Rhein-Neckar/Nordrhein-Westfahlen, 14. Mai 2017. (red/pro) Die CDU ist aktuell bei der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland stärkste Fraktion geworden, die SPD ist fürchterlich abgestürzt und fährt das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis der vergangenen 17 Landtagswahlen ein. Die CDU übrigens ihr zweitschlechtestes Ergebnis. Nennt man das einen Gewinner? Nach Punktsieg ja, aber mehr auch nicht. Im Verhältnis betrachtet, ist die FDP „Gewinner“ der Wahl, aber auch das ist nicht absolut zutreffend. Hardy Prothmann analysiert die Wahl im gewohnten RNB-Style. Kritisch und analytisch auf den Punkt – auch mit Bezug auf die kommende Bundestagswahl und die Situation in der Metropolregion.
Von Hardy Prothmann
Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig Reflexion insbesondere bei den großen Medien und insbesondere bei ARD und ZDF mit deren enormen finanziellen Möglichkeiten zu finden ist.
Die CDU ist aktuell mit dem Spitzenkandidaten Armin Laschet zur stärksten Fraktion im kommenden Landtag von Nordrhein-Westfalen (NRW) gewählt worden (rund 33 Prozent). Das stimmt. Die SPD ist rund acht Prozent abgestürzt (2012: 39,1 Prozent) und nicht mehr stärkste Fraktion (rund 31 Prozent). Das stimmt. Es stimmt aber auch, dass die SPD mit rund 31 Prozent bei der 17. Landtagswahl das historisch schlechteste Ergebnis erzielt hat. Und ebenso stimmt, dass die CDU das zweitschlechteste Ergebnis eingefahren hat (2012: 26,3 Prozent). Sie konnte noch nicht einmal an das Ergebnis von 2010 mit 34,6 Prozent anschließen. Geht so „gewinnen“?
Sieger und Verlierer, mal nüchtern betrachtet
Soll das eine „Bestätigung“ der Bundespolitik der Kanzlerin Dr. Angela Merkel sein? Echt jetzt? 33 Prozent?
Die Wahlbeteiligung dürfte um 66 Prozent liegen und ist damit rund 6 Prozent besser als 2012. Zuletzt wies die Landtagswahl 1990 eine Beteiligung über 70 Prozent aus, seitdem pendelt sie zwischen 57 und 66 Prozent. Soll man hier von „mobilisierten Wählern“ sprechen? Nicht wirklich, oder?
Der AfD-Spitzenkandidat Marcus Pretzel (Ehemann der Noch-Bundesvorsitzenden Dr. Frauke Petry) deutet die gut sieben Prozent als „Trendumkehr“. Das ist Quatsch. Richtig ist, dass die AfD bei der 13. Landtagswahl in Folge einziehen konnte. Richtig ist, dass die teils deutlich zweistelligen Ergebnisse aus 2016 bei den vergangenen drei Landtagswahlen auch nicht im Ansatz erreicht werden konnten. Die AfD hat seit 2013 einen rasanten Aufstieg hingelegt, der einmalig in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist. Richtig ist, dass es zum 13. Mal in Folge für einen Einzug in einen Landtag gereicht hat, aber das dritte Mal in Folge nicht an frühere sensationelle Ergebnisse auch nur ansatzweise angeknüpft werden konnte. Der AfD-Hype ist vorbei und die Partei kann froh sein, wenn es im September für ein zweistelliges Ergebnis reicht – dass es nicht für einen Einzug in den Bundestag reicht, ist definitiv nicht ausgeschlossen.
Die alte Tante SPD ist schwerst angeschlagen. Von einem „Schulz“-Effekt ist nichts, aber auch gar nichts zu bemerken. Wer daran tatsächlich noch glaubt, der muss sich eingestehen, dass die Abstürze der SPD ohne Herrn Schulz noch dramatischer gewesen wären, was eine noch dramatischere Nachricht für diese Partei wäre. Betrachtet man die Silvesternacht von Köln und das komplette Versagen des noch amtierenden Innenministers Ralf Jäger im Fall des Terroristen Anis Amri, könnte man sogar geneigt sein zu glauben, dass Herr Schulz die SPD in NRW vor noch größeren Schmerzen bewahrt hat.
