dann nimmt sie das Mikrofon in die Hand und singt ein Lied aus dem Musical. Die ganze Zeit dröhnten Gespräche im kleinen Casino – jetzt aber wird es mucksmäuschenstill.
Warum seit ihr nur so herzlos? Warum seid ihr nur so kalt? Hart sein ist so leicht. Nein sagt sich so leicht!
Eine Wahnsinns-Stimme. Ich habe Gänsehaut. Und kann es gar nicht mehr erwarten, bis die Vorstellung endlich losgeht.
Publikum voller Begeisterung
Dann ist es soweit: Füße trommeln über die Bühne, nach und nach kommen immer mehr Darsteller auf das Parkett. Das Trommeln schwillt zu einem lauten Rhythmus an.
Die Musicaldarstellerin Zodwa Selele setzt zu ihrem ersten Lied, Aquarius, an und füllt den ganzen Raum mit ihrer unglaublichen Stimme. Das Publikum ist begeistert, klatscht mit und nach jeder Gesangseinlage gibt es tosenden Applaus.

Foto: Capitol Mannheim.

Viele Provokationen provozieren heute nicht mehr so richtig. Foto: Capitol Mannheim.
Mitten in der Vorstellung ruft ein Zuschauer nach einer Zugabe: An Gesellschaftliche Konventionen braucht man sich nicht zu halten, das ist schließlich auch eine der Botschaften des Stückes.
Besonders an der Inszenierung sind eingebaute Mitspielszenen, die von den Zuschauern mit viel Gelächter belohnt werden. Häufig wird das Publikum von den Darstellern direkt angesprochen, einmal betteln die Hippies bei einer Besucherin um etwas Kleingeld – mit Erfolg.
Die Weißen schicken die Schwarzen in den Krieg gegen die Gelben, um das Land zu verteidigen, dass die Weißen den Roten weggenommen haben.
Ich weiß: Das Stück will provozieren. Aber so ganz klappt das heute nicht mehr: Was 1968 noch Empörung ausgelöst hat, sorgt inzwischen kaum noch für Aufsehen: Nackte Darsteller, Zurschaustellung sexueller Freizügigkeit, verherrlichter Drogenmissbrauch – wirklich provoziert fühle ich mich tatsächlich kein einziges Mal.
Geschichte rückt in den Hintergrund
Ans Herz geht die Geschichte vom Massaker von My Lai: Eine Gruppe von US-Soldaten überfiel das vietnamesische Dorf. Sie vergewaltigten Frauen und töteten über 500 Zivilisten, darunter auch zahlreiche Kinder. Auf die Frage hin, warum man dieses Kriegsverbrechen begangen habe, antwortete einer der Soldaten, der selbst Frau und Kinder hatte, angeblich:
Das war eben so – es war halt Krieg.
Der Vietnamkrieg war einer der schrecklichsten und sinnlosesten Kriege der US-Geschichte. Noch heute ist er für viele Amerikaner ein Tabu-Thema. Gerade am Beispiel des Massakers von My Lai sieht man, wie sehr man Menschen damit aufrütteln kann. Leider ist im Musical „Hair“ für solche Kritik kaum Platz, Ziel ist es vor allem, wie bei vielen anderen Musicals auch, das Publikum zu unterhalten.
Die Aufführung ist wie ein einziger Drogentrip gestaltet. Viele Szenen sind überzogen und zusammenhanglos. Das passt natürlich zu den Hippies und zu ihrer Lebenssituation, aber die Geschichte rückt dabei immer weiter in den Hintergrund.

Zodwa Selele begeisterte mit einer herausragenden Gesangsleistung. Foto: Capitol Mannheim.
Schauspielerisch überzeugte vor allem Christian Schöne in mehreren Rollen. Beeindruckend war, wie es ihm mühelos gelang, völlig unterschiedliche Charaktere überzeugend darzustellen.
Doch der Schwerpunkt der Inszenierung liegt ganz klar auf der Musik: Jeder der acht Musicaldarsteller kann mit gesanglichen Höchstleistungen begeistern. Dabei werden viele Lieder gesungen – sehr viele. 42 um genau zu sein, in knapp drei Stunden Spielzeit.
Gemischte Gefühle
Mich persönlich konnte das Musical nicht endgültig mitreißen. Tatsächlich habe ich das Gefühl, die Einzige zu sein, die an diesem Abend das Theater verlässt, ohne berauscht-begeistert zu sein. Das gesamte Publikum steht und klatscht bei den letzen Liedern wie euphorisiert. Vielleicht bin ich, mit 17 Jahren, noch einfach zu jung oder zu spät geboren, um die Faszination um die Hippie-Kultur wirklich fassen zu können.
Der Cast der Urproduktion ist im Gegensatz dazu vollständig begeistert: Nach dem Ende der Aufführung kommen die Drei auf die Bühne, singen gemeinsam mit den Musikern des Capitols noch einige Klassiker – und hören gar nicht mehr auf, die Aufführung zu loben. Eine größere Ehrung kann den aktuellen Darstellern wohl kaum zu Teil werden.
Weitere Aufführungen am 20. Oktober, am 25. November sowie am 04. Dezember 2015.