Rhein-Neckar, 18. November 2015. (red/cr) Die Anschläge in Paris am vergangenen Freitag haben weltweit Solidaritätsbekundungen ausgelöst. In verschiedenen sozialen Medien etablierten sich schnell Hashtags wie #PrayForParis oder #NousSommesUnis, um Anteilnahme auszudrücken. Facebook bietet an, sein persönliches Profilbild mit der französischen Flagge zu kombinieren, um „Unterstützung für Frankreich und die Menschen in Paris zu zeigen“. Solidarität per Klick – ehrliche Anteilnahme, Heuchelei oder Nationalismus?
Von Christin Rudolph
Am Freitagabend verübten mindestens sieben Terroristen eine Serie von Anschlägen in Paris, zu denen sich später der Islamische Staat (IS) bekannte. 132 Menschen verloren durch die Attentate ihr Leben. Rund 350 wurden verletzt. Weltweit trauern Menschen und bekunden ihre Anteilnahme. Berühmte Bauwerke verschiedener Länder wurden in den Farben der französischen Flagge angestrahlt, wie zum Beispiel das Brandenburger Tor.
Auch in sozialen Netzwerken etablierten sich schnell Hashtags und Symbole, um Solidarität zu zeigen. Auf Instagram postete der Grafiker Jean Jullien eine Kombination des Peace-Zeichens mit dem Eiffelturm. Das Bild verbreitete sich schnell über andere Plattformen und erreichte Symbolcharakter. (Anm. d. Red.: Dabei handelt es sich um eine massenweise Urheberrechtsverletzung, sofern es keine Freigabe durch den Urheber gibt.)
Doch im Zusammenhang mit den Anschlägen in Paris gibt es noch ein Phänomen, das weitaus auffälliger ist – Facebook bietet seinen Nutzern an, ihre Profilbilder in den Farben der französischen Flagge einzufärben, um „Unterstützung für Frankreich und die Menschen in Paris zu zeigen“.
Persönliches Statement oder nur Herdentrieb?
Und dieses Angebot wird millionenfach angenommen. In den vergangenen Tagen färbte sich sich die Plattform praktisch blau-weiß-rot. Fast jeder erhält Nachrichten über „Freunde“, die ihr Profilbild mit der Flagge versehen haben.
Davon sind viele genervt. Es entsteht allerdings auch ein psychologischer Druck, mitzumachen. Auf der anderen Seite kritisieren sowohl Nutzer der sozialen Netzwerke als auch Medien die Solidaritätsbekundung per Mausklick.
Der Trend, sein Profilbild einzufärben, wird sehr unterschiedlich bewertet – die Einschätzungen reichen von ehrlicher Anteilnahme und harmlosem Symbol über Heuchelei bis zu gedankenlosem Nationalismus.
Keine universelle Bedeutung
Die Flagge Frankreichs wird in diesem Zusammenhang sehr unterschiedlich interpretiert. Wer sie als Zeichen der Solidarität mit Frankreich und seinen Bürgern deutet, ignoriert, dass der Terrorakt ideologisch nicht nur Frankreich gilt und es auch Opfer anderer Nationalitäten gibt.
Die Kritik: Diese Form von Anteilnahme gelte nur Frankreich, obwohl in arabischen Ländern täglich Menschen durch den Terror umkommen. Einige Nutzer sozialer Netzwerke schließen bei der Verwendung der französischen Flagge sogar auf nationalistische Tendenzen.
Freiheitliche Werte
Andere wie zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung fassen die Bedeutung der Tricolore weiter. Ursprünglich stehen die drei Streifen der Flagge für die Werte der „westlichen Welt“, die bei der französischen Revolution erstmals formuliert wurden – Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit.
Die Werte, die jede freiheitliche Gesellschaft gegen jeglichen Terror verteidigen muss. Die Süddeutsche Zeitung wendet diese Werte auch auf die Internet-Debatte zur Änderung des Facebook-Profilbilds an. Man habe demnach die Freiheit, „etwas Dummes zu posten“.
Es gelte die Gleichheit, die auch alle Nicht-Franzosen meint. Und die Bruderliebe solle jeden zur Nachsicht mit denen anhalten, die den farbigen Hintergrund auf Facebook für ein politisches Statement halten.
Anteilnahme nur für Europäer?
Einige gelangen durch die große Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken zu dem Schluss, die Leben von Menschen in Paris seien mehr wert als die von Menschen im arabischen Raum, wo Terroranschläge an der Tagesordnung sind. Wo waren nach dem Anschlag in Beirut am Donnerstag die libanesischen Flaggen in den Profilbildern?
Der Blogeintrag des Arztes Elie Fares aus Beirut zu dem Thema beispielsweise wurde tausendfach auf Facebook und Twitter geteilt. Darin beklagt er, der Anschlag in Beirut nur einen Tag vor der Attacke in Paris sei kaum beachtet worden. Religion oder politischer Hintergrund eines Menschen sollten nicht über die Anteilnahme entscheiden.
Die durch die Anschlagsserie in Paris womöglich befeuerte Islamfeindlichkeit spiele dem IS in die Hände, so Fares weiter. So hätten Mitglieder der Terrororganisation einen Vorwand für weitere Angriffe.
Einzelner kann nicht mehr tun
Die Stuttgarter Zeitung sieht in der Flagge im Profilbild nichts weiter als ein Symbol für Solidarität. Hier werde es in eine Reihe mit Kerzen für die Anschlags-Opfer und der Beleuchtung von Wahrzeichen gestellt. Es werde zwar in sozialen Netzwerken kritisiert, so eine symbolische Anteilnahme trage nicht zur Lösung des Terrorismusproblems bei. Der Einzelne könne aber auch nicht mehr tun.
Allerdings wird die zeitliche Begrenzung für das Einfärben des Profilbilds durch Facebook von der Stuttgarter Zeitung zynisch aufgefasst. Sorgt die Zeitbegrenzung etwa dafür, dass der Platz bis zum nächsten „Ereignis“ (welcher Art auch immer) frei ist? So wird angemerkt, dass man auch Logos von Sportvereinen als Transparent über sein persönliches Profilbild legen kann.
„Je suis manipulé“?
„Je suis manipulé“ – „Ich werde manipuliert“ titelt die taz. Niemand hinterfrage die Flagge im Profilbild. Ein Klick und man zeigt sich solidarisch, ohne sich mit den Zusammenhängen der Taten in Paris befassen zu müssen.
„Charlie“ zu sein oder eine Regenbogenfahne im Profilbild zu haben, seien soziale Bewegungen gewesen. Die französische Flagge aber ist ein Staatssymbol. Das Fehlen eines generellen, von Nationalität unabhängigen Symbols zur Anteilnahme an Opfern des weltweiten Terrorismus wird auch hier festgestellt.
Alles nur Selbstdarstellung?
Soziale Medien dienen immer auch zur Selbstdarstellung der Nutzer. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird diese Perspektive erweitert – auch die Internetunternehmen des Silicon Valley stellen sich gerne als Weltverbesserer dar.
Der Grad zwischen Anteilnahme, Heuchelei und Eigen-PR ist schmal.