Und auch die Grünen haben sich von 11,3 auf 6,2 Prozent fast halbiert. Die Umfragen für die Bundestagswahl sind katastrophal. Beide, die SPD und Grünen traumtänzern sich irgendwas zurecht und weigern sich beharrlich, die Realitäten anzuerkennen – und die zeigen nur eine Richtung: Bergab.
Profiteur ist die FDP. Die verzeichnet zusehends Erfolge. Aber womit? Mit konstruktiver Kritik und ernstzunehmender politischer Arbeit? Nicht wirklich – aber vielen Wählern erscheint sie als AfD-light eine bessere Alternative als CDU und SPD und AfD. Parteichef Christian Lindner hat dafür alles gegeben.
Die einzige Partei, die – es geht jetzt nicht um eine inhaltliche Zustimmung, sondern eine analytische Betrachtung – die auf ihrer Linie einen stabilen Erfolg verzeichnet, ist Die Linke, die sich in NRW zwar vom Ergebnis fast verdoppeln konnte, aber vermutlich an der 5-Prozent-Hürde scheitern wird.
Was bedeutet das NRW-Wahlergebnis nun für unsere Region und für die Bundestagswahl?
Einfache Antwort: Zunächst nichts. NRW ist NRW und Bundestagswahl ist Bundestagswahl.
Tatsächlich lassen sich aber mit Sicht auf die vergangenen Wahlen der vergangenen Jahre Tendenzen ableiten, die deutlich sind.
Die SPD ist in der größten Krise ihrer über 150-jährigen Geschichte. Unabhängig davon, dass die SPD nach wie vor eine starke Kraft im Land ist und ihre Mitglieder viel geleistet haben und leisten – was sehr, sehr anerkennenswert ist – sie kann das nicht mehr vermitteln. Dementsprechend schlecht sind die Ergebnisse. Das hat wenig mit den Ortsvereinen zu tun, sondern vor allem mit den Großkopferten.
Die CDU versteht es sehr viel besser, sich zu positionieren. Einerseits hat die Partei hart mit der Entscheidung von Kanzlerin Merkel im Herbst 2015 zu kämpfen und weitere Problemfelder wie die Außenpolitik, insbesondere gegenüber Russland und der Türkei sowie „Bankenrettung“, „Abgaskandal“, NSU und NSA haben schweren Schaden angerichtet – auf der anderen Seite brummt die Wirtschaft schon lange wieder, die Arbeitslosigkeit ist niedrig und dank einer insgesamt stabilen Organisation staatlicher Organe – hier ein Lob an alle, die dort fachlich fundiert und aus voller Überzeugung mitwirken – ist die Republik in einem guten Zustand. Vieles gefällt nicht, aber warum sollte man Experimente wählen, wenn es doch ganz gut läuft?
Bündnis90/Die Grünen sind auf Bundesebene vollständig planlos. Dementsprechend mies sehen die Umfragen aus. „Öko“ machen heute alle irgendwie. Das ist kein „unique selling point“ mehr. Als „Bevormunder“-Partei hat man sich selbst massiv beschädigt. Auch hier fehlt es an überzeugenden Personen, die für etwas einstehen.
Die Linke hat kluge und prominente Köpfe. Und viele, die der SPD nicht mehr zutrauen, eine soziale Partei für „die da unten“ zu sein. Gleichzeitig vertritt die Partei aber immer wieder Positionen, die bei den Bürgern nicht ankommen. Auf lange Sicht wird Die Linke kontinuierlich Punkte machen können, bei allen, die sich abgehängt fühlen.
Die FDP ist im Aufschwung. Als Alternative zur Alternative für Deutschland (AfD). Wer weder CDU noch SPD und nicht Grüne wählen will, aber auch nicht die AfD, der wählt FDP. Davon profitiert die FDP erkennbar.
Die AfD wird zunehmend als Enttäuschung erfahren. Ständig nur Streit, ob intern oder extern, erzeugt kein vertrauenswürdiges Bild auf Lösungskompetenz. Aktuell ist eine Konsolidierung zu beobachten. Die AfD wird noch über geraume Zeit ein Potenzial von 5-10 Prozent bei den Wählern heben können. Wenn sie sich weiter so an sich und anderen abarbeitet, ist die AfD spätestens in zehn Jahren Geschichte, vermutlich vorher. Warum zehn Jahre? Aktuell ist sie in 13 Landtagen vertreten, also seit Einzug noch drei bis fünf Jahre dort präsent. Bei anschließenden Wahlen wird sie hier und dort wiederum mit Verlusten einziehen können und dann ist die Zukunft fraglich.
Frühere rechtskonservative Parteien konnten sich in Deutschland nicht etablieren. Und auch die Piraten nicht, die man getrost nach elf Jahren als vollständig gescheitert ansehen kann.
Was bedeutet die „Richtungswahl“ in NRW für unser Berichtsgebiet?
Viele werden auf Mannheim schauen (Wahlkreis 275), das Oberzentrum der Region. Hier geht es um das Direktmandat – wer gewinnt? Der Bundestagsabgeordnete Stefan Rebmann (SPD), der nachgerückt ist und dann über die Liste in den Bundestag gekommen ist oder Nikolas Löbel, der den langjährigen Bundestagsabgeordneten und Direktmandatsgewinner Prof. Dr. Egon Jüttner als Kandidat abgelöst hat?
Die SPD muss sich nach wie vor warm anziehen, denn es wird sehr kalt werden. Bei der Landtagswahl 2016 ging das letzte Direktmandat der SPD im Land verloren – der unbekannte AfD-Politiker Rüdiger Klos aus Eppelheim gewann den Wahlkreis aus dem Stand. Aktuell tritt der unbekannte Robert Schmidt als Kandidat im Wahlkreis an – ein früheres SPD-Mitglied. Die Stadt ist durch die Flüchtlingskrise sehr belastet. Ein Direktmandat erscheint aussichtslos, aber ein Listenplatz könnte drin sein.
Nikolas Löbel hat gegenüber Stefan Rebmann entscheidende Vorteile – er ist Vorsitzender der Jungen Union, was ihm bei Wählern in Mannheim noch keinen Vorteil bringt. Aber er ist damit weitaus mehr in den Medien präsent. Zudem ist er Stadtrat und Vorsitzender des Kreisverbands der CDU. Er folgt als Kandidat auf den Gewinner des Direktmandats – was nur ein bedingter Vorteil ist, da Herr Professor Jüttner sich auffällig verhält, was man so interpretieren könnte, dass er seinen Nachfolger zu beschädigen versucht. Er geht volles Risiko, denn er wird nur Bundestagsabgeordneter, wenn er gewinnt, denn er steht nicht auf der Landesliste.
Die Themen Sicherheit und Ordnung in Mannheim hat Herr Löbel besetzt. FDP und Die Linke spielen keine wirklich große Rolle in der Stadt. Der grüne Bundestagsabgeordnete und Volkswirt Dr. Gerhard Schick ist zweifelsohne fachlich sehr versiert, aber auch schwer vermittelbar – Finanzthemen sind zwar sehr wichtig, aber wenig populär.
Wenn Herr Löbel den Bogen nicht überspannt, hat er gute Chancen auf das Direktmandat in Mannheim – wie gesagt, es ist auch seine einzige. Ob Herr Rebmann bei den schlechten SPD-Ergebnissen Chancen auf der Liste hat, ist zumindest fraglich – aktuell gibt es 20 Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, Herr Rebmann steht auf Listenplatz 20. Dr. Schick muss sich hingegen nicht wirklich sorgen – er steht auf Platz 3 der Landesliste und ist damit, sofern die Grünen nicht an der 5-Prozent-Hürde scheitern (was wenig wahrscheinlich ist), gewählt.
Bis zur Wahl ist noch einige Zeit hin und niemand weiß aktuell, was bis dahin noch passieren wird. Terroranschläge und steigende Kriminalität werden der AfD zuspielen. Wie sich die aktuellen Nachrichten über rechtsradikale Zirkel in der Bundeswehr auswirken werden, ist noch unklar. Sollten die Verhältnisse zur Türkei sich weiter verschlechtern, könnte das der CDU immens schaden, aber auch der SPD.
Wir gehen nach unserer Analyse davon aus, dass Dr. Angela Merkel Kanzlerin bleibt und mit der SPD eine große Koalition fortführen wird. Herr Schulz wird dort vermutlich keine Rolle spielen. Je nach Ergebnis, wird es vor allem bei der SPD Veränderungen geben. Die AfD wird voraussichtlich einziehen – ob der FDP das gelingt, ist noch offen. Die Grünen werden deutlich verlieren.
Gewählt wird am 24. September 2017. Dann ist Stichtag.